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Ausgabe:

April/2018

Spalte:

365–366

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Flasch, Kurt

Titel/Untertitel:

Der Teufel und seine Engel. Die neue Biographie.

Verlag:

München: C. H. Beck Verlag 2015 (2. Aufl. 2016). 462 S. Geb. EUR 26,95. ISBN 978-3-406-68412-8.

Rezensent:

Markus Vinzent

Auch wenn Kurt Flasch schlussfolgert: »Satan hat Geschichte. Was Geschichte hat, hört irgendwann auf« (384) und schließlich resümiert, dass der Teufel inzwischen »funktionslos« geworden sei und »im produktiv-lebenden Bewusstsein nur noch literarisch« vorkomme (400), so scheint er doch auf Teufel komm raus wieder Konjunktur zu haben, liegt dem Rezensenten doch schon die zweite Auflage des hier zu besprechenden Buches vor. Gewiss hängt dieser Erfolg nicht nur an dem teuflischen Thema, sondern auch an seinem »Höllenherr«, in dessen Religion wie in der des von ihm beschriebenen alten Landpfarrer Goethe es »keinen Teufel mehr« gibt, auch wenn er »als Glied der Fabelwelt […] unentbehrlich« bleibt (326). Wer dem Vf. folgt, für den war der Teufel schon von Anfang an zum Tode verurteilt. Je teuflischer die Weltsicht wurde, das wird bei diesem chronologischen Durchgang durch die Geschichte immer eindrucksvoller vorgeführt, desto stärker zog sie dem Teufel den Boden unter den Füßen weg. Der Teufel wurde zynisch internalisiert, doch er verlor damit die eigene Existenz (164 f.).
Des Vf.s »neue Biographie« baut bewusst auf älteren Beschreibungen des Teufels auf, will aber betont gegen die Vorstellung eines »starren, kirchlich kontrollierten ›Mittelalters‹« auf wesent-liche Entwicklungen auch in dieser Zeit hinweisen. Keine Frage, der Vf. hat, wie nicht anders von ihm zu erwarten, »ein gut lesbares Buch« geschrieben (17), zum Teil vergnüglich, wenn den Intrigen und Tricks des Teufels nachgespürt wird, zum Teil aufrüttelnd und anklagend, wenn den Teufelsexzessen im Denken eines Augustinus und seiner Epigonen nachgegangen wird. Augustins Einfluss hätte man gar noch deutlicher hervorheben können, und die schrecklichen Konsequenzen des von ihm entwickelten Weltdualismus zwischen den wenigen Erwählten, zu denen die Autoritäten der Kirche und später die der Inquisition gehörten, und der massa damnata, zu denen alle Nichtglaubenden oder Andersglaubenden gezählt wurden, auch alle Abweichler und vor allem nichtmännliche Kreaturen.
Der Vf. hat keine Globalgeschichte des Teufels geschrieben, auch keine Vernetzungsgeschichte, obwohl sich dies bei diesem Thema besonders angeboten hätte, wenn gleich zu Anfang ausgeführt wird, dass »der Teufel […] nicht aus Europa« stammt (15). Wenn nicht aus Europa, woher kommt dieser schwarze Peter dann? Es ist nicht unproblematisch, gerade im Deutschland des 21. Jh.s, diesen »der Hebräischen Bibel« zuzuschieben und zu schlussfolgern, dass er daher »bei Juden, Christen und Muslimen« zu finden sei. Diese Kurzsicht übersieht, dass der europäische Teufel noch gar nicht in der Torah vorkommt, sondern ein interkulturelles Produkt der Begegnung zwischen Israel und dem persischen Reich darstellt, das nicht erst im Christentum sein Übel verbreitet. Wie man Siege gerne teilt und Verluste lieber abschiebt, so wäre es vielleicht doch ehrlicher gewesen, den Teufel, »mit dem Europäer sich befaßten«, auch ein Produkt der Europäer sein zu lassen. Nachdem Europäer keine der Weltreligionen hervorgebracht haben, müssten sie doch zu­mindest der Tatsache ins Auge sehen, dass sie die weltweit nicht nur drastischsten Teufelstheorien