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Ausgabe:

April/2018

Spalte:

374–377

Kategorie:

Kirchengeschichte: Reformationszeit

Autor/Hrsg.:

Im Auftrag d. Heidelberger Akademie der Wissenschaften hrsg. v. H. Scheible u. Ch. Mundhenk.

Titel/Untertitel:

Melanchthons Briefwechsel. Kritische und kommentierte Gesamtausgabe. Textedition.

Verlag:

Bd. T 15: Texte 4110–4529a (1546). Bearb. v. M. Dall’Asta, H. Hein u. Ch. Mundhenk. Stuttgart-Bad Cannstatt: frommann-holzboog 2014. 664 S. Lw. EUR 298,00. ISBN 978-3-7728-2576-7.
Bd. T 16: Texte 4530–4790 (Januar – Juni 1547). Bearb. v. M. Dall’Asta, H. Hein u. Ch. Mundhenk. Stuttgart-Bad Cannstatt: frommann-holzboog 2015. 409 S. Lw. EUR 298,00. ISBN 978-3-7728-2578-1.
Bd. T 17: Texte 4791–5010 (Juli – Dezember 1547). Bearb. v. M. Dall’Asta, H. Hein u. Ch. Mundhenk. Stuttgart-Bad Cannstatt: frommann-holzboog 2016. 356 S. Lw. EUR 298,00. ISBN 978-3-7728-2579-8.

Rezensent:

