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Ausgabe:

April/2018

Spalte:

324–326

Kategorie:

Bibelwissenschaft

Autor/Hrsg.:

Gerhards, Meik

Titel/Untertitel:

Protevangelium. Zur Frage der kanonischen Geltung des Alten Testaments und seiner christologischen Auslegung.

Verlag:

Stuttgart: Verlag Katholisches Bibelwerk 2017. 208 S. = Stuttgarter Biblische Studien, 237. Kart. EUR 28,00. ISBN 978-3-460-03374-0.

Rezensent:

Walter Bührer

Meik Gerhards verfolgt in zwei Anläufen das Ziel einer theologischen Exegese der biblischen Texte, die von der Einheit der Heiligen Schrift ausgeht und dahin in der Absicht wieder zurückkehrt, sie zu bestätigen: Im ersten Teil wird hierzu das Gespräch mit Notger Slenczka über die von Slenczka in Frage gestellte kanonische Geltung des Alten Testaments gesucht, im zweiten Teil ein eigener Versuch einer aus der Perspektive des Alttestamentlers exegetisch verantworteten christologischen Auslegung des Alten Testaments gewagt.
In Auseinandersetzung mit Slenczkas Thesen (vgl. hierzu N. Slenczka, Vom Alten Testament und vom Neuen. Beiträge zur Neuvermessung ihres Verhältnisses, Leipzig 2017) behandelt G. die Frage nach dem Verhältnis von Kirche und Judentum bzw. von Altem Testament und Hebräischer Bibel, die Frage nach dem (Slenczka und ihm selber) zugrundeliegenden theologischen Ansatz und dem damit jeweils einhergehenden Schriftverständnis sowie schließlich die Frage der Möglichkeit christlicher Rezeption des vorchristlichen Alten Testaments. Bei letzterem Punkt geht es G. »vor allem darum, Slenczkas einseitige Betonung des historisch ursprünglichen Textsinns« aus einer exegetischen Perspektive, die die Autonomie der Texte gegenüber ihren Autoren betont, »zu­rückzuweisen und die Legitimität einer spezifisch christlichen Rezeption alttestamentlicher Texte im Rahmen einer Korrelation des Verstehens mit dem neutestamentlichen Christuszeugnis zu begründen« (41–42). Seinen von der Einheit der Heiligen Schrift als Medium des Wortes Gottes ausgehenden theologischen Ansatz beschreibt G. bereits in Vorwort und Hinführung. Hier nun wertet er Slenczkas Thesen zur Nicht-Kanonizität des Alten Testaments u. a. als Folge von dessen »entsubstantialisierte[r] Christologie« (66) und fordert dagegen den Einsatz beim kirchlichen Bekenntnis statt beim gläubigen Selbstverständnis (64 ff.). Bei der ersten Frage vertritt G., dass Christentum und Judentum gleichermaßen im Recht sind, sich als Gottesvolk Israel zu verstehen, insofern beide Religionen den Textbestand des Alten Testaments je spezifisch rezipiert haben und rezipieren, und zeigt dies beispielhaft anhand der un­terschiedlichen Kanonsgestalten und den darin implizierten Hermeneutiken und Theologien.
Hermeneutische Konsequenz von G.s theologischem Ansatz ist die Auslegung der »Einzeltexte der Bibel als Teil des Ganzen«, »dessen Zentrum Jesus Christus ist (analogia fidei).« (105) Dies erfolgt durch eine Kombination der historisch-kritischen Exegese als erstem Arbeitsschritt mit »Ansätzen der traditionellen Bibelhermeneutik« (32), namentlich der Typologie (vgl. 134–146). Dabei werden zwei Ziele verfolgt, die zugleich als Prüfstein für eine erfolgreiche christologische Auslegung alttestamentlicher Texte fungieren: »ein vertieftes Verständnis alttestamentlicher Texte im Licht des neutestamentlichen Christuszeugnisses« einerseits und »eine Be­reicherung des Verständnisses von Wirken, Sterben und Auferstehen Jesu, wenn dieses in der Fluchtlinie der behandelten Texte wahrgenommen wird«, andererseits (106–107; vgl. 180–181). Exemplarisch wird dies anhand von Gen 3 erarbeitet: Traditionell wurde Gen 3,15, Teil des Fluches über die Schlange im Garten Eden, als erster Hinweis auf die Erlösung in Jesus Christus und damit als Prot(o)evangelium verstanden. G. weist ausführlich nach, weshalb dies aus exegetischer Sicht nicht haltbar (und daher schon lange nicht mehr vertreten worden) ist. Stattdessen findet G. in Gen 3,21 eine »Vorausdarstellung der Erlösung in Jesus Christus« (131) und damit ein neues Prot(o)evangelium:
Nach den Strafsprüchen über die Menschen und der Benennung der Frau machte Gott den Menschen Röcke aus Fell und bekleidete sie. Dies interpretiert G. als Eröffnung einer Perspektive »einer neuen, von Gott geschenkten Existenzweise, die nicht von der Sünde und den durch sie bedingten Existenzminderungen bestimmt ist« (150), da Gott durch die Kleidung den Menschen ihre Würde zu­rückgibt und sie so von der durch den »Sündenfall« in die Welt gekommenen »Angst um sich selbst«, der »Wurzel der Sünde« (ebd.), befreit. Die Perspektive von Gen 3,21 wird indes im Alten Testament nach G. nicht erfüllt, vielmehr wird die »neue, nicht von der Sünde bestimmte Existenzweise« erst »durch Tod und Auferstehung Jesu Christi« verwirklicht (163). Damit ist ein heilsgeschichtlicher Zusammenhang zwischen Altem und Neuem Testament aufgedeckt und die Einheit der Heiligen Schrift zumindest für diesen Text erwiesen.
Mit der Kombination von historisch-kritischer Exegese mit ty­pologischer Auslegung bemüht sich G. einerseits um ökumenische Verständigung im Bereich der Bibelauslegung (30–33) und andererseits um die virulente Frage nach dem exegetischen Um­gang mit innerbiblischen Auslegungspraktiken. Der Rezensent hält beide Anliegen für wichtig. Indes ist ihm aus exegetischen Gründen fraglich, ob in Gen 3,21 eine Perspektive sündlosen Lebens eröffnet wird. Die weiteren Texte der Urgeschichte als unmittelbarer Kontext zeigen, dass sich Gottes Beziehungswillen (vgl. dazu 179) vor und nach der Sintflut gerade auf die sündige Menschheit bezieht (vgl. Gen 4,15; 8,21–22). Damit besteht gerade in dem auch hier belegten Beziehungswillen Gottes zur Menschheit eine Klammer zwischen Altem und Neuem Testament.