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Ausgabe:

März/2018

Spalte:

282–284

Kategorie:

Ökumenik, Konfessionskunde

Autor/Hrsg.:

Goodhew, David [Ed.]

Titel/Untertitel:

Growth and Decline in the Anglican Communion. 1980 to the Present.

Verlag:

London: Routledge 2017. XV, 307 S. = Routledge Contemporary Ecclesiology. Kart. £ 26,99. ISBN 978-1-4724-3363-3.

Rezensent:

Hanns Engelhardt

Die »großen« Kirchen in Europa klagen generell über Mitgliederschwund. Die Zahl der Taufen und Eintritte bleibt hinter dem Verlust durch Tod und Kirchenaustritt zurück. Da lohnt sich ein Blick über den geographischen und konfessionellen Tellerrand auf die Mitgliederentwicklung der Anglikanischen Gemeinschaft (AG) als der weltweit drittgrößten Kirchengemeinschaft.
Im Mittelpunkt des hier anzuzeigenden Buches stehen zwölf Länderstudien (Ghana, Nigeria, Kongo, Kenya und Südafrika in Afrika, die Kirche von Südindien, Singapur, Südkorea und Australien in Asien und Ozeanien, USA und Südamerika in Amerika sowie ab­schließend England), die eingerahmt werden durch eine Einführung und eine Schlussbetrachtung des Herausgebers David Goodhew sowie einen einleitenden Gesamtüberblick über den weltweiten Anglikanismus (T. M. Johnson und G. Zurlo) und ein Nachwort von Graham Kings.
Der einleitende Grundsatzbeitrag des Herausgebers behandelt in vier Abschnitten Grundsatzfragen von Wachstum und Rückgang in der Anglikanischen Gemeinschaft, Schlüsselergebnisse der Untersuchung, Wachstum und Rückgang und die Säkularisationstheorien, Globaler Anglikanismus und Ekklesiologie. Im ersten Abschnitt erörtert er die Frage, was Wachstum und Rückgang denn seien und warum sie bedeutungsvoll seien, welche geläufigen An­nahmen darüber in der vorhandenen Literatur zu finden seien und wie Wachstum und Rückgang gemessen würden. Er weist darauf hin, dass die genannten Begriffe sich auf verschiedene Aspekte kirchlichen Lebens beziehen können, und nennt den Dienst der Kirche an der Gemeinschaft, die individuelle Heiligung und die Mitgliederzahl der Gemeinden. Der vorliegende Band beschränkt sich auf die Erörterung des dritten Aspektes.
Im zweiten Abschnitt gibt Goodhew einen Überblick über die Ergebnisse der Länderstudien. Er stellt für die gesamte Kirchengemeinschaft ein deutliches Wachstum fest, aber »dramatic variations« bei den einzelnen Provinzen; diese stehen »on a continuum between rapid growth and rapid decline«. Dabei zeigt sich im Ganzen eine Schwerpunktverschiebung zu der nichtwestlichen Welt. Der Anteil Europas hat sich von 1970 bis 2010 etwa halbiert (62 % auf 31 % aller Anglikaner), der Anteil Nordamerikas ist von 9 % auf 3 % gesunken, der Afrikas von 16 % auf 58 % gestiegen. Auch die asiatischen Provinzen sind stark gewachsen, bleiben aber im Gesamtrahmen der Gemeinschaft immer noch klein. Der anteilige Rückgang in Europa liegt allerdings nicht in erster Linie an einem Sinken der absoluten Mitgliederzahl – obwohl auch dies teilweise festzustellen ist, da z. B. die Mitgliederzahl der Church in Wales auf wenig mehr als die Hälfte gesunken ist – sondern an dem numerischen Wachstum der afrikanischen Provinzen. In Nordamerika kommt freilich ein starker Rückgang der Mitgliederzahl (in den USA um fast ein Viertel, in Kanada noch stärker) hinzu. Zusammenfassend: Wenn man bedenke, dass das Christentum auch in der Frühzeit mehrheitlich in Ländern verbreitet gewesen sei, die heute als »Global South« bezeichnet werden, könne man diese Entwicklung auch als Rückkehr zu einem früheren Muster ansehen.
In seinem dritten Abschnitt wendet Goodhew sich Problemen zu, die über den Bereich des Anglikanismus hinausreichen. Zu­nächst untersucht er, ob sich eine Beziehung zwischen Mitgliederwachstum und -rückgang und dem Phänomen der Säkularisierung feststellen lässt. Auf den ersten Blick lässt sich das nicht ausschließen; Goodhew weist aber darauf hin, dass man auch hier differenzieren muss. So weist die Diözese London seit längerer Zeit ein beständiges Wachstum auf. Vieles spricht dafür, dass dazu vor allem ökonomische Beweglichkeit, die nicht unbedingt mit Wohlstand gleichzusetzen ist, sich positiv auswirken kann. Jedenfalls sieht Goodhew keinen überzeugenden Beweis dafür, dass Modernisierung unbedingt mit einem Rückgang der Kirchlichkeit einhergehen muss.
