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Ausgabe:

März/2018

Spalte:

259–261

Kategorie:

Systematische Theologie: Ethik

Autor/Hrsg.:

Frick, Marie-Luisa

Titel/Untertitel:

Zivilisiert streiten. Zur Ethik der politischen Gegnerschaft.

Verlag:

Ditzingen: Verlag Philipp Reclam jun. 2017. 94 S. = Reclams Universal-Bibliothek, 19454 [Was bedeutet das alles?]. Kart. EUR 6,00. ISBN 978-3-15-019454-6.

Rezensent:

Alexander Dietz

Marie-Luisa Frick, assoziierte Professorin am Institut für Philosophie der Universität Innsbruck, hat in der Reclam-Reihe »Was bedeutet das alles?« einen außerordentlich anregenden und trotz des geringen Umfangs gehaltvollen Beitrag zum Diskurs zur politischen Ethik geliefert. Vor dem Hintergrund der gegenwärtigen politischen Polarisierung der Gesellschaft erinnert sie Politiker, Journalisten, Wissenschaftler und Bürger an grundlegende Regeln eines zivilisierten Umgangs mit Andersdenkenden. Die Untersuchung ist in vier Teile gegliedert: Einleitung, Theorie politischer Konflikte, Ethische Grundprinzipien zum Austragen politischer Konflikte sowie Umgang mit jenen, die Demokratie und Menschenrechte bekämpfen.
F. geht von der Grundannahme aus, dass nicht auflösbare Konflikte wesenhaft zur politischen Kultur in einer liberalen Demokratie gehören, die sich der Wahrung der Grund- und Menschenrechte verpflichtet hat. Sie vertritt also ein agonistisches De­mokratieverständnis in Abgrenzung zu deliberativen Demokratietheorien, nach denen Konflikte in einen vernünftigen Konsens aufgelöst werden sollten. Klar begründet sie, warum solche Ansätze dazu tendierten, Andersdenkenden die Vernunft und letztlich die Existenzberechtigung abzusprechen, anstatt die legitime Vielfalt an Interessen und Weltanschauungen auszuhalten. F. bezeichnet das Phänomen, politische Konflikte dadurch auflösen zu wollen, dass man anderen die »richtigen« Interessen verordnet unter An­drohung von Stigmatisierung, als »identitären Fehlschluss« (Verabsolutierung der eigenen Weltanschauung). Dabei stellt sie nicht das Recht in Frage, andere Positionen zu kritisieren. Die Instru mentalisierung der Begriffe »fake news« und »postfaktisch« entlarvt F. als erkenntnistheoretisch naiv. In Anlehnung an Chantal Mouffe warnt sie vor einer Ersetzung politischer Kategorien durch moralische sowie vor einer Interpretation der politischen Gegnerschaft als Feindschaft.
Mit den Konzepten der Demokratie und der Menschenrechte sind bereits die normativen Grundlagen benannt, aus denen F. transparent ihre ethischen Kriterien zum Austragen politischer Konflikte ableitet, insbesondere die zu schützenden Minderheitenrechte sowie Gewaltverzicht. Differenziert wird das Spannungsverhältnis von Demokratie und Menschenrechten angesprochen. Die Menschenrechte dürften nicht automatisch immer schon als dem demokratischen Mehrheitswillen übergeordnet betrachtet werden, vielmehr gehe es um ein permanentes faires Austarieren der beiden Grundprinzipien im politischen Konflikt. Konkret und herausfordernd ist der Verweis auf die Pflicht des Bürgers zur verantwortungsvollen Meinungsbildung, zu der die Bereitschaft gehöre, die eigene Überzeugung zu hinterfragen und zu revidieren, sich unvoreingenommen mit unterschiedlichen Positionen durch Nutzung verschiedener Medien zu beschäftigen, aber auch der Einsatz für Redefreiheit (am Beispiel des Phänomens »Politische Korrektheit«) sowie für den Verzicht auf manipulative Sprache (am Beispiel des Begriffs »Populismus«). Habe sich der Bürger seine Meinung gebildet, solle er sie so vertreten, dass der offene politische Diskurs gestärkt werde (gleiche Souveränität aller achten, andere Meinungen nicht verunglimpfen, zivilen Ungehorsam nur im Ausnahmefall praktizieren).
Am Ende des Buches geht F. auf die Frage ein, wie sich ein demokratisches Gemeinwesen gegenüber jenen verhalten sollte, die seine Überwindung propagieren. Wenn eine politische Kraft auf de­mokratischem Weg die Demokratie abschaffen wolle, ohne dass dieser Schritt durch künftige Volksabstimmungen wieder revidierbar wäre, dann seien die Grenzen des demokratischen Pluralismus überschritten. Geschehe der Angriff auf die Demokratie mit undemokratischen Methoden (Terrorismus), falle die ethische Entscheidung zur legitimen Abwehr durch die demokratische Gesellschaft noch leichter. Dabei dürfe jedoch die angemessene »zivilisierte Verachtung« (Carlo Stenger) niemals zur Dehumanisierung der Täter führen.
F. legt mit ihrem Buch ein engagiertes Plädoyer für eine lebendige Demokratie vor, verständlich und interessant geschrieben, nicht zuletzt aufgrund der zahlreichen aktuellen und mutig gewählten Beispiele. Auch die Theologie, insbesondere die Öffentliche Theologie, kann von einer Auseinandersetzung mit den Thesen des Bandes zweifellos profitieren.