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Ausgabe:

April/2018

Spalte:

394–396

Kategorie:

Philosophie, Religionsphilosophie

Autor/Hrsg.:

Lee, Eric Austin, and Samuel Kimbriel [Eds.]

Titel/Untertitel:

The Resounding Soul. Reflections on the Metaphysics and Vivacity of the Human Person.

Verlag:

Cambridge: James Clarke & Co. (Lutterworth) 2016. 422 S. Kart. £ 27,50. ISBN 978-0-227-17598-9.

Rezensent:

Dirk Evers

Bei dem zu besprechenden Sammelband handelt es sich um drei Hauptvorträge sowie zusätzliche fünfzehn Präsentationen einer Konferenz zum Thema »Seele«, die 2013 in Oxford vom Centre of Theology and Philosophy der Universität Nottingham durchgeführt wurde. Die Autorinnen und Autoren der Beiträge stammen zum größeren Teil aus dem Umfeld der sogenannten Radical Orthodoxy, und so ist auch John Milbank, der Begründer dieser Bewegung, der ihr durch einen Buchtitel den Namen gab, der Verfasser eines der drei Hauptvorträge. Ansonsten findet sich vor allem eine ganze Reihe von jüngeren Nachwuchswissenschaftlerinnen und -wissenschaftlern im Doktoranden- oder Post-Doc-Status un­ter den Beitragenden.
Der einleitende Beitrag der Herausgeber Eric Austin Lee und Samuel Kimbriel macht die programmatische Absicht des Unternehmens deutlich. Es geht um eine Wiederbelebung der sokratisch-delphischen Frage nach Selbsterkenntnis in einer durch den Seelenbegriff formierten Leitperspektive, in der es zugleich um eine Wiedervereinigung von Politik, Kunst, Theologie und Philosophie geht. Der Grundtenor, der viele der Beiträge durchzieht, ist eine Sicht der Moderne, die deren Seelenvergessenheit beklagt und Hilfe bei vor-modernen Traditionen der Antike und der Scholastik, aber auch bei Autoren der französischen Phänomenologie sucht und sich mit der onto-theologisch kritischen Metaphysik der Moderne auseinandersetzt. Der Übergang von einer Sprache der Seele zu einer Sprache des Gehirns, wie ihn die Herausgeber in der Einleitung konstatieren, soll einhergehen nicht nur mit einem Verlust der Bedeutungshorizonte des Seelenbegriffs, sondern auch mit einer Flucht vor der Frage nach wirklicher Selbsterkenntnis. Die Wiedergewinnung des Seelenbegriffs soll der Wiedergewinnung dieser Frage dienen, und so verbinden sich historische, zeitdiagnostische und konstruktive Zugänge miteinander, die sich allesamt sowohl von naturalistischen als auch von kritizistischen Argumenten für eine Verabschiedung des Seelenbegriffs absetzen.
In einem ersten Teil des Bandes sind vier Beiträge unter der Überschrift »Seele und Zeitalter (Soul and Saeculum)« zusammengestellt, ohne dass deutlich würde, in welchem Verhältnis die Beiträge zueinander und zu dieser Überschrift stehen. Anna Piazza untersucht die Todeserfahrung bei Paul Ludwig Landsberg, Max Scheler und Augustinus und kommt zu dem Schluss, dass in dieser Erfahrung Zeitlichkeit und Sterblichkeit koinzidieren, zugleich aber im Sterben der Seele ein ontologisches Fundament sichtbar wird, das über den Tod hinausweist. Johann Roussow beschäftigt sich mit dem französischen Publizisten und Medientheoretiker Bernard Stiegler und sieht in diesem eine ironisch gebrochene Bestätigung der Position der radikalen Orthodoxie, dass nur traditionelle, liturgisch konstituierte Gemeinschaften noch ein Bollwerk gegen kapitalistische und bürokratische Zwänge darstellen können. Andrew Kaethler stellt den orthodoxen Priester und Theologen Alexander Schmemann vor, der eine eucharistische Anthropologie entwickelt, nach der der Mensch zur Priesterschaft, also zur Mittlerschaft zwischen Gott und Welt berufen ist und dadurch in der Zeit die Schöpfung zu Gott zurückführt. Das aber impliziert ein Verständnis der Seele, bei dem diese auch als körperlose mit Christus Gemeinschaft haben kann. John Milbank entwirft dann eine Psychologie des Kosmopolitismus. Der Cartesische Dualismus der Moderne kann nicht geheilt, sondern muss radikal überwunden werden. Es reicht nicht aus, ihn mit Kantischer Kritik und phänomenologischer oder linguistischer Analyse zu verfeinern. Eine den Menschen auf den Verstand reduzierende und ihn metaphysisch heimatlos machende Moderne ist nicht als dialektischer Freund, sondern als wirklicher Feind anzusehen, dem nur durch einen Rekurs auf ein vorkritisches Seelenverständnis und eine entsprechende Metaphysik, nicht durch nachträgliche Spiritualisierung beizukommen ist.
