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Ausgabe:

April/2018

Spalte:

399–401

Kategorie:

Systematische Theologie: Dogmatik

Autor/Hrsg.:

Courey, David J.

Titel/Untertitel:

What Has Wittenberg to Do with Azusa? Luther’s Theology of the Cross and Pentecostal Triumphalism.

Verlag:

London u. a.: Bloomsbury T & T Clark 2015. 289 S. Geb. US$ 122,00. ISBN 978-0-567-65630-8.

Rezensent:

Thomas Hahn-Bruckart

Dass die Theologie Martin Luthers und die Theologie der modernen Pfingstbewegung prinzipiell schwer in Einklang zu bringen seien, war eine der Hauptthesen in Carter Lindbergs »The Third Reformation?« von 1983. Und in der Tat: Luthers Verdikte gegen »Schwärmer« und »Enthusiasten«, die man – wenn auch anachronistisch – in manchen Aspekten mit dem Pentekostalismus assoziieren mag, waren fundamental und persistent, so dass sie im Luthertum bis ins 20. Jh. hinein die Wahrnehmung bestimmter religiöser Phänomene konturierten. Daneben sind Distinktionen von Belang, die bereits bei der Heidelberger Disputation 1518 eine zentrale Rolle spielten, nämlich die Unterscheidung einer theologia gloriae von einer theologia crucis. Dass Luthers theologia crucis – nun auf die Gegenwart gewendet – eine Korrekturmöglichkeit für einen konstatierten pentekostalen »Triumphalismus« darstelle, ist die Grundthese des hier zu besprechenden Buches, das als Dissertation an der kanadischen McMaster-Universität entstanden ist. Sein Autor, David J. Courey, ist Pastor der Assemblies of God und lehrt am Continental Theological Seminary in Brüssel.
Die von C. vorgelegte Studie ist vielschichtig und durchaus faszinierend; disziplinär lässt sie sich auf den ersten Blick schwer einordnen, da sie Perspektiven der Kirchengeschichte, der Systematischen Theologie, der Religionssoziologie und der Kybernetik integriert. Es geht in ihr um die nordamerikanische Pfingstbewegung, und sie reagiert besonders auf mit ihr zusammenhängende Identitätsprobleme, die sich aus der unaufgelösten Spannung einer Rhetorik der machtvollen Gotteserweise und den realen Frustrationen menschlicher Erfahrung ergeben. C. konstatiert die Tendenz, dass der Pentekostalismus sich weniger dem leidenden Menschen als der im Himmel thronenden Majestät zuwende und das Kreuz in dieser Perspektive nur als Durchgangsstation auf dem Weg zur Auferstehung und zu Pfingsten erscheine. Dieser Spannung in Theologie, Frömmigkeit und Praxis will C. mit Luthers Kreuzestheologie begegnen. Damit schließt er an die seit den 1970er Jahren entstandenen Studien von Douglas J. Hall an, der aufgrund der skizzierten Spannung zwischen Erwartung und Erfahrung dem nordamerikanischen Protestantismus insgesamt einen Hang zum Triumphalismus zuschrieb, wobei er diesen als Tendenz charakterisiert, die eigene Anschauung als »full and complete account […] of reality« (5) darzustellen und keinen Raum für Zweifel und Fragmentarität zu lassen.
Entsprechend setzt C. in einem ersten von drei Teilen mit einer historisch-genetischen Analyse des in besonderer Weise für den Pentekostalismus reklamierten Triumphalismus im Kontext des nordamerikanischen Evangelicalism ein. In einem zweiten Teil wird er zunächst Luthers Theologie in einigen Aspekten und schließlich konzentriert auf die Kreuzestheologie als Ressource für pfingstliche Theologie darstellen, während im dritten Teil schließlich eine pentekostale Theologie des Kreuzes entworfen wird.