und -verehrungen produziert und kolonial exportiert, sondern auch die teuflischsten Taten aus ihnen abgeleitet haben: angefangen von dem Wunsch des Justin, der römische Staat solle seine Glaubensbrüder, für deren Einsicht er betete, verfolgen; des Augustin, der Staat solle mit Zwangs-maßnahmen den gegnerischen Donatisten begegnen; des Martin Luther, der sich in Erfurt 1505 »sinnenfällig mit dem Teufel« herumschlug (189), dessen Theologie aber »erblüht als Satanologie« (165). Was der Vf. zur Hexenjagd und der Dämonisierung der Frauen zu sagen hat, ist viel zu blass, theoretisch und an Schriften entlang formuliert, die die reiche Forschung zu den unsäglichen Qualen und sadistisch-mörderischen Torturen, mit denen die In­quisition nicht nur, aber vor allem Frauen zu Tode gequält hat, weithin außer Acht lässt. Wenn es hier heißt, dass »Starre, Selbstsicherheit und Gnadenlosigkeit […] einen moralischen Tiefpunkt in der Ge­schichte der Christenheit« dokumentieren, dann reicht solche His­toriographie nicht an die von Joachim C. Fest in seiner Laudatio zu Golo Mann geforderte »Gerechtigkeit« des Historikers heran.
Dennoch sind die detailliertesten Passagen gerade diejenigen, in denen der Vf. aus seinen Spezialgebieten fast zu plaudern beginnt und das differenzierte Bild des Mittelalters souverän vorführt. Hier gab es die Adepten des Augustinus, die dessen Manichäismus selbst mit großer Reflexion nicht überwinden konnten, während solche, die in Augustinus den Neuplatonismus schätzten und auf diese Seite Augustins aufbauend weiterdachten, fast jeglichen Teufelsglauben und die damit verbundene und nicht weniger gefürchtete Hölle mit all ihren Strafen aufgeben konnten. Ein leuchtendes Beispiel für letztere Position ist der Ire Eriugena aus dem 9. Jh. (210–220). Vorweg hat der Vf. »theoretische Möglichkeiten« vorgeführt, mit denen einer christlichen Lehre vom Teufel aus christlicher Überlegung heraus grundsätzlich hätte widersprochen werden können (207–209).
Wer sich mit dem Teufel beschäftigt, wie der Vf. in diesem Buch, der kann allerdings nicht rational und unemotional bleiben, spielt doch der Teufel viel stärker auf der physischen und emotional-seelischen als auf der rationalen Ebene seine apokalyptische Musik. Vielleicht legt man deshalb diese Biographie nicht wirklich zufrieden aus der Hand. Auch wenn vorgeführt wurde, dass es gerade rationale Überlegungen im Mittelalter und in der Moderne waren, die den Teufelsglauben ad absurdum geführt haben, so waren es doch durch die Geschichte hindurch, wie auch immer wieder in diesem Werk durchklingt, gerade nichtrationale Gründe, die seine Existenz und seinen Einfluss befördert haben. Warum die Teufelsexzesse bis hin zum Holocaust in so drastischer Weise in einer immer stärker rational geprägten westlich-christlichen Welt anzutreffen waren, und warum es gerade diabolische Strategien der Diffamierungen, Exklusionen und Exterminationen sind, die sich in monotheistischen Kulturräumen finden, zwingt dazu, die Teufelsfrage in einer entzauberten Weberschen Welt nicht zur Seite zu schieben. Sie aufzuarbeiten muss über die Form einer auf Individualisierung angelegten Biographie des Teufels hinausgehen und den kritischen Nexus zwischen »Gott und Teufel«, den der Vf. in seinem Werk ebenfalls hergestellt hat, weiter verfolgen. Ich bezweifle deshalb, dass der Teufel sein Leben ausgehaucht hat und Gott und Teufel lediglich als »Bild« zu nehmen sind für einen »für alle Ewigkeit festgeschriebenen Moralismus von Gut und Böse, von Himmel und Hölle«.