Michael Beyer

In der Heidelberger Melanchthon-Forschungsstelle ist die Herausgabe des Briefwechsels Philipp Melanchthons zügig und gewohnt zuverlässig weitergeführt worden. Jedoch bilden die in den drei Bänden edierten Dokumente das Material für lediglich zwei Jahre ab, wobei die auf das Jahr 1547 gehenden Stücke mit der bisher größten Anzahl für ein Jahr auf zwei Bände verteilt werden mussten. Band 15 enthält 50, die Bände 16 und 17 enthalten 53 ganz bzw. teilweise bisher ungedruckte Stücke. Aus der Fülle der Briefe können nur einige markante Themen hervorgehoben werden.
Die Jahre 1546 und 1547 bringen für Melanchthons Leben und Wirken einschneidende Veränderungen. Durch Martin Luthers Tod am 18. Februar 1546 verliert er den Mann, mit dem zusammen er 28 Jahre lang die Reformation in Kursachsen und weit darüber hinaus gestaltet hat und den er trotz gelegentlicher Unstimmigkeiten als geistlichen Vater tief verehrte. Melanchthon fühlte sich verpflichtet, Luthers Führungsrolle zu übernehmen. Er gilt übrigens auch in der Außenperspektive als Luthers Nachfolger. Deutlich wird das z. B., wenn der Stadtrat von Braunschweig Melanchthon in einem Anschreiben vom 17. November 1546 als »der loblichen universitet zu Wittemberg obrigstem professori« anspricht (15, 4452). Der Ende Juni 1546 ausbrechende Krieg zwischen den Schmalkaldenern und dem Kaiser, auf dessen Seite sich bald auch Herzog Moritz von Sachsen schlägt, macht diese Aufgabe noch schwieriger, vor allem nach der Niederlage des Schmalkaldischen Bundes und dem Wechsel der Kur an die Albertiner.
Melanchthon versucht, die politische Lage gerecht zu beurteilen, sieht aber die Kriegsschuld eindeutig beim Kaiser, der in Bezug auf die Lehre der Kirche unbillig geurteilt habe (»fontes odii sunt iudicium in Carolo iniquum de doctrina ecclesiae«; 15, 4297). Diese Beschreibung ist nicht als eine Kritik Melanchthons am Kaiser zu verstehen, weil dieser sich nicht der evangelischen Lehre zugewandt habe. Melanchthon meint, dass sich der Kaiser in Fragen der Lehre jeder mit Gewalt verbundenen Parteinahme hätte enthalten müssen. Seine Vorstellung liegt auf der reformatorischen Linie, die de facto von der Mehrzahl der Reichsstände seit dem Augsburger Reichstag von 1530 geteilt und 1555 bestätigt wurde, dass nämlich der Friedstand im Reich das höchste Anliegen der Politik jenseits religiöser Parteiname zu sein habe, was letztlich auf die seit 1648 gültige Verfahrensweise der itio in partes in Religionssachen auf Reichsebene hinauslief.
Gegenüber dem Kurfürsten Johann Friedrich von Sachsen und dem Landgrafen Philipp von Hessen gutachtet Melanchthon zu­sammen mit Johannes Bugenhagen, Caspar Cruciger und Georg Major, dass Gott die Kirche und die reine Lehre gewiss erhalten wird. Aber die Möglichkeit, dass er die Sünden der Evangelischen straft, darf nicht außer Acht gelassen werden. Sollte der Kaiser wegen der Religion Krieg führen, ist Gegenwehr unbedingt Pflicht; allerdings muss mit Gewaltprävention sehr vorsichtig umgegangen werden. Für die Wittenberger Theologen ist es ungewiss, ob der Kaiser trotz der Kriegsrüstung mit Gewaltanwendung nicht doch bis nach dem Konzil warten wird (15, 4276), weshalb man seitens der Politik nichts übereilen dürfe. Hierin sollten sich die Theologen allerdings gründlich irren. Das Werben um Friedenswahrung aber bleibt in diesen Jahren beständig das Herzstück der Äußerungen Melanchthons. Das jahrelange gemeinsame Wirken mit Luther findet hier eine Fortsetzung. Unmittelbar dazu gehört für Melanchthon die Bewahrung der Studien in Kirche und Welt, durch die eine solche Friedenskultur überhaupt möglich wird.
