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Ausgabe:

Januar/2018

Spalte:

150–152

Kategorie:

Interkulturelle Theologie, Missionswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Eide, Öyvind M.

Titel/Untertitel:

Fridtjov S. Birkeli. Giganten og Gåten.

Verlag:

Stavanger: Hertervig Forlag 2016. 356 S. m. zahlr. Abb. Geb. NOK 375,00. ISBN 978-82-8217-223-3.

Rezensent:

Jobst Reller

Öyvind M. Eide, bis 2009 Professor für praktische Theologie/Seelsorge an der Missionshochschule in Stavanger, legt hier eine wissenschaftliche Biographie zu Bischof Fridtjov Birkeli (1906–1983) vor. Birkeli war Bischof in Stavanger von 1961–1968 bzw. in Oslo von 1968–1972. Kirchengeschichtliche Bedeutung erlangte der ehemalige Missionar auf Madagaskar (1933–1954), Direktor für Weltmission beim Lutherischen Weltbund in Genf (1954–1957) bzw. der Norwegischen Missionsgesellschaft (1957–1961) insofern, als er in be­sonderer Weise Prozesse der Verselbständigung von ehemaligen Missionskirchen während der Entkolonialisierung nach dem Zweiten Weltkrieg initiierte und begleitete.
Interessant an der aus den Quellen gearbeiteten Biographie ist, dass der Vf. einerseits in kirchengeschichtlicher Perspektive die Lebensgeschichte, verflochten in Institutionsgeschichte, zeichnet, andererseits aber auch ein Lehrstück in seelsorgerlich empathischer Einfühlung liefert. Birkeli, rastlos tätig und vielfältig Impulse gebend, in Mission und Kirche national und international hoch anerkannt, musste 1972 sein Amt als Bischof von Oslo und Primas der norwegischen Kirche niederlegen, weil er über längere Zeit ein außereheliches Verhältnis mit seiner ersten Verlobten unterhielt. Dass dies seinerzeit ein offenes und dennoch wohl gehütetes Ge­heimnis in der norwegischen Kirche und Gesellschaft war, dürfte auf der Hand liegen. Nebenbei bemerkt, war der Umgang der Me­dien in Norwegen mit diesem »Skandal« seinerzeit beachtenswert. Journalisten weigerten sich, die sensationelle Enthüllungsgeschichte aufzuarbeiten – nicht, weil sie Kirche und Bischof hätten schonen wollen, sondern weil sie erkannten, dass sie sich zum Handlanger moralisch verwerflicher persönlicher Rache hätten ma­chen lassen. Dieser Aspekt würde dem Buch leicht Stoff für einen Roman liefern, was man in kirchengeschichtlicher oder praktischer Hinsicht eher weniger erwarten würde.
Zwei Aspekte des Wirkens Birkelis sollen hier herausgestellt werden, zum einen sein Einsatz für die Verselbständigung ehemaliger Missionskirchen (besonders 85–90.135–140), zum andern seine wegweisenden Forschungen zur Christianisierung der Nordgermanen (183–205). Nach der Historikerin Karina Hestad Skeie »Build­ing God’s Kingdom in Highland Madagaskar« zielte die norwegische Missionsarbeit auf Madagaskar vom Beginn 1866 an auf eine selbständige Kirche insofern, als systematisch Taufkandidaten, Lehrer, Evangelisten und einheimische Kirchenleiter ausgebildet wurden. 1902 kam es zu einer nationalen Synode unter dem einheimischen Geistlichen Hans Rabeony, die 1903 von der norwegischen Missionsleitung unter Lars Dahle mit Hinweis auf die mangelnde Selbstfinanzierung aus Sorge vor der französischen Kolonialmacht gestoppt wurde. Vier von sechs lutherischen Missions­-feldern auf Madagaskar wurden von der norwegischen Missionsgesellschaft betreut, zwei von amerikanischen lutherischen Kirchen. Während Birkelis Zeit als Missionar auf Madagaskar kam es 1939 zu einer von der Kolonialmacht misstrauisch beäugten Absichtserklärung der gemeinsamen lutherischen Konferenz in Richtung auf eine selbständige lutherische Kirche auf Madagaskar. 1944 legte Birkeli einen vollständigen Entwurf der Kirchenverfassung vor: »Vorschlag zur endgültigen Organisation einer lutherischen Kirche auf Madagaskar«.
