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Ausgabe:

März/2018

Spalte:

246–248

Kategorie:

Dogmen- und Theologiegeschichte

Autor/Hrsg.:

Wolff, Uwe

Titel/Untertitel:

Walter Nigg. Das Jahrhundert der Heiligen. Eine Biographie.

Verlag:

Münster: Aschendorff Verlag 2017. 204 S. = Epiphania, 8. Kart. EUR 29,80. ISBN 978-3-402-12032-3.

Rezensent:

Helmut Moll

Im Anschluss an seine umfangreiche Monographie »›Das Geheimnis ist mein‹. Walter Nigg. Eine Biographie« (Zürich 2009) legt der lutherische Theologe und Kulturwissenschaftler Uwe Wolff (* 1955) eine kürzer gefasste Schrift gleicher Thematik vor, die im katholischen Verlag Aschendorff erschienen ist.
In gänzlicher Übereinstimmung mit dem evangelisch-reformierten Schweizer Kirchenhistoriker Walter Nigg zeichnet W. im Vorwort ein düsteres Bild des 20. Jh.s. »Wir erleben den Tiefstand der religiösen Kultur und einen Verlust an Bildung in allen Bereichen der Kirche.« (9) »Die Kirche hat sich dem Zeitgeist angepasst […] Darüber hat sie ihr Thema verloren und ihre Mitte.« (10) Angesichts dieser »Leere und des Nihilismus in der Kirche setzte Nigg [auf, H. M.] eine Wiederentdeckung der Engel und Heiligen« (ebd.). »Die Heiligen sind Europas Zukunft.« (11) Das Buch, chronologisch aufgebaut, besteht aus 13 Kapiteln.
Im Jahr 1903 in Luzern als viertes Kind eines katholischen Vaters und einer evangelischen Mutter geboren, litt Nigg an den Folgen des Selbstmords seines Vaters (1914) und dem frühen Tod seiner geliebten Mutter (1916). 1923 begann Nigg das Theologiestudium in Göttingen, setzte es in Leipzig fort und vollendete es mit der Promotion über Heinrich Pestalozzi (1746–1827) und der Habilitation über Franz Overbeck (1837–1905), die gegen die dialektische Theologie Karl Barths gerichtet war, in Zürich. 1929 trat Nigg nach seiner Ordination 1928 seine erste Pfarrstelle in Stein bei St. Gallen an. Gleichzeitig hielt er seit der Erteilung der Lehrbefugnis an der Universität Zürich »eine Vorlesung pro Semester« über »Mystiker, Heilige und Ketzer« (68). 1939 übernahm Nigg eine Pfarrstelle in Dällikon-Dänikon bei Zürich. Zwei Jahre später nahm sich seine Frau Lily das Leben. 1943 heiratete Nigg die 1941 geschiedene Frau Isabel, die 1950 an Krebs starb. 1951 heiratete Nigg ein drittes Mal, die gelernte Bankkauffrau Gertrud. Wegen einer geplanten Vorlesung über die Religionsstifter Mohammed, Buddha und Laotse im Wintersemester 1952/53 erhob die Theologische Fakultät Zürich Einspruch, weil das Thema außerhalb des »umschriebenen Lehrgebietes« (149) liegt; 1955 wurde Nigg »aus seinem Amt entlassen« (150). 1970 gab Nigg sein Pfarramt in Dällikon auf. Nach einem Herzinfarkt starb er am 17. März 1988 im Spital Bülach. 1981 hatte er seine Bibliothek der Theologischen Fakultät Zürich vermacht. Aufgrund mangelnden Interesses daselbst kam sie 2003 nach Fribourg an das Institut für Ökumenische Studien.
Die Phasen von Niggs Leben wurden durchzogen von systematischen Überlegungen zu dessen vielfältigen Veröffentlichungen, insbesondere über »Große Heilige«, »Mönche und Mystiker« sowie (sehr wertvoll) »Terror, Tod und Teufel«. Niggs Studie über Friedrich Nietzsche aus dem Jahre 1957, sogar unter dem Titel »Prophetische Denker« (194) aufgeführt, fällt dagegen aus seinem Œuvre heraus.
Es ist W. gelungen, Niggs Reichtum der Heiligen, Engel, Mystiker und jüdischen Religionsphilosophen aus Ost und West »aus einer neuen Perspektive« (95) aufgezeigt zu haben, eine »Ökumene des glaubenden Herzens« (97), in der »Begegnung mit Gottes Ge­genwart« (96–97). In seinem Lebenswerk spielten »konfessionelle Fragen keine Rolle mehr« (33); er dachte »überkonfessionell« (71. 95.96 u. ö.), ohne aber ein »konfessionsloses Christentum ohne Kirche« (95) zu leben. Dies brachte ihm den »Synkretismusvorwurf« (39) ein. Geographisch blieb sein Tätigkeitsfeld auf Europa begrenzt (9). Er forderte von Rom mehr kanonisierte »Väter und Mütter« (109), doch waren ihm die mehr als 60 heiligen Ehepaare offenbar unbekannt (vgl. F. Holböck, Heilige Eheleute. Verheiratete Selige und Heilige aus allen Jahrhunderten, Stein am Rhein; Salzburg 1987; 22001; H. Moll, Selige und heilige Ehepaare, Augsburg 2016; 22017). An seinen Predigten »schieden sich die Geister« (169). Die »wenigen Zuhörer« (169; vgl. 124) seiner sonntäglichen Homilien standen »voll besetzten« (14) Vortragsräumen wie z. B. dem Mainzer Dom gegenüber. Nigg wird trotz spürbarer Sympathie W.s als »Einzelgänger« (24) mit einer »Neigung zum Alleinsein« (25) be­schrieben, der unter seiner Einsamkeit auch litt (19.26.30.50.61 u. ö.). Gleichwohl konnte er sich »in einen anderen Menschen sehr gut einfühlen« (45).
Origenes war kein »Kirchenvater« (102). Ist den »Verfolgten und Gepeinigten« wie Simon Magus, Marcion, Arius und Pelagius, den Katharern und Waldensern keine »Gerechtigkeit widerfahren« (99)? Was soll die Aussage, Erik Peterson »sprach dem Wein so reichlich zu, dass seine Vorlesungen immer wieder ausfallen mussten« (53)? Die biblischen Namen wurden nicht den Loccumer Richtlinien entnommen (165). Ein Namen- und Sachregister hätte der Monographie gut angestanden. Die Anmerkungen stehen separat am Ende des Buches. Das Titelfoto erscheint untypisch, war Niggs Arbeitsplatz doch sein geliebter Schreibtisch (5.14.139), also sitzende Theologie, nicht eine kniende, wie sein Landsmann Hans-Urs von Balthasar gefordert hatte.
Insgesamt handelt es sich um eine gestraffte Zweitausgabe der o. g. Biographie W.s, die nichts erkennbar Neues enthält.