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Ausgabe:

Januar/2018

Spalte:

148–150

Kategorie:

Interkulturelle Theologie, Missionswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Bwiruka, Kambale Jean-Bosco Kahongya

Titel/Untertitel:

Das Phänomen Hexen­kinder in Goma. Religiöse Deutungen und Ansätze sozialer Arbeit christlicher Kirchen und Bewegungen im Kontext der Krisenregion des Ost-Kongo.

Verlag:

Münster u. a.: LIT Verlag 2016. 335 S = Beiträge zur Missionswissenschaft/Interkulturellen Theologie, 36. Kart. EUR 39,90. ISBN 978-3-643-13263-5.

Rezensent:

Markus Roser

Kambale Bwiruka ist Pastor der Baptistischen Kirche in Zentral-Afrika (3. CBCA) und theologischer Lehrer an der Université Libre des Pays des Grands Lacs in Goma. Bei der vorliegende Monographie handelt es sich um die im Jahr 2015 an der Kirchlichen Hochschule Wuppertal/Bethel angenommene Dissertation B.s.
Seit einigen Jahrzehnten ist das Phänomen »Hexenkinder« aufgrund der religiösen Deutungsmuster und der daraus resultierenden Beschuldigungen von Kindern als Ursache für Miseren wie Krankheiten, Unfälle oder Arbeitslosigkeit in Afrika hoch aktuell. B. führt in das herausfordernde Thema der »Hexenkinder« ein, indem er dem Leser ein Kaleidoskop unterschiedlicher Deutungsmuster vor Augen führt. Manche protestantischen Kirchen und auch lokale Organisationen der römisch-katholischen Kirche sehen das Phänomen der Hexenkinder vor allem als Folge sozioökonomischer Krisen der Region, bedingt durch einen jahrzehntelangen Bürgerkrieg und den Genozid in Ruanda. Ein Ausbruch des örtlichen Vulkans verschlimmert die Situation. Kinder wurden durch diese Ereignisse zu zwangsrekrutierten Kindersoldaten, zu Straßenkindern oder Kinderarbeitern in den vielen illegalen Minen. Diese Kirchen bieten Lösungen an und beziehen sich auf afrikanische Werte wie Familie oder auf Bildung und Solidarität. In manchen Erweckungskirchen dagegen werden Hexenkinder als real und damit als »Diener des Teufels« betrachtet. Ihnen wird vorgeworfen, die »Segnungen Gottes« zu blockieren. In der Praxis gibt es in diesen Kirchen Propheten, die ähnlich wie die traditionalen Seher in den Stammesreligionen das gestörte Gleichgewicht wiederherstellen, indem sie die Hexenmacht der Kinder brechen oder die Kinder vertreiben oder vernichten (17–21).
Mit Verweis auf die wichtigsten einschlägigen Publikationen ist der Forschungsüberblick über die ethnologische Hexereiforschung und deren Epochen sehr knapp und dicht gehalten (29–36). Zum Verständnis der Deutungsmuster beleuchtet B. nicht nur die verschiedenen sozialen, wirtschaftlichen, politischen und religiösen Kontexte von Goma und der Kivu-Region (37–61), sondern auch das Phänomen der Hexenkinder in der Medienwelt und deren Einflüsse auf die Menschen (62–95).
Im Hauptteil seiner Monographie fragt B. nach afrikanischen Wertemustern in den theologischen Diskursen der unterschiedlichen Kirchen. An drei Beispielen untersucht er Deutung und Umgang mit Hexenkindern in den Missionskirchen. Daran schließen sich vier Beispiele aus den Erweckungskirchen an. Für die Missionskirchen beschreibt er zuerst das römisch-katholische Zentrum Don Bosco Ngangi, in dessen Ansatz der Mensch als Geschöpf Gottes im Mittelpunkt der Kirche als Familie Gottes steht. Den der Hexerei beschuldigten und damit gefährdeten Kindern wird ein Schutzraum und Wachstumsort geboten. Unter dem Motto »Sich selbst ein Leben aufbauen« werden die traumatisierten Kinder psychologisch, therapeutisch, sozial und religiös betreut, erlernen einen Erwerbsberuf und werden nach Möglichkeit in die Gesellschaft reintegriert (109–129).
