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Ausgabe:

März/2018

Spalte:

252–253

Kategorie:

Philosophie, Religionsphilosophie

Autor/Hrsg.:

Fischer, Ernst Peter

Titel/Untertitel:

Gott und der Urknall. Religion und Wissenschaft im Wechselspiel der Geschichte.

Verlag:

Freiburg i. Br.: Verlag Herder 2017. 320 S. Geb. EUR 24,99. ISBN 978-3-451-32986-9.

Rezensent:

Hans-Dieter Mutschler

Dies ist kein wissenschaftliches Buch, sondern im guten Sinne ein populäres. Sein Autor Ernst Peter Fischer zeichnet die wechselvolle Geschichte des Verhältnisses zwischen Religion und Wissenschaft von den Griechen bis heute nach, und zwar in einer humorvollen, leicht lesbaren Sprache. Entgegen einer weit verbreiteten Tendenz ist für F. die Religion aber nicht ein überholtes Stadium, das durch die Wissenschaft ersetzt werden sollte, sondern beide sind komplementär, allerdings oft nicht im Gleichgewicht. Gegen Ende seines Buches zitiert er im zustimmenden Sinn den Physiker Wolfgang Pauli:
»Ich glaube, dass es das Schicksal des Abendlandes ist, die beiden Grundhaltungen, die kritisch rationale, verstehen wollende auf der einen und die mystisch irrationale, das erlösende Einheitserlebnis suchende auf der anderen Seite immer wieder in Verbindung miteinander zu bringen. In der Seele des Menschen werden immer beide Haltungen wohnen und die eine wird stets die andere als Keim ihres Gegenteils schon in sich tragen.«
Es ist zu beachten, dass Pauli zunächst ein ziemlich kalt distanzierter, wenn auch brillanter Intellektueller war, der durch schwere Krisen lernen musste, auch seine dunklen, affektiven, das Religiöse berührenden Seiten zu akzeptieren, und zwar im Gespräch mit dem Tiefenpsychologen C. G. Jung, der ihm die religiöse Sphäre erschloss. – F. ist selbst nicht explizit religiös, und wenn, dann eher im Sinne Goethes, den er gern zitiert. Aber doch so, dass er den heute modischen Naturalismus oder den aggressiven Atheismus der Giordano-Bruno-Stiftung ablehnt.
Wir hören eine Menge über Thales von Milet und die Anfänge der Astronomie, Demokrits frühen Materialismus, Aristoteles’ scala naturae, seinen »unbewegter Beweger«, Lukrez’ Atheismus, die mittelalterliche Impetuslehre, Albertus Magnus’ Naturphilosophie, mit deren Hilfe er den Totalerklärungsanspruch der Theologie begrenzte, Ockhams »Rasiermesser« als methodologisches Prinzip aller Wissenschaft, Nicolaus Kopernikus’ Revolution usw. Das ist ein Schnelldurchgang durch die Geschichte, aber immer in Hinsicht auf das Verhältnis zwischen Religion und Naturwissenschaft – bis zur modernen Physik, die sehr ausführlich behandelt wird. Die Revolutionen der Relativitäts- und Quantentheorie, ihre Genese werden breit dargestellt, die Diskussionen zwischen Max Planck, Niels Bohr, Albert Einstein oder Werner Heisenberg. Man lernt also eine Menge Faktenwissen auf eine amüsante Weise, was man von Geschichtsbüchern sonst nicht immer sagen kann.
Sehr aggressiv und polemisch wird F., wenn es um Max Webers These von der »Entzauberung der Welt« durch die moderne Wissenschaft geht, die sich allgemein durchgesetzt hat. Zu Recht macht er darauf aufmerksam, dass nichts zauberhafter und ge­heimnisvoller ist als die wunderbaren Gleichungen, die die Physiker gefunden haben, von den Keplergesetzen über die Maxwellgleichungen bis zu Einsteins Allgemeiner Relativitätstheorie. Alle großen Physiker empfanden einen Schauder vor der wunderbaren intelligiblen Struktur des Universums. Keine Spur von »Entzauberung der Welt«, im Gegenteil. Die so reden, verstehen nach F. einfach nichts von Physik!
Andererseits war für die großen Physiker gerade diese Erfahrung des Staunens vor dem Wunderbaren Anlass für eine spezifische Religiosität, die aber meist nicht personal, sondern kosmologisch ausfiel. Jedenfalls – so das Fazit des Buches – macht es keinen Sinn, Religion und Wissenschaft gegeneinander auszuspielen.