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Ausgabe:

Dezember/1999

Spalte:

1296 f

Kategorie:

Ökumenik, Konfessionskunde

Autor/Hrsg.:

Döpmann, Hans-Dieter [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Religion und Gesellschaft in Südosteuropa.

Verlag:

München: Südosteuropa-Gesellschaft 1997. 310 S. gr.8 = Südosteuropa-Jahrbuch, 28. ISBN 3-925450-71-8.

Rezensent:

Peter Hauptmann

Die nachträgliche Veröffentlichung von Tagungsbeiträgen in Form eines Sammelbandes ist keineswegs immer sinnvoll. Die 24 Vorträge, die auf der von der Münchener Südosteuropa-Gesellschaft gemeinsam mit der Akademie für Politische Bildung in Tutzing im Oktober 1996 durchgeführten Hochschulwoche gehalten wurden, fügen sich jedoch derart überzeugend zu einem Ganzen zusammen, daß sich dieser Sammelband geradezu als ein Handbuch empfiehlt. Die Aktualität seiner Thematik ist unbestreitbar und wird es wohl auch noch auf viele Jahre bleiben. Daß seine Beiträge bereits drei Jahre alt sind, fällt dabei kaum ins Gewicht, weil sie sich nicht an Tagesereignisse verlieren, sondern deren historischen Hintergründen nachspüren.

Gleichsam als tragendes Gerüst, dem der Sammelband seinen handbuchartigen Charakter verdankt, sind die folgenden Beiträge hervorzuheben: Hans-Dieter Döpmann: Religion und Gesellschaft in Südosteuropa (9-23); Ernst Chr. Suttner: Das religiöse Moment in seiner Bedeutung für Gesellschaft, Nationsbildung und Kultur Südosteuropas (25-36); Thomas Bremer: Der Katholizismus in Südosteuropa (59-70); Kathrin Boeckh: Zum Judentum in Südosteuropa (87-104); Hans Georg Majer: Gesellschaftliche und religiöse Auswirkungen der Osmanenzeit in Südosteuropa (117-131); Ludwig Steindorff: Von der Konfession zur Nation: Die Muslime in Bosnien-Herzegowina (253-269); Erhard Franz: Religion und Gesellschaft in der Türkei: Laizismus contra Islamismus in Gesellschaft und Politik (299-307).

Weniger ausgewogen und gediegen, aber gerade in ihrer Einseitigkeit durchaus geeignet, häufig übersehene oder unterschätzte Sachverhalte bewußt zu machen, sind die Beiträge aus den Kirchen Südosteuropas selbst. Als solche sind zu nennen: Theodor Nikolaou: Die orthodoxe Kirche in Südosteuropa (43-57); Gregor M. Manousakis: Das Verhältnis von Orthodoxie und Islam im heutigen Südosteuropa (139-147); Angel Krastev: Die Bulgarische Kirche in Geschichte und Gegenwart (149-155); Ioan Vasile Leb: Die Rumänische Orthodoxe Kirche im Wandel der Zeiten (179-199); Alexandru Dut’u: Religion und Gesellschaft in Rumänien (201-211); Dimitrije Kalezic: Die Serbische Orthodoxe Kirche in Geschichte und Gegenwart (219-228); Zoltán Balog: Religion und Gesellschaft in Ungarn (287-297).

Eine völlige Sonderstellung nimmt ein weiterer Beitrag dadurch ein, daß er sich einer Erscheinung zuwendet, die zwar wie weltweit so auch in Südosteuropa anzutreffen ist, als solche aber mit Südosteuropa unmittelbar überhaupt nichts zu tun hat. Gemeint ist: Stephan H. Pfürtner: Religiöser Fundamentalismus (105-116). Die Ausführungen des katholischen Marburger Sozialethikers sind zunächst schon dadurch bemerkenswert, daß er feststellt: "Von den gesellschaftlichen Feldern oder Systembereichen her lassen sich verschiedene Formen des F. unterscheiden: 1. der religiöse F., 2. der politische F. (kommunistischer, rechtsradikaler F., ,Fundis’ etc.), 3. der religiös-politische F. (islamischer F., amerikanischer Antikommunismus). In diesem letzteren Bereich, in dem politische und religiöse Motivierungen miteinander wirksam werden, könnte man wiederum, je nach den herausragenden politischen Fixierungen, vom rassischen, ethnischen, kulturellen, nationalistischen F. reden. Darüber hinaus gibt es 4. einen Moral-F., 5. einen Rechts-F. (Rechtspositivismus), 6. einen bürokratischen F. oder F. gesellschaftlicher Systeme (,die Partei hat immer Recht’, Kirche als Institution wird zum letzten Maßstab).

Die hier gemachten Unterscheidungen oder Einteilungen sollen dazu dienen, die Erscheinungsbilder des F. besser sichten und einordnen zu können. Sie dürfen nicht vergessen machen, daß es zwischen allen Formen fließende Übergänge gibt oder jedenfalls geben kann" (108 f.). Sodann sollte aber auch seine Erwägung aufmerken lassen, "den F. in seiner weiten Verbreitung nicht nur als Bedrohung einzustufen. Vielmehr müssen die Kirchen und die Gesellschaft in ihm kritische Anfragen im Hinblick auf ihre eigenen Defizite und Signale zugunsten konstruktiver Auseinandersetzungen sehen. Es gibt legitime Erwartungen, die der F. in seinen verschiedenen Kontexten heraushebt" (109). Leider zieht der Vf. aus diesen Einsichten nicht den naheliegenden Schluß, daß der Begriff "Fundamentalismus" auf Grund seiner Verschwommenheit aus wissenschaftlichen Erörterungen am besten gänzlich zu verbannen sei, sondern versteift sich sogar auf die These: "Fundamentalismus ist theologisch als Unglaube zu entlarven. Er steht in unversöhnlichem Gegensatz zum Gott des Evangeliums und seinem Liebesgebot" (112). Damit dürfte er indessen mehr Fragen erzeugt als gelöst haben.

Ebenso empfiehlt sich der Verzicht auf ein weiteres Modewort, das in etlichen Beiträgen dieses Bandes eine Rolle spielt: instrumentalisieren. Es ist auf zu unbestimmte Weise negativ besetzt, um angesichts der Verquickung nationaler und religiöser Motive noch zur Klärung beitragen zu können. So beklagt Marko Orsoli’c in seinem Referat über "Die Rolle der Religion bei der Neugestaltung Osteuropas" (37-41) einerseits, daß "die Nationalisten aller Art" die Religion "instrumentalisiert" hätten, indem sie oft ihr "öffentliches Funktionieren" auf die "Nationalinteressen" reduzierten (37), scheint sich andererseits aber dessen überhaupt nicht bewußt zu sein, daß er mit seinen synkretistischen Appellen, "um die friedensstiftende Rolle der Religionen wiederzugewinnen", damit diese "sich dann eindeutig für die Menschenrechte und Gerechtigkeit im Frieden einsetzen" könnten (39), die Religionen seinerseits für ein utopisches Weltfriedensideal zu "instrumentalisieren" sucht.

Was das äußerliche Erscheinungsbild des Buches anlangt, so hätte man sich für die verschiedenen Beiträge eine stärkere Vereinheitlichung bei der Druckgestaltung gewünscht. Durch die Erstellung eines Registers wäre die Benutzung dieses weithin gehaltvollen Sammelbandes noch erleichtert worden.