Selbstverständlich ist auch die demographische Entwicklung einer Region für die Entwicklung der Kirchenmitgliederzahl von Bedeutung. Indes stellt er fest, dass die Mitgliederzahl einiger anglikanischer Provinzen schneller wächst, andernorts langsamer als die Gesamtbevölkerung; außerdem gibt es Orte (z. B. Singapur), wo die anglikanische Kirche zeitweilig schneller wächst als die Ge­samtbevölkerung, später aber hinter ihr zurückbleibt. Schließlich sind auch geographische Gegebenheiten zu berücksichtigen. In manchen Gegenden breitet der Anglikanismus sich – ähnlich wie in der kirchlichen Frühzeit – entlang von Handelswegen und von den städtischen Zentren aufs Land aus; in anderen lässt ein solcher Zusammenhang sich nicht feststellen.
In seinem vierten Abschnitt erörtert Goodhew einige ekklesiologische Fragen, die durch die Ergebnisse der in dem Buch zusammengestellten Untersuchungen aufgeworfen werden. In diesem Zusammenhang beschreibt er den Anglikanismus sehr treffend als »a divers mosaic of Christian traditions, which includes almost every aspect of global Christianity from the most liberal to the most traditional, from the lowest of low church to the highest reaches of anglo-catholicism«. Er beschreibt den Einfluss des Pfingstkirchent ums auf die anglikanischen Kirchen und ihr Wachstum, die Bedeutung fester kirchlicher Strukturen in eher chaotischen Gesellschaften (Kongo) und die Bedeutung der Stärke des Laienengagements und sozialer Aktivität. Im Vergleich zu anderen Denominationen zeigt sich wieder die regionale Verschiedenheit. Ab­schließend mahnt Goodhew angesichts dramatischer Verschiebungen zu Recht Vorsicht in der Beurteilung an.
T. M. Johnson und A. A. Zurlo beginnen ihren Überblick über den Wandel in der Demographie des globalen Anglikanismus mit der Frage: Wer ist ein Anglikaner? Ausgehend von der Aussage, dass grundsätzlich alle Menschen, die sich als Anglikaner verstehen, als solche anzusehen sind, führen sie doch aus, dass Anglikanismus mehr ist als individuelle Selbstidentifikation. Eingehend befassen sie sich auch mit den Problemen, die sich bei der Feststellung von Wachstum und Rückgang ergeben. Die beigefügten Statistiken lassen die regionalen Unterschiede deutlich werden. So ist die Zahl der Anglikaner in Kenia, Uganda und Tansania auf das Acht- bis Zehnfache gestiegen, in Burundi sogar auf das Neunzehnfache, in den USA um ein Drittel und in Kanada sogar um fast die Hälfte gefallen. Für die Zukunft vermuten sie, dass bis 2050 Nigeria und Uganda als mitgliederstärkste Provinzen England auf den dritten Platz verwiesen haben werden.
Die einzelnen Länderstudien können hier nicht im Einzelnen gewürdigt werden; sie liefern eine überzeugende Grundlage für die Ausführungen in den allgemeinen Beiträgen. – In seiner »Conclusion« fasst Goodhew die Einzelergebnisse und ihre Bedeutung noch einmal zusammen unter dem treffenden Motto: »Christianity is never as weak as it appears, nor as strong as it appears« (Philip Jenkins). Bischof Kings stellt in seinem »Afterword« die Wachstumsproblematik in größere theologische Zusammenhänge. Er betont d ie Unsicherheit von Prognosen, die freilich auch damit zusammenhängt, dass bestimmte Entwicklungsmöglichkeiten nicht hinreichend berücksichtigt werden.
Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass dieses Buch einen wichtigen Beitrag zur Kenntnis kirchlicher Entwicklung, ihrer Bedingungen und ihrer Möglichkeiten darstellt und als solcher auch außerhalb des Bereichs der Anglikanischen Gemeinschaft Aufmerksamkeit verdient.