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Ausgabe:

April/2018

Spalte:

343–345

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Tucker, Paavo N.

Titel/Untertitel:

The Holiness Composition in the Book of Exodus.

Verlag:

Tübingen: Mohr Siebeck 2017. IX, 230 S. = Forschungen zum Alten Testament. 2. Reihe, 98. Kart. EUR 79,00. ISBN 978-3-16-155190-1.

Rezensent:

Eckart Otto

Es ist die Aufgabe der Pentateuchforschung, Auskunft darüber zu geben, wie das Ganze des Pentateuchs von Gen 1–Dtn 34 Gestalt gewonnen hat. Sind einzelne Abschnitte des Pentateuch Thema einer literaturhistorischen Untersuchung, so sollte Auskunft darüber gegeben werden, wie sich dieser Abschnitt in das literarische Werden des Pentateuch einfügt, was insbesondere dann auch gelten sollte, wenn die These eines literarisch eigenständigen Tetrateuch vertreten wird, wie in der hier anzuzeigenden Monographie von Paavo N. Tucker, Adjunct Professor of Hebrew and Old Testament an der Lipscomb University, der seine Dissertation am As-bury Theological Seminary von 2016 zugrunde liegt. Diese wurde von Bill T. Arnold betreut, der in mehreren Aufsätzen die These vertreten hat, dass die Autoren des Heiligkeitsgesetzes (H) in Lev 17–26 auch für die traditionell der Priesterschrift (P) zugewiesenen Texte der Urgeschichte unter Einschluss der Schöpfungserzählung in Gen 1,1–2,4a (cf. FS Williamson, VT.S 153, 2012) und für die Bundeserzählung in Gen 17 verantwortlich zeichnen.
Der Vf. will diese These auf das Buch Exodus ausdehnen. Dazu muss er aber zunächst die literaturhistorische und theologische Differenzierung zwischen P und H, die der überwiegenden Mehrzahl der Exegeten als Pfeiler der Pentateuchforschung gilt, einebnen, um die Priesterschrift im Buch Exodus als H-Redaktion/Komposition ausweisen zu können. »Against Knohl and Milgrom, who contend that P and H represent competing priestly schools with distinct theologies and against Cholewinski and Otto, who describe the relationship of H and P as polemic, the differences within the Priestly materials involve relatively minor cultic matters« (34). Nicht abzuweisende Differenzen zwischen P und H werden der Differenz von Redaktion und Tradition oder einem narrativen Progress in H zugeschrieben, was ein Zirkelschluss ist, der die Zuordnung zu H voraussetzt. Doch auch dann ist die literarische Komplexität von H nicht auf eine Redaktion zu reduzieren, so dass der Vf. mit einer Mehrschichtigkeit von H rechnen muss, so, wenn in Ex 12 eine Grundschicht in Ex 12,1–14.28 (traditionell PG) in Ex 12, 15–20.43–47 innerhalb von H erweitert worden sein soll. Da Ex 12,1–14 eine Parallele in Lev 23,5 hat, sei hier H der Verfasser. In Ex 13,3–16 sieht der Vf. eine Verknüpfung von Passa und Mazzot Dtn 16 entsprechend, worauf in Ex 12,15–17 »reflects a post-Holiness Code (Lev 23:6–8) layer of material by an author neverless in the Holiness School« (105). Wie aber gelangt die Perspektive des Deuteronomiums so in die Redaktion der priesterlichen H-Schule, dass Autoren dieser Schule sich veranlasst sehen, darauf korrigierend zu reagieren? Schon hier wird erkennbar, dass der Frage, welchen Einfluss das Deuteronomium auf die Literaturgeschichte von Ex 12–13 hat (cf. dazu E. Otto, Deuteronomium 12,1–23,15, HThKAT, 2016, 1390–1398), zu wenig Aufmerksamkeit gewidmet wird, was auch für die Verse Ex 6,2–8 gilt, die für die Paränese des Heiligkeitsgesetzes in Lev 17–26 grundlegend sein sollen. Hier wie dort bleibt das Ineinander priesterlicher und deuteronomistischer Sprache und Theologie ohne Erklärung.
