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Ausgabe:

März/2018

Spalte:

233–235

Kategorie:

Kirchengeschichte: Reformationszeit

Autor/Hrsg.:

Ausgewählt u. zusammengestellt v. D. Greiner, G. Dippold, R. Friedrich, Th. Amberg, M. Thein.

Titel/Untertitel:

Kleine Reformationsgeschichten. Die Reformation im Kirchenkreis.

Verlag:

München: Volk Verlag 2016. 240 S. m. zahlr. Abb. Geb. EUR 13,90. ISBN 978-3-86222-213-1.

Rezensent:

Martin Keßler

Wie gestaltete sich die Einführung der Reformation in Oberfranken? Schlaglichter auf 33 Ortschaften des heutigen Kirchenkreises Bayreuth beleuchten eine Vielfalt an Entwicklungen. Zugleich verdeutlicht das reich illustrierte »Lesebuch« (11), das auch als Lese- und Bilderbuch gewürdigt werden könnte, wie sich eine populäre Vermittlung kirchengeschichtlicher Wissensbestände mit regionalgeschichtlichen, fachwissenschaftlich anregenden Vertiefungen verbinden lässt.
Der Band geht auf eine Initiative im Vorfeld des Reformationsjubiläums zurück. Das »Vorwort« der Regionalbischöfin des Kirchenkreises Bayreuth, Dorothea Greiner, erklärt, der 2011 verstorbene Bayreuther Journalist, Kommunalpolitiker und Regionalhistoriker Bernd Bayer habe »schon vor etlichen Jahren« angeregt, »die kleinen Reformationsgeschichten« zu schreiben (10). Greiner, die zudem eine knappe, auf die Exklusivpartikel abhebende »Theolo-gische Einführung« beisteuert, verweist für die »große Reforma-tionsgeschichte« auf Luther, Melanchthon, Zwingli sowie Calvin und umreißt den eigenen »Ansatz« mit den Worten: »Wir erzählen, wie sich diese große Reformationsgeschichte in den Regionen und Ortschaften ausgewirkt hat.« (9) Eine im Vor- und Nachsatz abgedruckte Karte illustriert, wo die ausgewählten Orte im Kirchenkreis Bayreuth liegen, der laut der instruktiven »Historischen Einführung« des Bezirksheimatpflegers Günter Dippold »weitgehend deckungsgleich mit Oberfranken« ist (15). Dippolds lesenswerter Einleitungsabschnitt orientiert über die Vielzahl der politischen und kirchlichen Einflusssphären im 16. und 17. Jh., bevor er kirchengeschichtliche Hauptentwicklungen grundierend zusammenfasst. Eine kartographische Darstellung des »Nordöstliche[n…] Franken und [der] angrenzende[n] Territorien zur Zeit der Reformation« (16 f.) lässt erkennen, dass vor allem vier Verantwortungsbereiche von Bedeutung sind: geistliche Territorien (unter denen d as Hochstift Bamberg über vereinzelte, dem Fürstbischof von Würzburg unterstellte Gebiete dominiert), Kursachsen (in der Ge­gend um Coburg), die Fürstentümer der Markgrafen von Brandenburg (um Kulmbach und Ansbach) und zahlreiche zerstreute Ritterschaften. Die Bedeutung der Fürstbischöfe, fränkischen Markgrafen und Ernestiner unterstreicht auch der Anhang, der die Re­genten nach Regierungszeiten (226 f.) chronologisch auflistet und um ein kirchenhistorisches Glossar (228) ergänzt.
Die 33 lokalen Miniaturen sind alphabetisch nach Ortsnamen angeordnet. Der Umfang der meisten Beiträge bewegt sich zwischen drei und fünf Textseiten. Eröffnet wird jeder Artikel mit einem Kurzprofil des gegenwärtigen Gemeindelebens, bevor ab­schließend unter der Überschrift »Ökumene heute« geschildert wird, welche lokalen Impulse und Initiativen über einen trennenden Konfessionalismus hinausweisen. Diese Einleitungs- und Schlussblöcke stammen nicht immer von den Autorinnen und Autoren der Hauptartikel, die in einem Autorenverzeichnis (236 f.) mit Kontaktdaten und meist Amtsfunktion aufgeführt werden. Überwiegend schreiben die ortsansässigen Pfarrer oder Dekane.
