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Ausgabe:

April/2018

Spalte:

326–327

Kategorie:

Bibelwissenschaft

Autor/Hrsg.:

Himbaza, Innocent [Ed.]

Titel/Untertitel:

Making the Biblical Text. Textual Studies in the Hebrew and the Greek Bible. Ed. with the collaboration of M.-G. Roth-Mouthon. Publications of the Institut Dominique Barthélemy, 1.

Verlag:

Fribourg: Academic Press Fribourg; Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2015. XIV, 199 S. m. 4 Abb. = Orbis Biblicus et Orientalis, 275. Geb. EUR 65,00. ISBN 978-3-7278-1772-4 (Academic Press Fribourg); 978-3-525-54399-3 (Vandenhoeck & Ruprecht).

Rezensent:

Martin Rösel

Der Sammelband macht die Vorträge zugänglich, die im November 2011 im Rahmen eines Symposions des »Institut Dominique Barthélemy« in Fribourg gehalten wurden. Dabei lässt sich der Titel durchaus in doppelter Hinsicht verstehen, es geht sowohl um die Frage, wie der Text der hebräischen und griechischen Bibel entstanden ist, als auch darum, vor welchen Problemen heutige Textausgaben stehen. Die Beiträge vermitteln ein Bild von der Komplexität gegenwärtiger textkritischer Forschung, bei der es an vielen Stellen Überschneidungen mit Fragen von Literarkritik und Re­daktionsgeschichte gibt. Die Beiträge im Einzelnen:
Thomas Römer, From Deuteronomistic History to Nebiim and Torah (1–18), stellt Indizien zusammen, wonach es in der frühen Perserzeit eine Redaktion des deuteronomistischen Geschichtswerks gegeben habe, die die Perspektive des Lebens in der Gola in die Texte eintragen. Dazu gehören etwa Dtn 6,6–9 als Gründungsmythos von Synagogen oder der paradigmatische Tod Moses in der Diaspora. Weitere Elemente sind die neu geschaffenen Verbindungen zwischen DtrH und prophetischen Überlieferungen, so dass letztlich die heutige Struktur von Tora, vorderen und hinteren Propheten entstand.
Jan Joosten, The Tiberian Vocalization and the edition of the Hebrew Bible Text (19–32), stellt die Frage, ob in der geplanten »Hebrew Bible Critical Edition« die spätere masoretische Punktation noch einen Platz hat, und wenn ja, welchen. Als Prinzip gilt, dass in der Edition vom MT abweichende, erschlossene Texte nicht punktiert werden. Ansonsten wird aber die Punktation geboten, weil sie an vielen Stellen alte Lesetraditionen konserviert hat, die noch aus der Zeit des 2. Tempels stammen, wie an Beispielen gezeigt wird.
Adrian Schenker, Die Tiqqune sopherim im Horizont der biblischen Text-geschichte – Theologische Korrekturen, literarische Varianten im alttestamentlichen Text und Textvielfalt: wie gehen sie zusammen? (33–47). Der Herausgeber der BHQ beschäftigt sich mit der Frage, wie man sich die Korrekturen autoritativer Texte im Altertum vorzustellen hat. Er skizziert eine Mo­dell-vorstellung maßgeblicher Texteditionen und darauf folgender maßgeblicher Überarbeitungen, die autoritative Instanzen voraussetzt, welche ihrerseits prophetisch legitimiert sind. Parallel dazu entwickelten sich dann pseudepigraphe Stoffe und rewritten bibles, die auf je eigene Weise Autorität beanspruchten.
Philippe Hugo, »Dreissig Jahre war David alt, als er König wurde …« (2Sam 5,4). Literarische und textkritische Studie der Regierungsnotizen in den Samuelbüchern (48–61). Die Untersuchung bestätigt anhand der Texte 2Sam 2,11; 5,4 f.; 1Kön 2,11 den schon andernorts erhobenen Befund, dass Septuaginta und Vetus Latina eine ältere Textform als die proto-masoretische bezeugen.
Matthieu Richelle, Revisiting 2 Kings 13:14–21 (MT and LXX). The Transposition of a Pericope and Multiple Literary Editions in 2 Kings (62–81). Auch die Untersuchung der Perikope über den Tod Elisas legt das Ergebnis nahe, dass die griechische und altlateinische Überlieferung ein älteres Stratum des Textes erhalten haben. An diesem Aufsatz wird besonders deutlich, wie komplex die Antworten auf textkritische Problemstellungen sein können, weil sie in kompositionskritische und redaktionsgeschichtliche Fragestellungen hineinreichen.
Das gilt auch für den Beitrag von Yohanan P. Goldman, Du sacerdoce à la royauté: une suppléance hasmonéenne sur le trône de David selon le texte massorétique de Zacharie 6,11–15? (82–99). Er zeigt, dass sich in Sach 6 Überarbeitungen aus hasmonäischer Zeit finden; auch hier habe die LXX eine ältere Textform erhalten, als sie der MT überliefert.
Innocent Himbaza, Masoretic Text and Septuagint as Witnesses to Malachi 1:1 and 3:22–24 (100–117), untersucht die Korrespondenz zwischen Anfang und Ende des hebräischen und griechischen Maleachi-Buches. Auch er kommt zu dem Ergebnis, dass die LXX eine ältere Textversion bezeugt. Sie zeige, dass die Erwähnung des Mose zuerst am Ende des Buches zugesetzt wurde (V. 24), in der hebräischen Version sei sie dann an eine neue Position als V. 22 gerückt worden, um so die korrekte Abfolge der Personen zu erreichen.
Armin Lange, The Book of Jeremiah and the Hebrew and Greek Texts of Ben Sira (118–161), legt eine sehr interessante Studie vor, in der er zeigt, dass die hebräische Version des Sirachbuches in Zitaten und Anspielungen eine Textform des Jeremiabuches bezeugt, die dem MT nahesteht. Bei der Übersetzung wurde der Text aber an die Jeremia-LXX angepasst. Diese komplexe Intertextualität lege nahe, dass mit konkret vorliegenden Texten gearbeitet wurde, nicht mit Zitaten aus dem Gedächtnis.
Beigefügt ist eine Gesamtbibliographie aller Aufsätze (162–186), was nicht ganz einleuchtet, da die bibliographischen Angaben be­reits in den Fußnoten der einzelnen Artikel gegeben wurde. An vielen Stellen irritieren Trennungen mitten in der Zeile beim Lesen.
Der Sammelband ist wegen der verschiedenen Hinweise wichtig, wonach die LXX ältere Textformen bewahrt hat, worauf auch bei redaktionsgeschichtlichen Rekonstruktionen Rücksicht zu nehmen ist. Ebenso sollte die von A. Schenker aufgewor­fene Frage diskutiert werden, wie man sich die Überarbeitungsprozesse institutionell vorzustellen hat. Leider wird nicht do­kumentiert, ob es im Rahmen des Symposions mit den sehr unterschiedlichen Thesen zur Überarbeitung der Bücher eine Diskussion dazu gab.