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Ausgabe:

März/2018

Spalte:

235–237

Kategorie:

Kirchengeschichte: Reformationszeit

Autor/Hrsg.:

Kofler, Susanne

Titel/Untertitel:

Prophetie als Partizipation am Heilsplan? Lutherische Prophetie im Konfessionellen Zeitalter (1550–1650).

Verlag:

Leipzig: Evangelische Verlagsanstalt 2017. 320 S. = Arbeiten zur Kirchen- und Theologiegeschichte, 47. Geb. EUR 48,00. ISBN 978-3-374-04747-5.

Rezensent:

Christian Volkmar Witt

»Diese Arbeit macht am Beispiel der Prophetie im Luthertum des Heiligen Römischen Reiches des Konfessionellen Zeitalters diejenigen Prozesse sichtbar, in denen Ereignisse von den zeitgenös-sischen Akteuren als Prophetie oder Nicht-Prophetie erfahrbar wurden. Gezeigt wird, wie Ereignisse mit ›Sinn‹ versehen, als Prophetien gedeutet oder abgelehnt wurden und damit letztlich Wirklichkeit und Wahrheit in einem stetigen Prozess zwischen Ordnungsstabilisierung und -dynamisierung zwischen den Akteuren generiert wurden«, erklärt Susanne Kofler einleitend zum Anliegen ihrer hier anzuzeigenden Tübinger Dissertation (15). Vor diesem Hintergrund spielen theologie-, dogmen- und frömmigkeitsge schichtliche Fragestellungen eine Nebenrolle und werden eher holzschnittartig tangiert; im Zentrum stehen ideengeschichtliche, epistemologische und diskurs- sowie modernitätstheoretische Interessen. Entsprechend »ist die These leitend, dass bei den Versuchen, gesicherte Aussagen über die göttliche Offenbarung zu treffen, die Erkenntnisfähigkeit des Menschen verstärkt hinterfragt wurde und es davon ausgehend zu Dynamisierungen der Vorstellung von der göttlichen Offenbarung und der Souveränität des Menschen kam« (15 f.).
Den damit vorgestellten Leitlinien folgt die Gliederung der Ar­beit, die neben einer den Forschungsgegenstand profilierenden und das Erkenntnisinteresse erläuternden Einleitung drei analytische Hauptteile und eine Bündelung der Ergebnisse umfasst. Beigegeben sind der Untersuchung ein umfassendes Literaturverzeichnis sowie ein Personen- und ein Bibelstellenregister.
Der erste Hauptteil (34–115) ist mit »Prophetien im Flugdruck – Die Zirkulation von religiösem Wissen« überschrieben und vornehmlich den medial kommunizierten Plausibilisierungsstrategien von Erscheinungen und Visionen als spezifischen Formen der Prophetie von der Mitte des 16. bis zur Mitte des 17. Jh.s gewidmet. Ausgehend von der reformatorischen Annahme der Unmittelbarkeit des heilsamen Wirkens Gottes am und im Menschen stellte die Einbindung von Engelserscheinungen in das lutherische Glaubens- und Offenbarungsverständnis eine Herausforderung dar, obgleich die Bibel derartige Manifestationen zur Artikulation des göttlichen Willens vielfach bezeugt. So galt es, derartige Erscheinungen genauso zu authentifizieren wie Visionen, die die Zeitgenossen mit ähnlichen Deutungs- und Legitimierungsschwierig keiten konfrontierten. Im Bemühen, solchen Prophetieformen unter reformatorischen Vorzeichen im Kreuzfeuer konfessioneller Konkurrenzen und theologischer Debatten möglichst breitenwirksame Anerkennung zu verschaffen, »versuchte man die Gottgewirktheit durch den Rekurs auf das von Gott in der Heiligen Schrift offenbarte Wissen zu beglaubigen und die Glaubensähnlichkeit der Prophetie herauszustellen« (109). Neben der analogia fidei konnte dann auch der »Verweis auf die sinnliche und affektive Perzeption« (110) als Authentifizierungsstrategie fungieren, wobei so plausibilisierte Prophetien nicht selten zu Reflexionsinstanzen der eigenen existenziell bedrohlichen Gegenwart wurden und entsprechende Handlungsanweisungen und Appelle – freilich in ers­ter Linie zur Buße angesichts des göttlichen Strafhandelns – beinhalteten.
