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Ausgabe:

April/2018

Spalte:

411–412

Kategorie:

Praktische Theologie

Autor/Hrsg.:

Heckel, Ulrich

Titel/Untertitel:

Wozu Kirche gut ist. Beiträge aus neutestamentlicher und kirchenleitender Sicht. M. e. Geleitwort v. Wolfgang Huber.

Verlag:

Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht (Neukirchener Theologie) 2017. 298 S. Kart. EUR 35,00. ISBN 978-3-7887-3250-9.

Rezensent:

Walter Klaiber

In einer Zeit, in der oft beklagt wird, dass wissenschaftliche Theologie keinen Einfluss auf kirchenleitendes Handeln habe, ist es bemerkenswert, wenn einzelne Theologen versuchen, beides miteinander zu verbinden. Zu ihnen gehört Ulrich Heckel, der in der Evangelischen Landeskirche Württemberg als Oberkirchenrat tätig ist, zugleich aber an der Universität Tübingen als apl. Professor Neues Testament lehrt. Er veröffentlicht in diesem Band eine Reihe von Texten, in denen exegetische Arbeit und Fragen kirchlichen Lebens aufeinander bezogen werden.
Auf ein Geleitwort von Bischof i. R. Wolfgang Huber, das ausgehend von Schleiermacher die Problematik skizziert, folgen zwanzig Texte ganz unterschiedlicher Art. Neben einer Predigt, einer Rezension (U. Luz, Hermeneutik des Neuen Testaments), ökumenischen Grußworten, Stellungnahmen zu kirchenmusikalischen Themen oder zu Glaubenskursen für Erwachsene stehen Studien, die das Spannungsfeld von Exegese und kirchenleitendem Handeln exemplarisch behandeln. Auf sie möchte ich mich konzentrieren.
Am zentralsten für die Thematik ist der Vortrag: Schrift – Geist – Kirche. Überlegungen aus kirchenleitender Sicht (205–234). Einleitend nennt H. paradigmatisch für die Fragestellung zwei aktuelle Probleme kirchenleitenden Handelns in Württemberg: das Zusammenleben homosexueller Paare im Pfarrhaus und die Entlassung einer Vikarin, die einen Muslim geheiratet hatte. Dann aber schreitet er exegetisch und systematisch die Teilthemen Kirche und Geist, Kirche als »creatura verbi«, die Schrift als Grundlage der Kirche, Schrift und Geist, Wirkungen des Geistes nach dem Zeugnis der Schrift und das Wirken des Geistes nach den Bekenntnisschriften ab und bündelt die Ergebnisse in einem langen Schlusskapitel: Die Aufgaben der Kirchenleitung. Er geht dann vor allem auf die Diskussion über Fragen der Homosexualität in Württemberg ein. Auch wenn sich noch kein Konsens abzeichnet, so hat sich doch gezeigt, »dass in schwierigen Fragen die Rückbesinnung auf die Schrift als gemeinsame Grundlage hilft, auch bei gegensätzlichen Positionen im Gespräch zu bleiben, unterschiedliche Begründungszusammenhänge […] nachzuvollziehen und sich trotz bleibender Differenzen über das weitere Vorgehen zu verständigen« (231).
Besonders hilfreich empfinde ich den Aufsatz Ein Gott, viele Religionen. Biblische Perspektiven für den interreligiösen Dialog (265–279). H. skizziert zunächst Merkmale und methodische Ansätze des interreligiösen Dialogs, entfaltet dann knapp, aber differenziert den biblischen Befund, insbesondere die Eigenart der Ich-bin-Worte im Johannesevangelium als Anrede im Gegensatz zur »absoluten« Wahrheit, und entwickelt auf dieser Basis ein biblisches Verständnis der Wahrheit als »relationales Geschehen« (276). Von daher zeigt er die Problematik der drei gängigen Alternativen im interreligiösen Dialog auf. Der Exklusivismus spricht anderen ihren Glauben ab, der Inklusivismus wirkt vereinnahmend und leugnet die Unterschiede zwischen den Religionen, und der Pluralismus nimmt die Wahrheitsfrage nicht ernst genug. Als Christen müssen wir »uns im interreligiösen Dialog der religionswissenschaftlichen Metaebene bewusst sein, aber als Christinnen und Theologen können wir uns über den Exklusivitätsanspruch der Wahrheit als Beziehungsgeschehen nicht hinwegsetzen. Zum interreligiösen Dialog gehört auch das Zeugnis als eine bleibende Aufgabe, der wir uns nicht entziehen können« (279).
Dass H. vorsichtig ist, exegetische Erkenntnisse vorschnell in Handlungsanweisungen umzusetzen, zeigt der Beitrag: Die Region in der Missionsstrategie des Apostels Paulus (27–40). H. entfaltet anschaulich die Strategie des Paulus, zieht aber am Schluss nur sehr vorsichtige Schlüsse für die missionarische Aufgabe heute. Anders im umfangreichsten Text des Bandes Die Taufe im Neuen Testament (67–109; ergänzt durch »Wasser tut’s freilich nicht« – Taufe und Glaube bei Luther, 110–127). Hier folgt auf eine sorgfältige Exegese der neutestamentlichen Taufaussagen ein ausführlicher Schlussabschnitt: Folgerungen für die heutige Taufpraxis (103–109). H. be­tont das Ineinander von Taufe und Glaube, lehnt jedoch ein Verständnis von Glaube als vom Menschen zu erbringende Vorleis­tung für die Taufe ab und plädiert deshalb für die Beibehaltung von Säuglings- und Kindertaufe. In ihr »kommt die Bedingungslosigkeit der göttlichen Heilszusage unüberbietbar zum Ausdruck« (100). Persönlich hätte ich mir freilich eine stärkere Betonung der Notwendigkeit des Rufs zum Glauben als persönlicher Aneignung des in der Taufe zugeeigneten Heils gewünscht.
Einige grundsätzliche Themen werden rein exegetisch behandelt: Gottes Macht und Liebe. Zum Problem der Theodizee bei Paulus (1–13); Versöhnung mit Gott und den Menschen. Das Verständnis des Friedens bei Paulus (14–26); Der alte und neue Mensch bei Paulus, im Kolosser- und Epheserbrief. Grundzüge paulinischer Anthropologie (41–66), und auch Bestattung. Eine biblisch-theologische Orientierung (128–143). Alle diese Arbeiten beeindrucken durch eine verständliche Sprache und die umsichtige Darstellung des Stands der Exegese zu den genannten Themen, wobei der eigene Standpunkt, eine besonnene kritische Linie, klar erkennbar wird. Ergebnisse der Forschung werden so kommuniziert, dass Verkündigung, Seelsorge und pastorales Handeln darauf aufbauen können.
Gestehen muss ich freilich, dass ich eines nicht herausgefunden habe – nämlich, ob irgendwo in dem Buch eine direkte Antwort auf die durch den Titel angestoßene Frage zu finden ist!