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Ausgabe:

April/2018

Spalte:

406–408

Kategorie:

Systematische Theologie: Dogmatik

Autor/Hrsg.:

Werbick, Jürgen

Titel/Untertitel:

Gott-menschlich. Elementare Christologie.

Verlag:

Freiburg i. Br.: Verlag Herder 2016. 336 S. Geb. EUR 32,00. ISBN 978-3-451-34930-0.

Rezensent:

Christian Danz

Unter dem Titel Gott-menschlich hat der bis 2011 an der Katho-lischen Fakultät in Münster Fundamentaltheologie lehrende und seitdem emeritierte Theologe Jürgen Werbick eine elementare Christologie vorgelegt. Sie möchte dem religiös interessierten mo­dernen Zeitgenossen die Gehalte des Christusglaubens auf eine verständliche Weise erschließen und nahebringen (vgl. auch 323f.). Leisten soll das die Deutung Christi als Bezugsperson des Glaubens, von der aus die Christologie vor dem Hintergrund der biblischen Texte konstruiert wird (vgl. 13). Es geht W. also um eine moder-nisierende Selbstbeschreibung des christlichen Glaubens, der in Christus seine verdichtende Darstellung findet. Dazu greift der Autor auf die religiösen Deutungen Jesu Christi zurück, die in den neutestamentlichen Texten vor dem Hintergrund des Alten Testaments ihren Niederschlag gefunden haben. In der vorausgesetzten Perspektive des Glaubens wird eine Christologie ausgearbeitet, die »unten ansetzt« (33) und gleichsam von hier aus nach »oben« zum Ausgangspunkt zurückkehrt.
»Die hier versuchte elementare Christologie will die hohe Christologie der Kirche in diesem Sinne als Leseanweisung für die biblischen Zeugnisse anbieten, die uns Jesu Christi Gottes-Zeugnis vermitteln – sie als Leseanweisung für eine Lektüre dieser Zeugnisse gebrauchen, die für heutiges Selbst-, Welt- und Gottesverständnis aufschlussreich ist.« (Ebd.)
Der Aufbau des Buches und seine Untergliederung in neun Hauptabschnitte resultiert aus diesem Vorhaben. Einsetzend mit den biblischen Deutungen Christi mündet die Studie in ihren letzten beiden Abschnitten in eine Reformulierung des Dogmas, in deren Fokus – wie in dem überlieferten Lehrbegriff – das Persongeheimnis des Erlösers, eben Christus als Bezugsperson des Glaubens steht.
Das erste Kapitel Christologie in postsäkularer Zeit (9–34) be­leuchtet den religiösen und kulturellen Pluralismus des späten 20. und frühen 21. Jahrhunderts, vor dessen Hintergrund die elementare Christologie am Leitfaden der Bestimmung »Christus als Bezugsperson des Glaubens« ausgearbeitet werden soll. Die Formel ist als Erläuterung und Explikation des Titels des Buches »Gott-menschlich« zu verstehen. Bezugsperson des Glaubens ist Christus, »weil Gott in ihm auf menschliche Weise für die Menschen rettend und heilend gegenwärtig, ja greifbar wurde, so dass diese sich in der Not ihres Menschseins und bei der Suche nach einem mensch-lichen Leben in Fülle an ihn halten können« (25). Dieser christo-logische Grundgedanke wird in dem Buch sukzessive, variantenreich und mitunter redundant entfaltet. Die Durchführung dieser Grundidee wirft zunächst die Frage einer angemessenen Überset zung der neutestamentlichen Zeugnisse und ihrer christologischen Konzeptionen in die Sprache der Gegenwart auf, ein Problem, dem sich das erste Kapitel ausführlich annimmt (26–30).
Mit dem zweiten Kapitel Gekommen – Empfangen (35–58) setzt die materiale Entfaltung des christologischen Grundgedankens ein, die in den folgenden Abschnitten, die sich der Reich-Gottes-Vorstellung (Das Zeugnis für Gottes nahe gekommene Königsherrschaft, 59–93), der Verkündigung Jesu (Wie Jesus Gottes Herrschaft lehrt und handelt, 94–133), seiner Stellung zur Tora (Die Erfüllung der Tora, 134–156), seinem Lebensende (Jesu Tod am Kreuz: Heils-Wirklichkeit?, 157–212) und seiner Auferstehung (Rettung und Danksagung, 213–238) zuwenden, detailliert ausgeführt und vor dem Hintergrund der biblischen