Im zweiten Teil des Bandes finden sich vorwiegend historisch ausgerichtete Beiträge, die unter der Überschrift »Bruch und Einheit« zusammengefasst werden. In einem interessanten Beitrag befasst sich Kimbell Kornu mit der Geschichte anatomischer Sektionen von Galen bis Melanchthon und den damit verbundenen Ansprüchen auf menschliche Selbsterkenntnis. K. Nicholas Forti analysiert reduktionistisch-naturalistische Seelenkonzepte von Nancey Murphy bis Daniel Dennett und kritisiert ihre Funktion innerhalb physikalistischer Narrative. Es folgen zwei Aufsätze aus orthodoxer Perspektive: Sortiris Mitralexis möchte die Leib-Seele-Differenz durch die Anthropologie von Maximus Confessor überwinden, während Nichifor Tănase sich dazu der von ihm als »ho-listisch« bezeichneten Anthropologie des Gregor Palamas bedient. Diesen zweiten Teil schließt dann Mary Midgley ab, die als grande dame einer holistischen Naturphilosophie die zweite Hauptvortragende der Konferenz war. Auch sie arbeitet sich an Descartes ab und argumentiert auf kluge und variantenreiche Weise für eine phänomennahe Verbindung von subjektiv-sozialer Selbstwahrnehmung und objektivierender Weltsicht.
Im dritten Teil des Bandes geht es unter der Überschrift »Moving to Wholeness« primär um Seelenkonzepte in der Literatur und die Frage nach der Überwindung der modernen Fragmentierung der Seele. Edmund Waldstein untersucht diese Frage bei Daniel Defoe als einem Vertreter des frühmodernen Romans und bei David Foster Wallace als Vertreter der Post-Moderne und sieht den Zusammenbruch eines introspektiven Zugangs zum Subjekt, wie er bei Defoe noch gepflegt wurde, als Hinweis auf die in der Post-Moderne wieder aufbrechende Frage nach einer performativ zu verstehenden Einheit. Anthony D. Baker untersucht das Werk Shakespeares unter der Fragestellung, welche Bedeutung der Möglichkeit religiöser Konversion darin zukommt. Er stellt fest, dass bei Shakespeare jegliche Konversion religiös gefasst wird als eine in weltlicher Perspektive fast aussichtslose Aufgabe, die letztlich auf ein übernatürliches Ziel ausgerichtet ist. L. C. Wilson schließlich vergleicht die Seelenkonzepte von Evagrius von Pontus und Søren Kierkegaard, die nach ihrer Darstellung beide einen »dritten Term« verwenden, der zwischen Körper und Geist vermittelt. Dieser relationale Seelenbegriff, der körperliche und geistige Existenz ins Verhältnis setzt, verweist auf einen Weg zur Entfaltung einer Persönlichkeit, die die eigene Zeitlichkeit in Gottes Ewigkeit begründet.
Im vierten Teil geht es dann vor allem um die Beziehungen zum »Anderen« als Ausdruck eines solchen relationalen Seelenverständnisses. Nigel Zimmermann vergleicht Papst Johannes Paul II. mit Emmanuel Levinas in Bezug auf unterschiedliche Auffassungen der Kategorie der Gabe, Lexi Eikelboom wendet sich Giorgio Agambens Werk zu und schlägt eine relationale Anthropologie versöhnter Dualität in eschatologischer Perspektive vor, und Férdia Stone-Davis untersucht die Modifikationen von Nähe und Distanz, die durch die realitätsschaffende Wirkung von Musik möglich werden und auf eine poröse Relationalität menschlicher Personen hinweisen.
Den Abschluss des Bandes bilden drei Aufsätze, die unter der Überschrift »Lebhaftigkeit (Vivacity)« zusammengefasst sind und konstruktive Aspekte einer post-modernen Seelenlehre thematisieren. Programmatisch ist der Beitrag von W. Chris Hackett, der Thomas von Aquin gegen einen seelenlosen Rationalismus in Stellung bringt und die Seele als Schnittstelle zwischen irdischer und himmlischer Realität versteht. Simone Kotva bezieht sich auf den katholischen Romantizismus von Friedrich Schlegel und sieht die Seele in Liturgie und Gebet am Werk. Der Band schließt mit dem dritten Hauptvortrag des Philosophen William Desmond, der auf anregende Weise Hegel mit Soulmusik ins Gespräch bringt. Er sieht das Eigentümliche der Seele darin, dass sie das Leben durch Gesang in Gärung bringt und darin über sich hinaus und auf Gott zu treibt.
Beigegeben ist ein angesichts der Heterogenität der Beiträge hilfreiches Namen- und Sachregister.