Das führt direkt zum nächsten Hauptteil mit der Überschrift »Zur Akzeptanz von Visionsberichten Im (sic!) Dreißigjährigen Krieg« (116–175). Das Kapitel geht der Frage nach, »warum einige Berichte über Prophetien während des Dreißigjährigen Krieges kaum, andere dagegen aber heftigen Widerspruch unter lutherischen Theologen hervorriefen« (116). Nach dem Vergleich zweier Beispiele, die inhaltlich-argumentativ unterschiedliche Ziele verfolgen, gelangt K. zu dem Ergebnis, dass die Reaktionen auf Berichte von Prophetien vom In- und Miteinander mehrerer Faktoren abhingen. Grundsätzlich scheint zu gelten: Je eindeutiger Prophetien mit Kritik an den politisch-militärischen Entwicklungen ihrer Zeit einhergingen und je weniger sie der redigierenden Kontrolle von Theologen unterworfen waren, desto schärfer fiel ihre Ablehnung in politischen und geistlichen Kreisen aus. Von Theologen autorisierte Berichte hingegen, deren Anliegen primär in der Tröstung ihrer Leserschaft bestand, konnten mildere Urteile oder gar Unterstützung erwarten. Dabei sucht K. auch das kritische Ge­spräch mit bestimmten geschlechtergeschichtlichen Narrativen: »Festzuhalten bleibt insgesamt, dass die Akzeptanz eines gedruckten Berichtes über eine Prophetie zu Zeiten des Dreißigjährigen Krieges von ihrer postulierten, politischen Aussagekraft, ihrer Konstruktion und vor allem ihrem Entstehungskontext und der damit einhergehenden Autorität abhing und weniger vom Geschlecht des jeweiligen Propheten« (169).
Gleichwohl provozierten Prophetien auch Auseinandersetzungen unter Theologen, wie der dritte Hauptteil »Prophetien unter Verdacht – Theologen im Streit« nachweist (176–281). Unter dem Eindruck der lutherischen Bekenntnisbildung und mit den dogmatischen Fixierungen des Konkordienbuches gingen die theologischen Meinungen zur Einordnung von prophetischen Phänomenen zunehmend weit auseinander. Während bestimmte theologische Strömungen Impulse aus Luthers Abwehr der Schwärmer und Enthusiasten aufnahmen und daher Prophetien als hochgradig verdächtige Symptome religiöser Fehlentwicklungen werteten, konnten andere theologisch gebildete Vertreter des frühneuzeitlichen Luthertums zu Apologeten der Prophetie werden. Dabei entspann sich über dem Streit um die grundsätzliche Beurteilung von Prophetie eine »differenzierte Debatte über die Offenbarungsformen Gottes und Aussagemöglichkeiten und -grenzen des Menschen über diese Offenbarungsformen« (275). Diese De­batte wiederum mündete ein in die Frage, wie es um die »mensch liche Er­kenntnisfähigkeit gegenüber Gott« überhaupt bestellt war (ebd.).
Dass es schließlich zu dieser Diskursstruktur kam, liegt nach K.s Einschätzung wesentlich am Versagen exegetischer Legitimierungsversuche beider Seiten: »Die zerstrittenen Theologen kamen zu unterschiedlichen Auslegungen der Bibel, sodass hierdurch die Suche nach additiven Verfahren der Beweisführung begünstigt wurde, die keiner religiösen Logik unterlagen« (287), und mit der genannten Frage nach der Erkenntnisfähigkeit des Menschen bzw. seiner Seele begann dann auch nach K. »das individuelle, interiorisierte Selbst, seine Konturen zu gewinnen« (294).
Das ist sicher nicht falsch, wenn auch seit den einschlägigen Beobachtungen beispielsweise Troeltschs, Leubes oder Hirschs ergänzungsbedürftig, wenn es darum geht, Anbahnungsphänomene moderner Subjektivität im sogenannten Konfessionellen Zeitalter ausfindig zu machen. So liegt mit K.s quellenreicher Studie insgesamt ein interessanter Beitrag auch zu jüngeren historisch-theologischen Einordnungsversuchen derjenigen hochkomplexen Richtung des frühneuzeitlichen Luthertums vor, die man gemeinhin als »lutherische Orthodoxie« zu bezeichnen pflegt – ein Beitrag, der angesichts seiner anregenden Gedanken eine gründlichere Abschlusskorrektur verdient hätte.