Texte, der exegetischen Forschung sowie der dogmatischen Lehrtradition diskutiert werden. In Christus, der Bezugsperson des Glaubens im Glauben, begegnet Gott, der in Jesus zur Darstellung kommt (47). Mit dem Kommen Gottes zur Welt in Jesus Christus kommt gleichsam der Glaube als werbendes Angebot einer neuen und anderen Deutung der Welt in diese. Folglich vollendet sich auch das Kommen Gottes in die Welt im Glauben, also dann, wenn Christus für Menschen zur Bezugsperson des Glaubens wird (69). »Das Personsein Jesu Christi realisiert sich in dem, was sein Gekommensein und Dasein bedeutet, in der Bedeutung, die er seinem Dasein geben will, wie in der Bedeutung, die ihm daraufhin zugesprochen oder bestritten wird.« (66) In der Vorstellung eines Herrschaftswechsels findet das auf den Glauben abzielende Kommen Gottes seine nähere Bestimmung (81–89). Zwar malt das Neue Testament das Kommen Gottes in den grells­t en apokalyptischen Farben (70–79), die auch für W. nicht mehr reformulierbar sind und mithin der Geschichte anheimzugeben seien (87), da aber der apokalyptische Horizont sich nicht von dem Mann aus Nazareth abtrennen lässt, dieser jedoch auch nicht, wie in der religionsgeschichtlichen Schule, auf die jene Entdeckung zurückgeht, einfach gegenüber dem neuzeitlichen Christentum fremdgesetzt werden kann, bleibt nur, die apokalyptischen Vorstellungen umzudeuten. Es geht, so die Reformulierung von W., um einen Herrschaftswechsel (vgl. 87). Das sei auch dem Menschen im 21. Jahrhundert nicht unverständlich, da auch er stets von etwas beherrscht sei, und sei es, wie mit Luther formuliert wird, »Reichtum und Ehre« (88) oder dem Streben nach Aufmerksamkeit. Die Erlösung, die mit dem Kommen Gottes in Jesus Christus als Herrschaftswechsel in die Welt tritt, besteht in der Eröffnung eines neuen und anderen Blicks auf die Welt (92), der nicht deren Herrschaftslogik (104) unterliegt. Öffnet sich ein Mensch dem von Jesus eröffneten Blick, indem ihm Christus zur Bezugsperson des Glaubens wird, kommt er, der Mensch, zu sich selbst, was ihm in der Welt und ihrer Logik verwehrt bleibt. Nach einer Rettung, die »in einer Tiefe des Menschseins nottut« (20), suchen, wie W. unterstellt, auch die Menschen der Gegenwart. Von »nichtreligiösen bzw. nicht-mystischen Konzepten« werde solch ein Herrschaftswechsel jedoch »nicht im Entferntesten erreicht« (ebd.).
Die Leitformel Christus als Bezugsperson des Glaubens wird weiter entfaltet im Hinblick auf die Verkündigung Jesu – in ihr »ge­schieht den Menschen die aufschließende Präsenz eines glaubwürdigen Zeugen, der ihnen in seinem Zeugnis die Präsenz Gottes und seiner guten Herrschaft zuspricht und zugänglich macht, sie in diese Präsenz gleichsam hereinholt« (102) – sowie Christus als »menschgewordene Tora« (146) und die überlieferte Versöhnungslehre. Mit der Deutung Jesu Christi als Erfüllung der Tora wird dieser zwar in die israelitische Religionsgeschichte eingeordnet, aber dadurch eben auch die jüdische Religionsfamilie zugleich als defizitäre Vorstufe zum Christentum konstruiert. Die Tora, die selbst »Gnaden-Geschenk an die Menschen« (147) ist, bleibt damit im Christentum als »Weg in die Freiheit und zum Vater« (148) in Geltung.
Das Heil hängt folglich an der Erfüllung der Tora, der Verwirklichung des guten Willens Gottes, an dem Jesus als Bezugsperson des Glaubens Anteil gibt (147, vgl. auch 151). Vor diesem Hintergrund reformuliert W. die überlieferte Versöhnungslehre (184­– 188). In ihrer klassischen Form, wie sie Anselm ausgearbeitet hatte, wird sie zurückgewiesen (vgl. auch 304 f.), aber mit der neueren exegetischen Forschung zu den alttestamentlichen Opfervorstellungen wird darauf insistiert, die »Sühne-Christologie nicht vorschnell (187) aufzugeben. Im Resultat läuft das auf eine moralisierende Umdeutung von