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Ausgabe:

März/2018

Spalte:

210–212

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Versluis, Arie

Titel/Untertitel:

The Command to Exterminate the Canaanites: Deuteronomy 7.

Verlag:

Leiden u. a.: Brill 2017. XII, 437 S. = Oudtestamentische Studiën, 71. Geb. EUR 176,00. ISBN 978-90-04-33798-5.

Rezensent:

Eckart Otto

Das Buch Deuteronomium und insbesondere das Kapitel Dtn 7 mit seiner Aufforderung, den Bann an den Bewohnern des Landes zu vollstrecken, ist eine ethische Herausforderung für eine biblische Theologie, der sich Arie Versluis stellen will mit der hier anzuzeigenden Monographie, die eine englische Übersetzung seiner niederländischen Dissertation an der Theologischen Hochschule Apeldoorn ist. In dieser Studie stellt der Vf. die Frage, aus welchem Grund Gott in Dtn 7 die unterschiedslose und vollständige Vernichtung der kanaanäischen Landesbewohner anordnet, wie dieser Befehl heute theologisch in das Gottesbild zu integrieren sei, und ob ein Text wie Dtn 7 heute zur Legitimation von Gewalt ethnischer Säuberungen aus religiösen Gründen dienen könne. Es sei ein Problem der bisherigen Forschung zu Dtn 7, dass entweder den exegetischen und historischen Fragen des göttlichen Vernichtungsbefehls unter Umgehung der ethischen und theologischen Probleme, die der Text aufgibt, nachgegangen werde, oder letztere Probleme unter Umgehung der exegetisch-historischen Fragen beantwortet werden sollen.
Angesichts des »Hypothesenlabyrinths der Deuteronomiums-forschung« in der Datierung des Kapitels Dtn 7 in Israels Frühzeit, so u. a. J. G. McConville, oder in die hellenistische Spätzeit, so N. P. Lemche, will der Vf. seinen eigenen literaturhistorischen Weg suchen, doch begibt er sich schon in der Frage der literarischen Relationierung von Ex 23 und Ex 34 zu Dtn 7 der Möglichkeit, ein tragfähiges literatur­-historisches Fundament für Dtn 7 zu gewinnen. Da alle drei Texte Übereinstimmungen und Differenzen aufweisen, sei nicht mit einer Relation direkter literarischer Abhängigkeiten zu rechnen. Vielmehr sollen sich die Autoren von Dtn 7 der Traditionen bedient haben, die Ex 23 und Ex 34 zugrunde liegen. Diese Lösung ist nur konsequent, wenn man wie der Vf. Dtn 7 als literarisch einheitlichen Text nimmt unbeschadet der Tatsache, dass er einräumen muss, dass Dtn 7 eine komplexe Literaturgeschichte durchlaufen habe. Seiner Meinung nach reichen aber die Hinweise im Text nicht aus, um die literarische Entstehungsgeschichte von Dtn 7 zu rekonstruieren. Doch eine literarische Differenzierung zwischen deuteronomistischem Text und seinen postdeuteronomistischen Fortschreibungen im Horizont der Sinaiperikope des Pentateuch innerhalb von Dtn 7 kann Hinweise geben, wie die literarischen Relationen von Übereinstimmungen und Differenzen zwischen Dtn 7 und Ex 23; 34 zu klären sind.
Begründung für Gottes Befehl in Dtn 7, die kanaanäischen Landesbewohner unterschiedslos zu vernichten, seien deren Praktiken von Idolatie und Kinderopfer, die zu einer Versuchung für Israel im Lande werden könnten. Während im Buch Genesis Israels Vorväter friedlich mit den Landesbewohnern zusammenlebten, sei mit der Sinaioffenbarung eine Wende in der von Gott geforderten Haltung zu den Kanaanäern eingetreten. Die biblische Motivik von kanaanäischer Idolatrie, Kinderopfern und anderen kanaanäischen Praktiken sei nicht aus einer antikanaanäischen Propaganda erwachsen. Vielmehr können die kanaanäischen Praktiken schon auf das 2. Jt. zurückgehen. Damit sind die Weichen für die Datierung von Dtn 7 gestellt, wobei der Vf. sich schon im Vorwege von den literaturhistorischen Fragen der Datierung des Textes von Dtn 7 dispensiert hat, da »in the context of this study is not primarily relevant, when the text of Deut. 7 received is present form but rather, when the tradition of the extermination of the nations of Canaan originated«, wobei diese Tradition älter als der vorliegende Text sei. Angesichts der breiten Belegung des Motivs einer Vernichtung von Kanaanäern in der Hebräischen Bibel sei damit zu rechnen, dass das Gebot in Dtn 7 tatsächlich historisch realisiert worden sei, wenn auch nicht, wie von Dtn 7 gefordert, durch eine vollständige Vernichtung der Kanaanäer.
Auf das hohe Alter der Motivik der Vernichtungsforderung weise die Liste der sieben Völker in Dtn 7, die Verhältnisse des 2. Jt.s widerspiegele. Die Argumentationsfigur des Vf.s hat durchaus Züge eines Zirkelschlusses, der vom biblischen Text auf seinen historischen Kontext schließt und von dort auf die Datierung des Textes und seiner ihm zugrunde liegenden Tradition. Entscheidend bleibt für den Vf. die Annahme einer zumindest partiellen Erfüllung des göttlichen Vernichtungsgebotes in Israels Frühzeit, so dass alle Interpretationen des Vernichtungsgebots, die es in eine exilische oder gar nachexilische Spätzeit datieren und als metaphorische Rede interpretieren, dem Verdacht unterliegen, Apologie zu betreiben. Vielmehr will der Vf. sich den gegenwärtigen theologischen und ethischen Fragen stellen, die heute aufkommen, wenn vorauszusetzen ist, dass das göttliche Vernichtungsgebot auch gemeint habe, was es sagt und auch partiell von Israel erfüllt wurde. Was bedeute, so fragt der Vf., das Gebot für unser heutiges Verständnis des biblischen Gottes, und kann das Gebot noch heute zur Legitimation religiös begründeter Gewalt genutzt werden? Der ersten Frage nähert sich der Vf., indem er den Gewaltaspekt des Textes hermeneutisch mit der Feststellung zu begrenzen sucht, dass Dtn 7 nur unmittelbar vor der Landnahme promulgiert worden sei und nur für die Situation der Landnahme gelte, also nur hier einen Ort in Gottes Heilsgeschichte habe. Damit werde jede Berufung auf Dtn 7, um heute religiös motivierte Gewalt zu begründen, illegitim. Schließlich will der Vf. das Problem, das Dtn 7 mit der Erwählung Israels und der Verwerfung der Kanaanäer für das Verständnis des biblischen Gottes bedeutet, durch den Rückgriff auf die Prädestinationslehre angehen, wobei er sich auf Dtn 7,7–8 beruft. »Apparently God chooses in freedom and out of love, and his choice cannot be explained by human beings«.
So wird am Ende die bibelexegetische Studie des Vf.s zu einem Plädoyer für eine reformierte Theologie, was allen Respekt verdient wie auch sein Bemühen, jeder Form der Verkürzung der theologischen Problematik des Textes mittels einer apologetisch intendierten Spätdatierung zu begegnen. Umgekehrt wird man festhalten müssen, dass die Absicht des Vf.s, die theologisch-ethischen Aporien des Textes für die heutige Zeit zu lösen, in der exegetischen und historischen Interpretation den Griffel geführt hat, so dass eine konsequentere hermeneutische Trennung von historischer Auslegung und theologischer Applikation des Textes von Dtn 7 der Dissertation förderlich gewesen wäre.