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Ausgabe:

März/2018

Spalte:

207–209

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Kwon, JiSeong James

Titel/Untertitel:

Scribal Culture and Intertextuality. Liter-ary and Historical Relationships between Job and Deutero-Isaiah.

Verlag:

Tübingen: Mohr Siebeck 2016. XIX, 277 S. = Forschungen zum Alten Testament. 2. Reihe, 85. Kart. EUR 79,00. ISBN 978-3-16-154397-5.

Rezensent:

Alma Brodersen

Der Titel und Untertitel beschreiben treffend die umfassenden Inhalte der Monographie, die auf einer an der Universität Durham (England) bei Stuart Weeks abgeschlossenen Dissertation beruht: Bezüge zwischen Hiob und Deuterojesaja, Schreibkultur und Intertextualität.
JiSeong James Kwon stellt fest, dass bisherige Vergleiche von Hiob (als Gesamtbuch) und Deuterojesaja (Jes 40–55) sich auf die Untersuchung von literarischer Abhängigkeit beschränken. Demgegenüber will er den historischen Hintergrund der Texte in die Analyse von Textähnlichkeiten einbeziehen, speziell die Schreibkultur (»scribal culture«, 6). Zur Erreichung dieses Ziels untersucht K. zunächst bisherige Annahmen der literarischen Abhängigkeit zwischen Hiob und Deuterojesaja (Kapitel 1–2) im Vergleich mit Bezügen zu anderen biblischen Büchern (Kapitel 3). Er stellt dann Schreibkultur in und um die hebräische Bibel dar (Kapitel 4), untersucht den literarischen und kulturellen Hintergrund von Hiob und Deuterojesaja (Kapitel 5) und vergleicht dann gemeinsame Themen in Hiob und Deuterojesaja auf deren weitgefasstem historischen Hintergrund (Kapitel 6).
In Kapitel 1 »The Comparative Study between Job and Deutero-Isaiah« zeigt K. zunächst, dass Ähnlichkeiten zwischen Hiob und Deuterojesaja bisher – auf der Grundlage von gemeinsamen Wörtern, Formen und Themen – als absichtliche Text-Text-Bezüge (sowohl von Hiob zu Jesaja als auch umgekehrt) oder als voneinander unabhängige Bezüge auf die selben literarischen Traditionen erklärt wurden. Demgegenüber argumentiert K., dass die Eigenart antiker Textproduktion mit mündlicher Überlieferung und anonymer und ge- nerationenübergreifender Textabfassung stärker berücksichtigt werden müsse. Zudem sieht K. den modernen unbegrenzten Intertextualitätsbegriff nach Kristeva (»reader-oriented«, »radical«, »synchronic«, 33–34) als unvereinbar mit der bibelwissenschaftlich häufigen Verwendung des Intertextualitätsbegriffes für absichtliche Textbezüge (»author-oriented«, »traditional«, »diachronic«, 33–34). Sonst bestünde die Gefahr einer Auflösung des modernen in einen traditionellen Intertexualitätsbegriff: »downgrading the meaning of ›intertextuality‹ into the level of prior ›source-hunting‹« (34).
In Kapitel 2 »Resemblances between Job and Deutero-Isaiah« argumentiert K., dass die Hiob und Deuterojesaja gemeinsamen Themen (Theodizee, leidender Knecht, Schöpfung, Monotheismus) zu breit sind und gemeinsame Wörter für unterschiedliche Konzepte bzw. mehrfach in der hebräischen Bibel verwendet werden. K. schließt daraus, dass es keine eindeutigen Text-Text-Bezüge zwischen Hiob und Deuterojesaja gibt.
In Kapitel 3 »Job and Deutero-Isaiah in the Hebrew Bible« stellt K. (notwendigerweise kursorisch) Literatur zum Vergleich von Hiob und Deuterojesaja mit anderen Büchern der hebräischen Bibel dar. Er schließt daraus, dass die Ähnlichkeiten zwischen Hiob und Deuterojesaja innerhalb der hebräischen Bibel keineswegs außergewöhnlich sind, sondern dass es ähnliche Wörter, Formen und Themen auch in anderen biblischen Büchern gibt.
