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Ausgabe:

April/2018

Spalte:

386–388

Kategorie:

Dogmen- und Theologiegeschichte

Autor/Hrsg.:

Rieger, Reinhold

Titel/Untertitel:

Martin Luthers theologische Grundbe-griffe. Von »Abendmahl« bis »Zweifel«.

Verlag:

Tübingen: Mohr Siebeck 2017. IX, 378 S. = UTB 4871. Kart. EUR 24,99. ISBN 978-3-8252-4871-0.

Rezensent:

Christian Danz

Als Ergänzungsband III zu der von ihm veranstalteten Ausgabe Luther Deutsch hatte Kurt Aland 1956 ein Luther-Lexikon konzipiert, das dem Leser einen orientierenden Überblick über zentrale Begriffe des Reformators bieten sollte, die aus dessen eigenen Schriften erklärt und belegt werden. In der Tradition eines solchen Luther-Lexikons steht auch der hier anzuzeigende Band Martin Luthers theologische Grundbegriffe des Tübinger Kirchenhistorikers Reinhold Rieger. Er bietet 205 Begriffe aus dem Werk des Reformators in alphabetischer Reihenfolge, die mit Belegen aus seinen Schriften erläutert werden. Dadurch soll die »Theologie Luthers« am »Leitfaden ihrer Grundbegriffe und in seinen eigenen Aussagen dargestellt werden«, wobei »Grundbegriffe« nicht »notwendigerweise streng definierte Systembausteine« heißen soll, sondern »tragende Begriffe einer Theologie, die selbst Verkündigung sein will« (1).
Die Darstellung von leitenden Begriffen des Reformators zielt somit nicht auf systematische Geschlossenheit oder die Bestimmtheit des Begriffs, was vor dem Hintergrund der vielfach situationsbezogenen Texte sowie des metaphorischen Sprachgebrauchs des Wittenberger Theologen auch schlecht möglich ist. In den Belegen, die R. zu den in den Band aufgenommenen Stichworten fleißig aus dem Werk Luthers gesammelt und zusammengestellt hat, wird denn auch von vornherein auf begriffliche Stringenz und Kohärenz verzichtet. Dadurch bilden die Belege zu den Grundbegriffen der Theologie des Reformators auch deren zum Teil widersprüchliche Entwicklung in seinem Werk mit ab.
Einsetzend mit dem Stichwort Abendmahl (3–7) und endend mit Zweifel (355–357) werden in diesem Werk 205 Begriffe zusammengestellt, die so unterschiedliche Dimensionen wie Abgott, Ablass, Affekt, Allegorie oder Bild, Sakrament, Schuld, Sinn, Sprache, Zeichen, Zeit, Zeugnis und vieles andere mehr umfassen. Nach welchen Kriterien die Grundbegriffe zusammengestellt sind, wird allerdings nicht mitgeteilt. Bei der Vielzahl der erläuterten Begriffe wird man schlecht sagen können, ein wichtiger Grundbegriff fehle oder sei vergessen worden. Auffallend ist jedoch, dass das Stichwort ›Christus‹ oder ›Jesus Christus‹ nicht als eigenes Lemma in den Band aufgenommen wurde. Der Aufbau der einzelnen Artikel ist aneinander angeglichen. Sie »setzen gegebenenfalls ein mit einer definitorischen Bemerkung oder Beobachtungen Luthers zum Stichwort oder seinem Bedeutungs- und Begriffsfeld« (1). Den Hauptteil der Artikel bilden inhaltliche Bestimmungen »in sachlicher Gliederung, wobei innerhalb der Abschnitte meist Themen- und Motivblöcke gebildet« (ebd.) werden. Die Zusammenstellung der Belege aus den Schriften Luthers erfolgt chronologisch, so dass dem Leser ein Eindruck von der werkgeschichtlichen Entwicklung der vorgestellten Begriffe geboten wird, die Unstimmigkeiten und Widersprüche nicht verdeckt. So setzt der Artikel Taufe (277–280) mit Aussagen zu dem Thema in einer werkgeschichtlichen Reihenfolge ein, bringt dann Belege zum Verhältnis Taufe und Glauben (278). Darauf folgen Stellen aus dem Werk Luthers zur Kindertaufe (278 f.), zur Taufe als einzigem Sakrament (279), zum Komplex Taufe und Sünde (ebd.), zu Irrtümern (279 f.), zu Gott als Urheber der Taufe (280) und schließlich zu Christi Taufe (ebd.). Am Ende jedes Artikels findet sich weiterführende Literatur, die eine Vertiefung zu dem jeweiligen Themenkomplex ermöglicht. Interne Verweise zu anderen Stichworten stellen Verknüpfungen zu thematischen Feldern her. Das umfangreiche Sachregister (359–378) er­schließt den Band.
Im Unterschied zu Aland, der in seinem Luther-Lexikon die Be-lege aus der von ihm herausgegebenen Ausgabe Luther Deutsch genommen hatte, bietet der Band von R. »oft weniger Übersetzungen aus dem Lateinischen oder Frühneuhochdeutschen als eher Paraphrasen« (ebd.). Der Benutzer der Ausgabe muss somit selbst in der Weimarer Ausgabe nachschlagen, um den genauen Wortlaut des Zitats vor Augen zu haben. Die Referenz stellt R. mit den üblichen Siglen her (Band der Weimarer Ausgabe, Seiten- und Zeilenzahl). Da der Band jedoch kein Verzeichnis der Schriften Luthers aufweist, ist der Benutzer, wenn er selbst kein Luther-Spezialist ist oder die Weimarer Ausgabe zur Hand hat, mehr oder weniger im Ungewissen darüber, woher die jeweiligen Belege aus den Schriften des Reformators stammen, die in den einzelnen Artikeln zusammengestellt sind. Aland hatte seinem Luther-Lexikon nicht ohne Grund ein solches Schriftenverzeichnis beigegeben.
Selbstverständlich kann und soll eine Zusammenstellung von Grundbegriffen sowie deren Erklärung aus dem Werk eines Autors weder die Lektüre der Texte Luthers noch die von anderen erset-zen. Der Band bietet einen ersten orientierenden Überblick über Begriffsfelder und erschließt sie durch einschlägige Belege. Die Gefahr solcher Zusammenstellungen von Zitaten besteht freilich darin, dass sie notwendigerweise den Kontext ausblenden müssen, in dem ein Wort/Begriff vorkommt und diesem als Horizont erst seine Prägnanz verleiht. Dadurch tendieren solche Erklärungen zur Fiktion eines kohärenten Begriffsgebrauchs. R. versucht, dem entgegenzusteuern, indem er weder direkte Zitate bietet noch in den zusammengestellten Belegen Widersprüche beseitigt. Damit deutet sich so etwas wie eine genetische Darstellung der Grundbegriffe an, die jedoch durch eine Zusammenstellung von Grundbegriffen nicht geleistet werden kann. Freilich ist das ein Problem, mit dem jede Darstellung der Theologie Luthers konfrontiert ist. Die Spannung zwischen der werkgeschichtlichen Herausbildung seines Denkens und der systematischen Intention, sein Denken gleichsam auf den Begriff zu bringen, lässt sich, wie die vielen Abhandlungen zur Theologie des Reformators deutlich machen, kaum ausgleichen.
So liefert der Band seinem Benutzer eine Stellensammlung zu diversen Begriffen, die Luther in seinen Schriften gebraucht, und stellt eine Art ausgeschriebenes Register der Weimarer Ausgabe dar. Als eine erste Erschließung der Begriffswelt des Reformators für diejenigen, die sich mit dessen Theologie beschäftigen wollen und keinen Zugang zu einer elektronischen Fassung seiner Werke haben, mag er ein gutes Hilfsmittel sein.