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Ausgabe:

Dezember/1999

Spalte:

1294–1296

Kategorie:

Ökumenik, Konfessionskunde

Autor/Hrsg.:

Chadwick, Owen

Titel/Untertitel:

Michael Ramsey.

Verlag:

A Life. London: SCM Press 1998. XIII, 422 S., 9 Taf. gr.8. Kart. £ 14.95. ISBN 0-334-02736-5.

Rezensent:

Martin Greschat

Dieses Buch schildert in beeindruckender Weise den Lebensweg des hundertsten Erzbischofs von Canterbury. Den Weg bis zu dieser Position als Haupt der anglikanischen Kirche behandelt der erste Teile der Darstellung (The Making of a Christian Leader, 1-108). Ramseys Vater war ein kongregationalistischer Pfarrer, die besonders geliebte Mutter Anglikanerin und überzeugte Sozialistin. Der 1904 geborene Junge entwickelte sich körperlich und geistig nur langsam, in seinen Bewegungen blieb er sein Leben lang unbeholfen. Zunächst begeisterte er sich für die antike Literatur, dann entdeckte er in Cambridge - der Ort prägte ihn tief und dauerhaft - seine Fähigkeit zu reden und zu debattieren. Gleichzeitig faszinierte Ramsey das politisch-moralische Gedankengut des Liberalismus. Er studierte Jura, um Politiker zu werden, erkannte dabei jedoch zunehmend, daß es grundlegendere Werte gab und daß die Kirche den Menschen mehr geben könne als politische Parteien. Deshalb studierte er also Theologie, wurde Anglokatholik, weitete gleichzeitig seinen Horizont durch die intensive Beschäftigung mit den Kirchenvätern, der dialektischen Theologie Karl Barths sowie dem Ökumeniker William Temple.

Nach einer schweren physischen und psychischen Krise, ausgelöst durch den Unfalltod seiner Mutter, arbeitete R. kurze Zeit als Kaplan in Liverpool, danach in Lincoln, wo er allerdings schon bald die Stelle eines Dozenten erhielt. In einem damals veröffentlichten Buch unterstrich R. mit großem Nachdruck, daß die Kirche zuerst und vor allem anderen sie selbst sein müsse, unbekümmert, ob und wie sie dadurch in der modernen Gesellschaft wirke. Das brachte ihm Zustimmung, aber auch scharfen Widerspruch. R. hat an dieser theologischen Überzeugung dauerhaft festgehalten.

1940 wurde er Professor in Durham, 1950 in Cambridge, für Neues Testament und Alte Kirchengeschichte. Der exzentrische, immens belesene, oft unbeholfen wirkende und gleichzeitig faszinierende R. war nun eine weithin anerkannte Persönlichkeit. Nach einigem Zögern ließ er sich 1952 zum Bischof von Durham weihen. Er wäre lieber Professor geblieben. 1956 wurde R. Erzbischof von York, 1961 von Canterbury. Hier wie da spielten politische Erwägungen eine nicht unwesentliche Rolle.

R. trug nun Verantwortung für eine weltweite Kirche. Vor allem von den ethischen und sozialpolitischen Akzenten, die er setzte, handelt der zweite Teil (Britain and the Moral Law, 101-206). Gleichzeitig hatte er die Aufgaben des Diözesanbischofs von Canterbury zu erfüllen. Sodann mußte R. Kontakte zur Regierung und den führenden Politikern unterhalten, die in der Staatskirche u. a. über die Berufung der Bischöfe entschieden. Auch im Oberhaus spielte R. jetzt eine beachtliche Rolle, vor allem durch seine Reden und Stellungnahmen zu den in den sechziger Jahren aktuellen sozialethischen Themen. Dabei vertrat er generell eine gemäßigt liberale Position: hinsichtlich der Akzeptanz von Homosexualität und vorehelichem Geschlechtsverkehr sowie der Neuregelung der Bestimmungen für den Schwangerschaftsabbruch. Die kirchliche Trauung Geschiedener lehnte er jedoch ab. Ebenso erklärte er sich gegen die Todesstrafe und insbesondere den Rassismus. Besondere Mühe verwandte er schließlich, allerdings erfolglos, auf die Beilegung des Konfliktes in Nordirland.

