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Ausgabe:

Januar/2018

Spalte:

81–83

Kategorie:

Kirchengeschichte: Alte Kirche, Christliche Archäologie

Autor/Hrsg.:

Frenschkowski, Marco

Titel/Untertitel:

Magie im antiken Christentum. Eine Studie zur Alten Kirche und ihrem Umfeld.

Verlag:

Stuttgart: Verlag Anton Hiersemann 2016. XIV, 338 S. = Standorte in Antike und Christentum, 7. Kart. EUR 88,00. ISBN 978-3-7772-1602-7.

Rezensent:

Franziska Naether

Diese Monographie von Marco Frenschkowski ist eine erweiterte Fassung des Artikels »Magie« des Autors im Reallexikon für Antike und Christentum. Das Buch ist um Ausführungen zur Alten Kirche erweitert, aber etwas gekürzt in Passagen zu magischen Praktiken in Ägypten bis einschließlich dem Neuen Reich (ca. 1550–1070 v. Chr.) und Mesopotamien. Aber da die zentralen Quellen zur antiken Magie, nämlich die griechischen und demotischen magischen Papyri (abgekürzt PGM und PDM), alle aus Ägypten stammen, ist das Land am Nil entsprechend repräsentiert. Ägypten galt ohnehin bereits in der Antike als das Herkunftsland der Magie – neben den Magiern der Perser und der Zoroastrer.
Das Buch ist in neun Abschnitte unterschiedlicher Länge gegliedert. Nach den »Problemanzeigen« und dem »methodischen Einstieg«, die sofort in medias res gehen und moderne Magietheorien referieren, folgt ein Kapitel namens »Antike Begriffsgeschichte und Ansätze einer Theorie der Magie«. Dies beinhaltet die emische Sicht auf magische Praktiken. Daran schließen sich sechs Kapitel an, die den Untersuchungsgegenstand in der griechisch-römischen Welt, in früheren Epochen (Mesopotamien, Ägypten, jüdische Traditionen), im Christentum (Neues Testament und Apokryphen), in der Alten Kirche (Kirchenväter usw.) und in weiteren spätantiken Religionen wie der Gnosis betrachten.
Das ist das Herzstück der Publikation und dementsprechend kleinteilig gegliedert, was das Suchen nach bestimmten Teilaspekten erleichtert und der Leser es auch als Nachschlagewerk benutzen kann. Abschnitt 7 geht exemplarisch auf crimen magicae in der antiken Rechtsprechung ein, während das Folgekapitel knapp die Gemeinsamkeiten und Unterschiede von Konzeptionen von Magie in Antike und Moderne umreißt. Ein kleiner Schluss, drei exemplarische Quellentexte, ein kurzes Verzeichnis ausgewählter Literatur und ein Register runden den Band ab. Durch die Querverweise können Kapitel auch einzeln gelesen werden.
F. betrachtet nicht nur magische Texte selbst, sondern auch weitere Quellen, die magische Praktiken erhellen. Dazu zählt er narrative und historiographische Texte, die er mit der gebotenen Vorsicht in seine Analyse einfließen lässt.
Eine Sache, die sich mir bei der Gliederung nicht erschließt, ist, warum die älteren antiken Kulturen nicht vor den griechisch-römischen Quellen betrachtet worden sind. Damit hätte die Einführung zu den griechischen und demotischen magischen Papyri (PGM + PDM) organischer eingebunden und aus der Betrachtung Ägyptens heraus auf die Textsorten innerhalb dieses Corpus (und ihren Vorläufern) sowie auf deren Praktiker eingegangen werden können. Dies hat F. nämlich in Kapitel 3 sehr schön differenziert für das multikulturelle und multilinguale Milieu vorgenommen, aber weniger strukturiert für die Folgekapitel. Dies stört etwas den narrativen Fluss des Buches.
Es mag nur ein flüchtiger Eindruck sein, aber im Bereich der Ägyptologie/Gräzistik fehlen einige Werke, die mittlerweile als Standard in der Betrachtung magischer Texte gelten, insbesondere von Nachwuchswissenschaftlern. Dies ist vermutlich auch dem Übersichtscharakter der Abschnitte geschuldet und – wie F. immer wieder betont – dass es sich bei Magie um ein »Modethema« handelt (besonders IX u. 54–56.). Bis auf die von mir erstellte Datenbank »TM Magic« werden keine Internetquellen aufgelistet, die es aber zahlreich gibt. Es wäre wünschenswert, wenn eine Folge-Ausgabe dies berücksichtigen würde (vgl. jetzt auch meine Auswertung zu den PGM/PDM: Griechisch-Ägyptische Magie nach den Papyri Graecae et Demoticae Magicae, in: Jördens, Andrea [Hrsg.]: Ägyptische Magie und ihre Umwelt, Philippika 80, Wiesbaden 2015, 191–217).