1546 steht in vielen Briefen Melanchthons, aber auch in den seltener überlieferten seiner Korrespondenzpartner, die Luthermemoria im Vordergrund. Ihren beredtesten Ausdruck findet sie in Melanchthons Vorrede zum zweiten Band der lateinischen Reihe der Wittenberger Gesamtausgabe von Luthers Werken (15, 4277). Bekanntermaßen hatte Luther zum ersten Band 1545 selbst noch eine Vorrede verfasst, die sich in ihren biographischen Teilen an den im Band enthaltenen Schriften orientierte. Melanchthon nahm zwar auch auf einige im Band enthaltene Werke und die damit zusammenhängenden Ereignisse Bezug (z. B. Kurfürst Friedrichs Rolle), aber er legte die Vorrede insgesamt im Sinne einer Würdigung der Persönlichkeit Luthers und seiner bleibenden Verdienste an. Melanchthons Hinweis auf das Anbringen der 95 Thesen über die Kraft der Ablässe an der Schlosskirche am Tag vor Allerheiligen 1517 ist in der seit Jahrzehnten virulenten Diskussion über den Thesenanschlag zuweilen als Hörensagen abgetan worden, da er erst im Jahr danach nach Wittenberg kam. Melanchthon hat allerdings betont, dass er alle Informationen entweder von Luther erhalten habe oder auf Selbsterlebtes zurückgriff. Melanchthon würdigte Luthers Unterscheidung von Gesetz und Evangelium und Evangelium und Philosophie, seine exegetische Arbeit, aber insbesondere die Bibelübersetzung als Hinführung zu eigenständiger Arbeit an den Quellen der Lehre. Ein Blick in die Originalquelle Wi lat II zeigt, dass Melanchthons Vorrede gerahmt wird von einem Epitaphium Johannes Stigels, für das Melanchthon Vorschläge machte (vgl. 15, 4168.4216), und Luthers berühmten Disputationsthesen »De homine« vor der mit Bl. 1 beginnenden Textausgabe. Deshalb und weil »De homine« bereits in Wilat I abgedruckt wurde, sollte überlegt werden, ob Epitaphium und Thesenreihe als Bestandteile der Vorrede gelten sollten.
In Briefen an vertraute Freunde wie Joachim Camerarius in Leipzig (15, 4433), Anton Lauterbach in Pirna (15, 4434) oder Hieronymus Weller in Freiberg Anfang November 1546 – allesamt im albertinischen Sachsen – klagt Melanchthon über die Folgen, die der Krieg für das Gemeinwesen, insbesondere für Kirche, Rechtswesen und Studien mit sich bringt. Die Schuld am Krieg sieht er auf beiden Seiten, macht aber deutlich, dass der Albertiner Herzog Moritz als Angreifer die größere Schuld trägt. Die in seinem Land zum Kriegsdienst Gerufenen sollten wissen, dass es sich auf ihrer Seite um einen ungerechten Krieg ( bellum iniustum) handelt, der gegen das Tötungsverbot des Dekalogs verstößt. Melanchthon selbst würde sich um des Friedens willen nicht nur den Fürsten zu Füßen werfen, sondern gern den Tod erleiden, um beiden sächsischen Ländern (regiones) Frieden (tranquilitas) zu verschaffen (15, 4435).
Zwar hofft Melanchthon Anfang November 1546 noch immer auf einen Friedensschluss im süddeutschen Kriegsgebiet. Aber als sich die Kriegshandlungen aufgrund von Herzog Moritz’ Angriff auf Kursachsen nunmehr Wittenberg nähern (Cygnea deditione occupata est Exercitus hostilis huc adducitur.), schreibt Melanchthon am 9. November an Johannes Koch in Zerbst, dass er mit Frau und Tochter dorthin kommen wolle (15, 4442). Um den 13. November ist er dort angelangt, nicht ohne zuvor in Wittenberg noch drei Zeugnisse für ausländische Studenten verfasst zu haben, die er dem künftigen Arbeitgeber bzw. der Wohltätigkeit der Menschen anvertraut, denen sie auf ihrer Reise begegnen werden (15, 4444–4446). Melanchthon entfaltet jetzt auf verschiedenen Ebenen eine rege Tätigkeit. In politischen und kirchenpolitischen Fragen berät er den Fürsten Georg von Anhalt, reist auch zu ihm nach Dessau und geht kurzzeitig nach Magdeburg, um vor Ort für die Wittenberger Universität zu sorgen, die er aufgrund der Verweigerung durch den Rat vergeblich in Magdeburg zu sammeln versucht.
Im Jahr 1547 schreibt Melanchthon teils aus Zerbst, teils aus Wittenberg, aber auch aus Magdeburg, Braunschweig und schließlich aus Nordhausen, bis er sich seit Ende Juli, also nach acht Monaten, wieder ständig in Wittenberg aufhält. Bevorzugte Korrespondenzpartner während seiner Abwesenheit sind Georg von Anhalt, Paul Eber und Caspar Cruciger sowie Justus Jonas. Die beiden Wittenberger stehen für die Universität, deren Fortbestand trotz der gegenwärtigen Abwesenheit von Studenten und Professoren gesichert werden soll, aber auch für Wittenberg als Melanchthons zweiter Heimat. Über Georg von Anhalt laufen kirchenpolitische Informationen, während die Korrespondenz mit dem Halleschen Superintendenten Jonas, der seinen Wirkungsort zeitweise verlassen und schließlich ganz aufgeben muss, auch persönlicher Natur ist.