In der zweiten Hälfte des Exodusbuches in Ex 16–40 soll der Manna-/Sabbaterzählung in Ex 16 als Verbindung der Exodus- mit der Sinaiperikope und darüber hinaus mit der Sabbatmotivik der Schöpfungserzählung in Gen 2,2–3 eine wichtige Schüsselstellung zukommen. Doch dass es sich nicht um eine priesterliche Erzählung der H-Komposition handelt, wird deutlich, wenn man die Verknüpfungen mit Num 11 und Num 14 in Rechnung stellt (cf. R. Achenbach, BZAR 3, 2003, 232–236), sind wir doch auch nach der Vorstellung des Vf.s mit diesen Kapiteln bereits jenseits des Tetrateuch einer Holiness-School. Mit Ex 16 entfällt auch Ex 31,13–17; 35, 1–3 als Teil einer priesterlichen Komposition H, da dieser Text als Erstnennung des Sabbatgebots nicht funktioniert und Ex 16 und Ex 20,8–11 voraussetzt. Wenn der Vf. in H=P keine Quelle, sondern eher eine Redaktion sieht, die sich in diesem Fall der vorpriesterschriftlichen Überlieferungen im Exodusbuch bedient und also auch des Dekalogs in Ex 20,8–11, wäre zu erwarten gewesen, dass er zumindest skizziert, welche Gestalt eine vorpriesterliche Sinaiperikope unter Einschluss des Dekalogs haben sollte, da Ex 31,13–17; 35,1–3 ohne Ex 16; 20,8–11 in der Luft hängt. Diese Auskunft wird umso dringlicher, wenn, wie auch der Vf. sieht, in Ex 31,13–17 neben Ex 20,11 auch Ex 23,12 und Dtn 5,12.15 rezipiert werden. Mit guten Gründen hat deshalb C. Nihan (FS R. Albertz, AThANT 104, 2014, 131–146) in Ex 31,13–17 eine Redaktion gesehen, die Gen 2,2–3; Ex 20,8–11; 23,12 sowie Dtn 5,12–15 verknüpft und H bereits voraussetzt und die R. Achenbach (BEThL 215, 2008, 145–175) einer Pentateuchredaktion zuschreibt, da »wir in Ex 31 einen Text vor uns haben, dessen Horizont Dtn und Heiligkeitsgesetz gleichermaßen umfasst«. Hier wie bereits in Ex 6; 12–13; 16 wird das Grundproblem dieser Studie mit ihrer ausschließenden Konzentration auf bisher der Priesterschrift zugewiesene Texte deutlich. Doch kann der Vf. nicht umhin, mit Ex 6; 12–13; 31 auch Texte für H heranzuziehen, die Perspektiven des Deuteronomiums voraussetzen und integrieren, um eine Verbindung der priesterschriftlichen Texte mit denen des Heiligkeitsgesetzes in Lev 17–26 herzustellen. Gerade diese Kapitel Lev 17–26 sind von Lev 1–16 deutlich dadurch abgehoben, dass sie Perspektiven des Buches Deuteronomium mit solchen der Priesterschrift verknüpfen (cf. E. Otto, Priesterschrift und Deuteronomium im Buch Levitikus, VWGTh 40, 2015). Wenn für den Vf. H die Funktion einer sich von Gen 1 bis Lev 26 erstreckenden Redak tion hat, bleibt die für die Pentateuchforschung zentrale Frage ungeklärt, wie das Deuteronomium Teil des Pentateuch wurde, aus einem Tetrateuch der Holiness-School also ein Pentateuch von Gen 1 bis Dtn 34. Die Studie hat damit, dass diese Frage vermieden wird, Anteil an der Deuteronomiumsvergessenheit einiger neuerer Beiträge zur Pentateuchforschung, was noch dadurch unterstrichen wird, dass der Vf. auf jede literaturhistorische Einordnung und Datierung der H-Komposition verzichtet.
Diese Grenzen in der Schlüssigkeit der These des Vf.s zurückgestellt, hat er eine stets im Argumentationsgang gut nachvollziehbare und insofern konzise Studie vorgelegt, die in einer bewundernswerten Breite auch gerade die jüngste deutschsprachige Literatur rezipiert und diskutiert. Der Vf. hat damit einen wichtigen Diskussionsbeitrag zur gegenwärtigen Pentateuchforschung ge­liefert, der eine breite Aufmerksamkeit und Rezeption verdient.