Es ist F. jedoch uneingeschränkt zuzustimmen, dass in manchen Publikationen die klare Abgrenzung von magischen zu rituellen oder divinatorischen Texten nicht gegeben ist. Dies funktioniert m. E. nur durch klare Klassifikationen von Textsorten der Kultpraktiken, wie F. es beispielsweise auf S. 85–90 aufführt. Besonders herauszuheben ist sein Plädoyer für Agrarzauber (86–87). Auch eine Trennung in »schwarze« und »weiße« Magie ist nicht zielführend, da mittelalterlich geprägt (9). Je nach Perspektive ist ein Schadenzauber nützlich oder schädlich – es kommt immer auf den Sender und den Empfänger an.
Besonders gelungen finde ich seine Ausführungen zu psychosozialen Aspekten der Magie, die an mehreren Stellen anklingen (z. B. 24–25). Es ist gut nachvollziehbar, dass auf Dominanz ausgerichtete und mit narzisstischen Charakterzügen ausgestattete Persönlichkeiten auch magische Praktiker oder Klienten waren, um damit ihre Allmachtsfantasien ausleben zu können. Die Mehrheit hatte zweifelsohne alltägliche Anliegen und wollte durch Magie alternative Problemlösungen probieren und Kontingenz überwinden. Da die Ausübenden von Magie mehrheitlich männlich waren, wird damit auch ein problematisches Verhältnis zum anderen Ge­schlecht ausgedrückt (u. a. 93–100).
Denn in der Regel waren magische Praktiker Priester und Mönche (vor allem in Ägypten), also Personen, die an die Institution Tempel oder Kirche bzw. Kloster gebunden waren. In anderen Regionen können auch umherziehende Spezialisten wie Seher oder Hexen ihre Dienste feilgeboten haben. Im Fall der PGM ist nicht klar, ob diese nicht von einem Priester im »Nebenerwerb« oder nach »Dienstschluss« für Klienten zurate gezogen worden sind. Für eine Bezahlung der Magier sind die Quellen recht spärlich. F. gelingt es darzulegen, dass nicht nur Eliten oder einfache Menschen nach magischen Praktiken verlangten, sondern dass es ein gesamtgesellschaftliches Phänomen war, das sich pauschalen Urteilen entzieht.
In den meisten antiken Kulturen wurde Magie als Kontrastfolie dafür genutzt, andere Personen anzufeinden. Die Anschuldigung, magische Praktiken zu vollziehen, war eine weit verbreitete Form der Anklage, die sich mit der Ausnahme Ägyptens wie ein roter Faden durch die Zeiten und damit auch durch das Buch zieht. Es existierten Verbotsverfahren und Gesetzgebungen, die allerdings nur partiell und selten in der kodifizierten Härte vollstreckt worden sind. Die Fälle von Jesus, Salomo und den Gnostikern werden ausführlich diskutiert.
F. ist ein Buch gelungen, das eine Lücke schließt: eine interdisziplinäre Einführung in magische Praktiken antiker Kulturen, die mit der Betrachtung Indiens und des iranischen Raums weit über den »klassischen« Mittelmeerraum hinausgeht. Er deckt außerdem Theorien zur Definition von Magie ab (sowie deren Unzulänglichkeiten – Magie als Kunst, als Wissenschaft, als Teilgebiet der Religion, als verkehrte Religion usw.) und beschäftigt sich mit der Rezeption von magischen Praktiken und Theorien bis in die Populärkultur hinein (auf S. 37 wird dann auch Harry Potter erwähnt).
Auch wenn der Fokus auf dem antiken Christentum liegt, sei das Werk Studierenden und Forschenden der Nachbardisziplinen als Einführungslektüre empfohlen, insbesondere der griechisch-römischen Welt. Es ist flüssig geschrieben und weckt Interesse für eine weitere Beschäftigung mit dem Thema. Man vermisst aber eine Bibliographie aller zitierten Literatur und einen Quellen-index. Das Buch ist stabil verarbeitet und für eine Monographie mit Nachschlagewerk-Charakter handlich, rechtfertigt aber nicht einen Handelspreis von 88,00 EUR. Es enthält schließlich keine Bilder und ein recht schlichtes Cover, das dem farbenfrohen Inhalt nicht gerecht wird. Aber darauf hat F. freilich keinen Einfluss.

Leipzig Franziska Naether