»Triumphalism […] is not an essential feature of Pentecostal experience« (23) – so die historische Ausgangsthese des ersten Teils–, sondern im größeren Kontext der nordamerikanischen Religionsgeschichte zu verorten; die Pfingstbewegung habe den Triumphalismus aus dem Evangelicalism übernommen (bzw. den »Evangelicalisms« [24]), ihn aber durch die Betonung der direkten Erfahrung Gottes durch den Geist, der akuten Naherwartung, des Ge­fühls der Nähe zur apostolischen Zeit und der Vorstellung der Wirkmächtigkeit in der Fülle des Geistes besonders akzentuiert. Instruktiv und die These untermauernd ist die historisch-genetische Skizzierung von vier »physiographical features« (36), auf denen der Pentekostalismus beruhe: der Heiligungsbewegung, dem Prämilleniarismus, der Heilungsbewegung und dem Revivalism. In all diesen Strömungen ließen sich zwei »tectonic plates« (56) ausmachen, die – wenn man so will – für basale Grundströmungen stehen, die gewisse Reibung, aber auch spezifische Dynamik erzeugen: der »Restorationism« als retrospektiver Triumphalismus mit einer Absolutsetzung der apostolischen Zeit, die zu repristinieren sei, und der »Perfectionism« als prospektiver Triumphalismus mit der Erwartung individueller Vollkommenheit durch vergegenwärtigende Teilhabe an den Wirkkräften des Eschaton, was C. im Folgenden vor allem für die pentekostale Frühgeschichte fokussiert.
Der Einstieg in den zweiten Teil zu Luthers Kreuzestheologie ist von dem Bemühen geprägt, über die wesleyanische Prägung hinaus Verbindungslinien der Pfingstbewegung zu Luther aufzuzeigen, wofür als thematische Felder das allgemeine Priestertum, das Verhältnis zum Übernatürlichen, die Eschatologie und die Betonung der geistlichen Erfahrung ins Feld geführt werden, was aber ohne historisch-genetische Konkretion etwas in der Schwebe bleibt. Deutlich ist das Bemühen, Luthers Theologie durch Affirmation einiger auch für pfingstliche Theologie zentraler Elemente als nicht von außen kommende Alternative, sondern als Ressource möglicher Erneuerung aus der auch eigenen Tradition zu profilieren. Differenziert wird mit dem Feld und der Bewertung religiöser Erfahrung umgegangen. C. legt einerseits die Bedeutsamkeit religiöser Erfahrung auch für Luther frei, arbeitet andererseits die Bedeutung des Kreuzes als Kritik aller Erfahrung heraus. Deutlich wird der Aspekt der Gegenwart Gottes im Leiden und der Erniedrigung akzentuiert. Wichtig erscheint C. das auch bei Luther in die Kreuzestheologie integrierte Auferstehungsmoment, für das er u. a. auf Moltmanns »Theologie der Hoffnung« verweist.
Auf dieser Grundlage entwickelt C. im Gespräch mit Bonhoeffers Unterscheidung zwischen letzten und vorletzten Dingen und Moltmanns Korrelation von anabasis und katabasis nun einen An­satz, der in einer »pneumatologia crucis« (199 ff.) und einer »eschatologia crucis« (208 ff.) pfingstliche Theologie in neuer Weise konturiert und auch damit verbundene Aspekte der Spiritualität ausleuchtet: Geistliche Erfahrung ist immer vorläufig und zielt auf den Dienst an der Welt. Gegen alle Selbstmächtigkeit des Menschen auf dem Weg der Heiligung begegnet Vollkommenheit dem Menschen nur empfangend im gekreuzigten Christus. Das Wunderhafte ist sakramental zu verstehen; es ist eine Gabe im Angesicht des Kreuzes für den in der Gegenwart noch leidenden Menschen und ein Zeichen eschatologischer Erwartung und Hoffnung. In dieser Weise ist auch die zentrale Erfahrung der Geistestaufe einzuordnen.
Mit dieser Integration Lutherscher und pfingstlicher Kernanliegen in einem auf gegenwärtige kirchliche Praxis zielenden theologischen Entwurf – bei dem nur an wenigen Stellen zu diskutieren wäre, ob die Position Luthers mit letzter Tiefenschärfe getroffen ist – ist C. eine sehr lesenswerte und beeindruckende Studie gelungen. Im Gespräch mit der Forschungsliteratur und ausgewählten systematisch-theologischen Entwürfen kommt er sorgfältig formulierend und argumentierend zu in manchem überraschenden, in manchem herausfordernden Urteilen. In historischer Perspektive ist zu hoffen, dass die Arbeit Einzelstudien nach sich zieht, die sich konkret mit der Rezeption Luthers bei prägenden Gestalten des Pentekostalismus beschäftigen. Dabei ist für die Pfingstbewegung im deutschsprachigen Raum von vornherein eine deutlich stärkere lutherische Prägung zu vermuten, wie sie etwa bei Jonathan Paul als einer zentralen Gestalt der Frühzeit greifbar wird.