R.s Tätigkeit innerhalb der weltweiten anglikanischen Kirche kommt im dritten Teil des Buches in den Blick (The world-wide Community, 207-284). Er unternahm weite Reisen in sämtliche Krisengebiete der Politik: nach Palästina, wo ihn die Christen mit dem Vorwurf der theologisch wie auch politisch unverantwortlichen Parteinahme für die Juden konfrontierten; zu den Gemeinden in Lateinamerika, woraufhin ihm die Unterstützung der dort regierenden Militärs vorgeworfen wurde; schließlich nach Afrika, wo er u. a. in Rhodesien, Biafra, Uganda und im Sudan sowie in Südafrika zu vermitteln und zu helfen versuchte. Selbstverständlich blieben die Erfolge begrenzt. Das bekümmerte R. allerdings weniger als die von ihm mehrfach beklagte Relativierung ethischer Grundsätze in England, wo man sich ohne wirkliche Kenntnisse der Verhältnisse im Ausland von Schlagworten und Schlagzeilen der Medien immer wieder zu lauten Urteilen und Proklamationen hinreißen ließ.

Von den Kontakten und Beziehungen des Erzbischofs zur Ökumene ist im vierten Teil die Rede (Christendom, 285-350). R.s Neigung - um nicht zu sagen Liebe - gehörte von früh an den östlichen Orthodoxien. Zu ihnen nahm er nun intensive Verbindungen auf, aus der mit Athenagoras, dem Patriarchen von Konstantinopel, Freundschaft erwuchs.

Gute persönliche Beziehungen entwickelte R. auch zu Alexei, dem Patriarchen von Moskau. Vielfältige Unterstützungen ließ er den orthodoxen Kirchenführern auf dem Balkan zukommen. Schwieriger war das Verhältnis zum römischen Katholizismus. Doch die Dekrete des II. Vaticanums und eine enge Verbundenheit mit Papst Paul VI. entschärften manches. Erheblich geringere Kontakte bestanden zu den Protestanten. Die bereits vor seinem Amtseintritt eingeleiteten Bemühungen, die Methodisten mit den Anglikanern zu vereinen, unterstützte R. mit großem Nachdruck. Daß dieser Zusammenschluß schließlich an der mangelnden Zustimmung seiner Kirche scheiterte, traf ihn tief. Zum Luthertum bestanden kaum Kontakte. Noch weniger Zugang fand R. zu den deutschen evangelischen Kirchen.

Von den letzten, stillen Jahren handelt schließlich der fünfte Teil (The Man of God, 351-399), von den wachsenden eigenen Altersbeschwerden und denen seiner Frau, mit der er seit 1942 verheiratet war und ohne deren Umsicht und Fürsorge R. nach dem Urteil aller, die ihn kannten, wohl regelrecht verloren gewesen wäre. Von ihr umhegt, starb er am 23. April 1988.

Chadwick zeichnet ein nicht nur lebendiges, sondern ausgesprochen warmherziges Bild dieser bekannten, aber auch komplizierten Persönlichkeit. R.s Grenzen, auch seine skurrilen Züge werden dabei nicht ausgeblendet. Aber sie werden freundlich, geistreich und mit Humor dargestellt. Der Leser erfährt, gleichsam nebenbei, viel über die Eigenart und den Alltag der anglikanischen Kirche, freilich durchweg eingegrenzt auf den britischen Horizont. Was darüber hinaus existiert, bleibt auffallend unscharf. Mehr hätte man gern auch über die Theologie R.s erfahren. Doch das sind letztlich Nebensächlichkeiten, die den Glanz dieser Biographie nicht trüben können.