Die Lokalgliederung des Bandes gibt zu erkennen, dass der erste Zugang zu den Texten aus Ortsbezügen erwächst. Griffige Überschriften wecken Interesse an den erzählten Begebenheiten (z. B. »Buchenau – Ein Einschussloch im Messgewand« oder »Selb – Ohrfeigen auf der Kanzel«). Die gebotenen Inhalte variieren. Aufgrund der für die Heuristik grundlegenden landeskirchlichen Struktur ist das Hauptnarrativ die letztlich erfolgreiche Einführung reformatorischer Neuerungen gegen äußere Widerstände. Der Band selbst wählt einen exemplarischen, induktiven Ansatz, doch könnte man zusammenfassen, dass in den Einzelerzählungen eine Reihe patronatsrechtlicher Grundtypen begegnet. Die ernestinischen Ortschaften bieten Reflexe auf die Visitationen seit 1528 und Berührungen mit Luther oder Melanchthon. Für die geistlichen Terri- torien werden bis ins 17. Jh., in einem Fall sogar bis ins 19. Jh. an­haltende Konflikte geschildert. Die markgräflichen Gebiete, die sich auf einzelne Orte des Hochstifts Bamberg ausweiten, werden Mitte des 16. Jh.s konfessionell durch Albrecht Alcibides bestimmt. In den zahlreichen Graf- und Ritterschaften wird von frühen Unterstützern oder langjährigen Gegnern erzählt. Mehrere Beispiele beleuchten die Umgestaltung bzw. den Zusammenbruch des klösterlichen Lebens. Anschaulich beschrieben finden sich auch lokal unterschiedliche Absetzungsmodalitäten altgläubiger Pre-diger.
Spannend und lebendig werden diese Entwicklungen, wenn sie einander lebens- oder lokalgeschichtlich überlagern. So kann man etwa den Weg des Priors der Augustiner-Eremiten aus dem fränkischen Königsberg verfolgen, der als Einziger in dem Kloster bleibt, bis er reformatorischer Prediger in dem benachbarten Rügheim wird (193). Einzelne Autoren haben Archivarbeit betrieben. Th. Hohenberg zeigt den Fund eines Kirchenbuches im Landeskirchlichen Archiv in Nürnberg an, das die Tätigkeit eines in einem Filialdorf »illegal« arbeitenden evangelischen Pfarrers dokumentiert (84–87). R. Friedrich transkribiert und T. Hanf erläutert den Brief eines Pfarrers, der gegenüber seinem Patronatsherren begründet, weshalb er das Amt niederlegt (179 f.). Für Coburg wird auf Balthasar Düring verwiesen und für Kulmbach auf den »örtliche[n] Reformator« (132) Johann Eck, der auch auf dem Um­schlag abgebildet ist.
Zwei Autoren haben mehr als einen Artikel beigesteuert. Zum einen ist der Mitherausgeber G. Dippold zu nennen, zum anderen R. Axmann, der u. a. in den »Orte[n] der Reformation – Coburg«, Leipzig 2014, einschlägig veröffentlichte. Axmann ist auch der Einzige, der die Vielfalt der reformationsgeschichtlichen Entwicklungen über das Narrativ der sich formierenden landeskirchlichen Strukturen hinaus weitet. Sein Beitrag zu Scherneck (196–200) gilt nicht der heutigen Gemeinde, sondern erinnert an den vor Ort wirkenden Hut-Schüler Johann Müller, der als Leinenweber nach Ahorn wechselte, bevor er mit anderen Täufern 1527 das Coburger Land verlassen musste.
Der Band wurde aufmerksam lektoriert, nur vereinzelt begegnen inhaltliche Irritationen (43 müsste in Entsprechung zu der stimmigen Überschrift [41] »drei Tage« statt »drei Wochen« lesen). Das Glossar hätte es erlaubt, inhaltliche Redundanzen (wie die wiederkehrenden Erklärungen des ius emigrandi) zu reduzieren. Für eine breitere, über Lokalbezüge hinausgehende Nutzung, die man dem Band wünschen möchte, wäre zudem die Erstellung eines Namenregisters hilfreich gewesen.