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Ausgabe:

März/2018

Spalte:

212–213

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Ábel, František

Titel/Untertitel:

The Psalms of Solomon and the Messianic Ethics of Paul.

Verlag:

Tübingen: Mohr Siebeck 2016. XV, 355 S. = Wissenschaftliche Untersuchungen zum Neuen Testament. 2. Reihe, 416. Kart. EUR 89,00. ISBN 978-3-16-153991-6.

Rezensent:

Friedrich W. Horn

František Ábel arbeitet als Associate Professor an der Evangelical Lutheran Theological Faculty der Comenius University in Bratislava. Das diesem Buch zugrunde liegende Thema fußt nach eigener Aussage auf zwei Anregungen: a) Chris VanLandingham legte 2006 die These vor, dass die Rechtfertigungsaussagen des Paulus ganz wesentlich von Texten wie den Psalmen Salomos bestimmt seien, die eine Ethik der Glaubenden vor dem Tag des Messias entwerfen; b) Douglas A. Campbell hatte 2009 eine Kritik an modernen religionsphilosophisch orientierten Interpretationen der Rechtfertigungsaussagen vorgetragen, um eine apokalyptische Lektüre, basierend auf Texten der frühjüdischen Literatur, wieder ins Zentrum der Betrachtung des Paulus zu stellen.
Diese Anregungen geben den Weg für Á.s Untersuchung vor: Kapitel 1 spricht kurz über die deuterokanonische Literatur im Kontext des Judentums des zweiten Tempels. Kapitel 2 legt ebenso knapp das Verhältnis der Psalmen Salomos zu jüdischen messianischen Konzeptionen dar. Im Zentrum der Studie liegt Kapitel 3 (69–255), ein Vergleich der Psalmen Salomos mit Paulus im Kontext der Konzeption einer messianischen Ethik. Hier wiederum sind die Seiten 92–196 eine kapitelweise voranschreitende Exegese von PsSal 1–18, die vor allem Gerechtigkeits- und Gnadenaussagen besondere Beachtung schenkt (75). Dieses Kapitel schließt mit einem kritischen Ausblick auf die Rechtfertigungsaussagen des Paulus in ihrer vorwiegend protestantisch-theologischen Rezeption und einer eigenen Darlegung der Rechtfertigungsaussagen im Licht der Gerichtsaussagen in den paulinischen Hauptbriefen. Kapitel 4 schließlich interpretiert Röm 3,21–26 im Kontext der Psalmen Salomos 17–18. Eine ausführliche Bibliographie und umfängliche Register beschließen den Band.
Es geht Á. also darum, Paulus – und hier vor allem seine Rechtfertigungsaussagen – wieder stärker aus seinem jüdischen, speziell pharisäischen Untergrund zu verstehen, sich hierbei die Themen für eine solche Basis aus einem Vergleich mit den Psalmen Salomos vorgeben zu lassen und schließlich im Kontext von Rechtfertigungs- und Gerichtsaussagen, und zwar exakt für die Zeit zwischen der Rechtfertigung des einzelnen Glaubenden und dem endzeitlichen Gerichtstag bzw. der Parusie des Messias Jesus Christus, eine messianische Ethik zu entwerfen. Paulus sei Pharisäer gewesen und er denke pharisäisch (291). Er treibe Theologie im Kontext des Pharisäismus, entwerfe aber keine neuen eschatologischen Lehren oder Konzeptionen.
»By closer analysis and exploration of particular parts of this work, especially chapters 17–18, we can see that only this deuterocanonical writing could form a considerable extent of background for the formation and development of Paul’s messianic ethics, including his teaching about justification, the center of his proclamation.« (VIII)
Dieses »only« ist natürlich mutig, zumal Á. offenlässt, ob Paulus jemals den Text der Psalmen Salomos zur Kenntnis genommen hat (3). Pikanterweise übergeht Á. die Selbstdistanzierung des Paulus von seiner pharisäischen Vergangenheit in Phil 3,7–8.
Das in den Psalmen Salomos Gesagte sei in gewisser Weise repräsentativ für weite Teile des Frühjudentums. Freilich besteht der Unterschied, dass der in den Psalmen Salomos erwartete Messias für Paulus der bereits gekommene Messias Jesus Christus ist. Als Ergebnis kann formuliert werden, dass die Rechtfertigungsaussagen des Paulus nicht zu verstehen sind als ein endgültiger Freispruch auf der Basis des Glaubens an Jesus Christus, sondern vielmehr als Ausgangspunkt der Glaubenden, die jetzt – gereinigt von Sünden – verpflichtet sind, als neue Kreaturen so zu leben, dass sie der Parusie Christi und dem letzten Gericht mit guten Taten entgegengehen können (255). Das endzeitliche Gottesvolk setzt sich aus denjenigen Juden aus Israel, die die Forderungen der Tora erfüllen, und den Glaubenden aus den Heiden zusammen, die die messianische Ethik praktizieren und ihren Stand als Heilige und Gerechte bewahren. Was nun die Ethik der Glaubenden inhaltlich angeht, so verweist Á. auf die Kategorie des Willens Gottes, des Gehorsams, vor allem auf die sogenannte Zwei-Wege-Lehre, nennt aber auch die unterstützende Kraft des Heiligen Geistes. Á. möchte das vornehmlich lutherische Verständnis, Paulus zum Zeugen einer Rechtfertigung aus Glauben zu machen, und zwar einer solchen Rechtfertigung, die den Werken und dem Gericht sodann keinen Raum mehr einräumt, überwinden. Ihm geht es um die Folgen der Rechtfertigung:
»Particularly, Paul’s primary intent was not only to bring Gentiles to belief in the gospel but also – and primarily – to convince them that in this belief they receive God’s mercy expressing itself in their purification and preparation for the Last Judgment.« (210)
Á.s selbstbewusste und selbstgewisse Studie bewegt sich im Kontext derjenigen Paulusforschung, die den frühjüdischen pharisäischen Untergrund zu dem alles entscheidenden Interpretationsschlüssel macht. Die Anregungen dieser Arbeiten sind deutlich und etwa auch von denen aufgenommen worden, die z. B. im Blick auf die Heiligungsthematik gearbeitet haben (E. D. Schmidt, M. Vahrenhorst, H. Stettler), ohne der von Á. vorgetragenen traditionsgeschichtlichen Engführung auf die Psalmen Salomos zu folgen. Gleichzeitig betonen andere Forscher den römischen Kontext des Paulus, den Einfluss des Diasporajudentums oder die Nähe zu philosophischen Diskursen, vor Jahrzehnten noch deutlicher die Nähe zur Mysterientheologie und zur Gnosis. Wo Paulus steht, ob nur im pharisäischen Denken oder doch noch – vielleicht gleichzeitig – in anderen Kontexten, das ist eine offene Frage, die die moderne Paulusforschung begleitet und deren Antworten wechseln. Á.s Studie kann ich angesichts dieser Debatte nur als einen Zwischenruf betrachten.
Kritisch ist anzumerken, dass der Begriff einer messianischen Ethik weitgehend eine Worthülse bleibt. Ich denke auch nicht, dass die paulinische Ethik über diesen Begriff in vollem Umfang darzustellen ist. Mit messianischer Ethik ist allenfalls ein struktureller und zeitlicher Rahmen von der Christwerdung bis zur Parusie abgesteckt, der in manchen Syntagmen bei Paulus aufblitzt. Aber die Inhalte der Ethik des Paulus speisen sich nun wahrlich nicht ausschließlich von den Themen, die etwa in den Psalmen Salomos angeschlagen werden .