In Kapitel 4 »Scribes and Scribal Culture« geht K. von der Hypothese aus, dass die Texte der hebräischen Bibel von einer literarischen Elite verfasst und gelesen wurden. Ähnlich wie in Ägypten und Assyrien mit professionellen Schreiber-Gesellschaftsgruppen war nach K. auch im antiken Israel die Lese- und Schreibfähigkeit literarischer Texte auf Eliten beschränkt. Im Gegensatz zu bisheriger Forschung seien Schreiber aber nicht notwendig für Staat oder Tempel tätig gewesen, wie schon die Beispiele von Schreibtätigkeit im babylonischen Exil und im ägyptischen Elephantine zeigten. Schreiber seien vielmehr Mitglieder einer berufsunabhängigen, literarisch gebildeten Elite gewesen. Diese Hypothese lässt sich nach K. an biblischen Texten (mit dem hebräischen Wort »sofer« – »Schreiber« und Beispielen wie Jer 36) bestätigen. Weisheit und Prophetie in ihrer literarischen Form setzten beide hohe literarische Bildung voraus; der Unterschied zwischen Weisheit und Prophetie als aus zwei Gesellschaftsgruppen stammend solle also nicht überschätzt werden.
In Kapitel 5 »Intellectual Background of Job and Deutero-Isaiah« analysiert K. Ähnlichkeiten mit sumerischen, babylonischen, assyrischen, ugaritischen und ägyptischen Texten. Statt mit literarischer Abhängigkeit erklärt er die Ähnlichkeiten damit, dass die Schreiber von Hiob und Deuterojesaja jeweils kulturelles Wissen und literarische Techniken auch aus nicht-israelitischen Kulturen kannten. Für Israel gelte: »scribes may have had cultural knowledge of ancient literature, yet preserving their distinct identity among other nations« (183).
In Kapitel 6 »Scribal Ideas in Job and Deutero-Isaiah« sucht K. für Israel nach »shared beliefs among scribes of the Persian period« (185) im Vergleich mit anderen israelitischen Texten dieser Epoche und hellenistischen Texten. Gemeinsame Ideen in Hiob und Deuterojesaja seien »God’s control and God’s freedom« (184), anders als etwa die Torah- und Bundthemen anderer perserzeitlicher biblischer Bücher und als Endgerichtsthemen hellenistischer biblischer Bücher. K. schließt daraus: »Consequently, Job and Deutero-Isaiah most probab-ly reflect the scribal ideas of the period between the critical reception of the Deuteronomistic theology and the rise of the apocalyptic theology.« (221) Die Ähnlichkeiten zwischen Hiob und Deuterojesaja erklärt K. folgendermaßen: »it is neither because one used the other or because they used specific literary traditions, but because they are naturally emerging from the same social context which is ›scribal‹« (224).
Ingesamt schließt K., dass es Ähnlichkeiten zwischen Hiob und Deuterojesaja gibt, die über solche mit anderen Texten hinausgehen, aber nicht auf direkte Abhängigkeit schließen lassen. Vielmehr seien sie auf literarische Elite der Perserzeit zurückzuführen. Der Intertextualitätsbegriff im Sinne Kristevas sei insgesamt hilfreicher für die Bibelwissenschaft als Autorenzentrierung. »Over all, scribal culture in which the literati could memorise, educate, and use their inherit-ed oral-written texts could provide a useful tool for explaining vast interconnections with the Israelite and non-Israelite literatures.« (227)
An die fundierte und umfassende Darstellung K.s ließen sich folgende Anfragen stellen: Worauf gründen sich die von K. implizit verwendeten Kriterien für Text-Text-Bezüge wie Kontextähnlichkeit (was etwa bei Parodien problematisch wäre)? In welchem Verhältnis steht die mündliche Weitergabe von Traditionen durch Hören und Weitererzählen zur literarischen Elite mit Lese- und Schreibkenntnissen? Wie können breite Themen, die K. für Text-Text-Bezüge für zu allgemein erklärt, spezifisch genug sein für die Einordnung von Hiob und Deuterojesaja in eine Epoche und ein Milieu? Wie unterscheidet sich K.s Intertextualitätsauffassung, die faktisch autorenzentriert auf frühere oder zeitgleiche literarisch überlieferte Themen beschränkt wird, von Kristevas Intertextualitätsbegriff?
Insgesamt bietet das Buch (mit Literaturverzeichnis sowie Quellen-, Autoren- und Sachregister) umfangreiche und klar argumentierte Beiträge zum Verhältnis von Hiob und Deuterojesaja sowie zum Schreibertum im antiken Israel und zu Intertextualität.