Mit Kurfürst Johann Friedrich, der wegen der Besetzung seines Landes den süddeutschen Kriegsschauplatz verlassen hat und zunächst auch Erfolge bei der Rückeroberung verzeichnet, korrespondiert Melanchthon teils allein, teils in Gemeinschaft mit den Wittenbergern. Er bleibt bei seiner Überzeugung, dass Krieg, auch ein erfolgreicher, immer nur Land und Leute zerstört, und der Kurfürst sich beim Kaiser um Frieden bemühen sollte, auch wenn er dafür Einbußen hinnehmen muss. Den Herzog Moritz wird Gott jetzt oder später strafen (16, 4582). Der Kurfürst seinerseits sieht keine eigene Schuld an diesem Krieg, nimmt ihn aber als Strafe an, will die Universität Wittenberg weiterhin erhalten und bittet, dass sich die Professoren nicht außer Landes begeben (16, 4613 mit 4646 und 4656). Nach der Wittenberger Kapitulation und der Gefangennahme des Kurfürsten äußert sich Melanchthon in einem Brief an Nikolaus Medler ausnehmend kritisch zur Haltung der evangelischen Fürsten. Sie hätten mit Mäßigkeit nach Wahrheit trachten und sich um die Kirche kümmern sollen. Aber sie hätten private mit öffentlichen Dingen vermischt (16, 4757).
Melanchthon bekommt in dieser Zeit viele Angebote von auswärtigen Fürsten bzw. Universitäten. Johann Friedrich lässt aus der Gefangenschaft anfragen, wo im ernestinischen Thüringen er Wohnung nehmen wolle. Aber er sieht die Verpflichtung, sich weiterhin für Wittenberg einzusetzen. Zwar gibt es Gerüchte, dass die Wittenberger mit der Leipziger Universität fusionieren soll, aber sehr bald wird klar, dass der neue Kurfürst Moritz Verbindung zu den Wittenberger Professoren sucht (17, 4812). Wie kompliziert die Situation für Melanchthon war, mit dem die Ernestiner im Juli 1547 verhandelten und davon ausgingen, dass er sich trotz der vielen Angebote der geplanten Universität Jena auch als Professor annehmen und auch Caspar Cruciger mitbringen würde (17, 4801), wird aus dem Umstand deutlich, dass sich Moritz auf dem Leipziger Landtag im Abstand von nur einer Woche gegenüber Georg von Anhalt und den Wittenbergern als evangelischer Fürst und gegen die »papistischen misbreuche« erklärte, in Aussicht stellte, die Studien und Gelehrten zu fördern sowie sich für Rechtssicherheit im Land einzusetzen. Auf sein Angebot, ihn in diesen Dingen zu bera ten, antworten die Wittenberger mit einem umfangreichen Katalog, der u. a. den Bekenntnisstand nach der Confessio Augustana einschließt wie auch die Förderung der beiden Universitäten Leipzig und Wittenberg sowie die Bestätigung von Stipendien, die Aufgaben von Konsistorien und das Superintendentenamt sowie die Pfarrerbesoldung ansprach. Auch die Nichtverfolgung von Schmähungen während des Krieges und der Durchsetzungswille des Kurfürs­ten gegenüber dem Adel gehörte zum Forderungskatalog (17, 4813).
Moritz kam diesen Forderungen weitgehend nach, bestätigte u. a. beide Landesuniversitäten sowie die Pfarrerversorgung. Das Problem der Schmähungen wird ausführlich erörtert; von den Kanzeln darf es solche nicht geben, wobei Kritik am Papsttum möglich sein soll. Die persönlichen Schmähungen gegen den Kurfürsten werden untersucht und sollen öffentlich richtiggestellt werden. Außerdem soll ein allgemeines Kirchengebet entworfen werden (17, 4814). Melanchthon übernahm diese Aufgabe und verfasste ein Gebet mit den Elementen Dank, Schuldbekenntnis, Bitte für die Kirche, Bitte für die Welt und persönliche Bitte, ein Schema, das sich bis heute im Fürbittgebet findet (17, 4823). Ein weiteres, eindrückliches Zeugnis von Melanchthons praktisch-theologischer Fähigkeit bietet ein Trostbrief an seinen Schwager Hieronymus Krapp anlässlich des Todes von dessen Tochter. Gott habe Trost in Trübsal und Linderung des Leids verheißen, was auch gelte, wenn es die Vernunft nicht zu fassen vermag. Gerade die Leiderfahrung lehre beten, glauben und hoffen. Hieran fügt Melanchthon aus persönlicher Erfahrung folgenden Gedanken an: Im Gedenken an die Tochter schwinge die väterliche Liebe im Herzen mit, ein Funke, den Gott selbst in die Herzen eingepflanzt habe, um daran zu erinnern, dass er selbst seinen Sohn und uns wirklich liebt, unser nicht vergisst und das Leid lindert (17, 4805).
Die Bände sind wie bisher mit Absender- und Adressatenverzeichnissen, Bibelstellenregistern und Personen- und Zitatenverzeichnissen ausgestattet. Den Mitarbeitern an dieser wichtigen Edition sei auch für die folgenden Bände gutes Gelingen ge­wünscht.