Nach Widerstand auf der Seite der Missionare kam es 1950 nun auf Druck der Missionsleitungen in Norwegen und den USA zur Gründung der lutherischen Kirche in Madagaskar nach Birkelis pragmatischem Vorschlag, indem er die sechs Missionsfelder als Regionalsynoden mit Leitung und Aufsicht eine Generalsynode mit entsprechenden Organen für die Gesamtkirche wählen ließ. Birkeli hatte einen Genesungsaufenthalt in den USA 1946 zu diplomatischen Kontakten mit den amerikanischen Missionskirchen genutzt. Ein Hauptmotiv Birkelis war aus seiner Doktorarbeit »Politikk og Misjon: De politiske og interkonfesjonelle forhold på Madagaskar og deres betydning for den norske misjons grunnlegging 1861–1875« (Oslo 1952) erwachsen – die Einsicht, dass eine unselbständige Missionskirche als vermeintlicher Anwalt des Ko­lonialsystems für nationale politische Leitungen nie akzeptabel sein konnte.
Als Direktor für Weltmission beim Lutherischen Weltbund in Genf fand Birkeli 1954 eine ausdrücklich positive Stellungnahme zu selbständigen Kirchen in ehemaligen Missionsgebieten vor, die zu einer Projektstudie zur Kirchenverfassung selbständiger Kirchen weltweit geführt hatte. U. a. folgende Empfehlungen für junge lutherische Kirchen wurden gegeben: 1. die Gründung in der heiligen Schrift und ihrer Interpretation in den altkirchlichen Be­kenntnissen, 2. der Bezug zu Martin Luthers Kleinem Katechismus und der Confessio Augustana, 3. die Öffnung für kontextuelle In­terpretationen im Verhältnis zu anderen Religionen und politischen Ideologien. Birkeli wirkte besonders dahin, dass das Leitungsmodell, ob episkopal, synodal oder lokal oder eine Mischung aus allen drei Elementen, lutherisch durch die Fundierung im Wort Gottes bestimmt sein müsse.
Birkelis Vater Emil war als Missionar auf Madagaskar durch seine Studien zur Ahnenverehrung zum Professor für Religionswissenschaft an der Universität Oslo aufgestiegen, Birkeli selbst reflektierte die Erfahrungen mit der einheimischen Kultur in Mission und Kirche auf Madagaskar als Folie für die Christianisierung der Nordgermanen in Norwegen. Birkeli deutete in der grundlegenden Studie »Norske steinkors i tidelig middelalder« (1973) das Vorkommen von Kreuzen auf Bausteinen aus dem 10. Jh. bzw. etwa 60 Steinkreuze als Zeugnisse einer Übergangsperiode hin zum Christentum, die mit der top-down Mission der ersten christlichen Könige Olav Tryggvason und Olav Haraldsson († 1030) ihr Ende fand.
Fixiert auf missionsgeschichtliche Darstellungen war eine »bottom-up« Mission, die nicht aus dem Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation nach Norden wirkte, bisher wenig beachtet worden. Vorbilder fand Birkeli in keltischen und anglischen Steinkreuzen auf den britischen Inseln. Birkelis These fand zum Teil Anklang bzw. wurde zum Teil modifiziert. Saebjörg Walaker Nordeide un­terschied vier Phasen der Christianisierung Norwegens von ers­ten Spuren im 9. Jh., Beweisen bei königlich-kirchlichen Stadtgründungen zwischen 990–1050, christlicher Wirksamkeit im In­land zwischen 1050–1070 und einer neuen volkstümlich christlichen Kultur nach 1070.