Paulus hinaus (188-198). Indem Christus zur Bezugsperson des Glaubens wird, also dem Herrschaftswechsel als Einrückung der Glaubenden in die Forderungen der Tora (alle?), ergibt sich für den Erlösungsgedanken: »Erlösung wäre schon das Erreichtwerden von diesem Ja, das Einstimmen in es, das Einbezogenwerden in die schöpferische Energie des Wohlwollens« (197). Aus der paulinischen Torheit des Kreuzes wird in der »vernünfti gen« (195) Umdeutung von W. die Rettung der Welt durch die Wohlmeinenden und Wohlwollenden, die sich gegen die »beziehungsfeindlichen Energien« (196; vgl. auch 305) des modernen Ich, seiner Selbstbehauptung und natürlich des modernen Kapitalismus, der das Erbe des alten Sündengedankens antritt, behaupten. Aber wer bestimmt eigentlich, was unter dem guten Willen Gottes zu verstehen ist?
Das christologische Dogma, dessen Herausbildung das achte Kapitel Gott-menschlich: Was in der »hohen Christologie« auf dem Spiel steht (239–294) kenntnisreich nachzeichnet, expliziert Chris­tus als Bezugsperson des Glaubens. Die christologischen Formeln von Chalzedon reichen dazu nicht aus (265–269). Sie müssen – auch um dem Hintergrund der Moderne Rechnung zu tragen – durch »eine Christologie von unten« ergänzt werden, die versucht, »in der Botschaft – im Geheimnis des Lebens Jesu dem Wort auf die Spur zu kommen, das darin beantwortet, bezeugt wird« (268). Die alte Personchristologie wird als Persongeheimnis umformuliert. Die der Christologie von unten an die Seite tretende hohe Christologie des Dogmas erörtert zusammen mit jener Christus als Bezugsperson des Glaubens. Eine angemessene Fassung erhält der Ausgang von unten, wenn er als Geist-Christologie ausgearbeitet wird (269–280), in deren Fokus der Gott-erfüllte Mensch steht (280–286). Der eigentliche Kern des Dogmas ist »Gottes Geist-Präsenz, Gottes Gegenwart im Anderen seiner selbst, der Logos, der sich in diesem Menschsein sagt« (282).
In der »unten« ansetzenden Christologie kommt allerdings das Andere Gottes lediglich als das »Andere seiner selbst« in den Blick, so dass das Kommen Gottes in die Welt eine Präsenz in »seiner eigenen [!] Menschen-Präsenz« (ebd.) darstellt. Lassen sich so aber noch Differenz und Andersheit festhalten?
Im abschließenden neunten Kapitel, das unter der Überschrift Gottes Dasein trinitarisch (295–322) die Überlegungen des Buches noch einmal bündelt, wird das Thema der Entzogenheit und des Anderen im Anschluss an Emmanuel Levinas explizit aufgenommen (295–300) und auf eine Kirchenkritik zugespitzt (297). Wie sich der Rekurs auf Andersheit und Entzogenheit des Anderen (noli me tangere [297, Anm. 2]) mit der Option für die Marginalisierten zusammenfügt, mit der die Präsenz Gottes in Jesus Christus verbunden ist, wird nicht so recht deutlich. Wäre der Andere dem Selbst entzogen, also nicht schon durch das Ego vorstrukturiert, dann könnte die »Zusage der rettenden Gottes-Gottesgemeinschaft und des in ihr gewährte[n] Lebens in Fülle« gerade nicht vor die »Herausforderung« stellen, »sich dieser Gemeinschaft zu öffnen, indem man sich für die Not des Nächsten öffnet« (299).
Insgesamt bietet die elementare Christologie von W. den Versuch, ausgehend von der Bestimmung, Christus sei die Bezugsperson des Glaubens, die überlieferten christologischen Bestimmungen in dichter Auseinandersetzung mit den biblischen Schriften für das 21. Jahrhundert zu erschließen. Ohne Umdeutungen ist das nicht möglich. Der Logik der Welt, ihrem Geben und Nehmen (305), setzt W. die ganz andere Gabe des Kommens Gottes in die Welt entgegen. Aber wie unterscheidet sich diese Gabe von der Logik der Welt, wenn sie selbst als Tauschlogik dargestellt und verstanden wird (209f. und 210 Anm. 81)? Das wirft dann doch die Frage auf, ob es wirklich ratsam war, die paulinische Torheit des Kreuzes zu verabschieden.