Als weitere Beispiele folgen die Baptistische Kirche Zentralafrikas (3. CBCA), deren prophylaktische soziale Arbeit mit Hexenkindern mit den Begriffen »Bildung und Solidarität« wiedergegeben werden kann (130–154), und die Pfingstkirche Zentralafrikas (8. CEPAC), welche durch ein dualistisches Weltbild geprägt ist, das Hexenkinder in der Machtsphäre des Teufels sieht und christliche Mission als Kampf gegen die Hexerei versteht, flankiert durch soziale Arbeit. Die prophetische Gabe des Heiligen Geistes spielt hier eine besondere Rolle (155–170).
Den Erweckungskirchen steht jeweils ein intellektuell-visionärer Prophet oder Wundertäter vor. Als Beispiele werden die Eglise Gloire de Dieu mit dem Gründerapostel Isaac Mwanaume Mufambali (179–195), das Zentrum Bethsaida im Kongo unter Kabutu Biriage (196–204), die Bewegung Jesu ni Jibu unter der Prophetin Agatha Apendeki (205–224) und die Cité de Refuge von Jules Mulindwa (225–253) genannt. Den Umgang mit beschuldigten Hexenkindern beschreibt B. unter den einzelnen Erweckungskirchen als sehr heterogen. Die Palette der Möglichkeiten reicht von der Rettung der Hexenkinder durch Geisterunterscheidung, d. h. dem Prüfen der prophetischen Visionen bis hin zu Befreiungsdiensten mit Heilungsgebeten. Aber auch bei den Erweckungskirchen werden bisweilen soziales, psychologisches und geistliches Engagement miteinander verbunden. So hat z. B. das Zentrum Bethsaida im Kongo als Zeichen der Hoffnung eine Schule für Straßenkinder von ehemaligen Kindersoldaten gegründet, um ihnen eine handwerkliche Ausbildung zu ermöglichen.
Als sehr kritisches Beispiel beschreibt B. die Cité de Refuge von Jules Mulindwa. Weil aufgrund der Bedrohung durch Hexer und Dämonen das Leben zerstört würde, gälte es, die gestohlenen Güter wiederzugewinnen. Mulindwa spricht in aller Öffentlichkeit vor Tausenden versammelter Menschen konkrete Verdächtigungen aus, beschuldigt Politiker, reiche Händler oder auch andere Pastoren. B. beobachtet, dass diesen Hexereianklagen kaum widersprochen wird. Problematisch bleibe, dass bei der Heilung des einen immer die Verdächtigung eines anderen ausgesprochen werde. Dadurch würden Angst und Misstrauen größer und neue Zwietracht zwischen die Menschen gesät.
Für den Leser wäre es interessant und hilfreich gewesen, wenn B. hier wie an anderen Stellen der schroffen Exklusion die in­tegrativen Ansätze der afrikanischen traditionalen Versöhnungsreligionen gegenübergestellt und Linien ausgezogen hätte von dem, was er mehrfach wiederholt als Versatzstücke der afrikanischen traditionalen Religion bezeichnet, aber nicht näher beschreibt.
Im folgenden Kapitel fragt B. nach dem prophetischen Schutz für gefährdete Kinder in Goma. Er beschäftigt sich mit biblischen Vorbildern, beleuchtet Jesus als Propheten und Beschützer der Armen, der Kinder aufwertet und Heilung und Dämonenaustreibung ins Werk setzt. Mit Opoku Onyina kommt er zu dem Schluss, dass »die prophetische Gemeinschaft bereit sein soll, dem Heiligen Geist auch bei einem normalen Gottesdienst Dämonenaustreibung und Heilung zu ermöglichen, […] um Sorgen, Befürchtungen und Ängste der Unterdrückten zu beruhigen, ihre Gesundheit wieder herzustellen und den einzelnen wieder in die Gemeinschaft hineinzustellen. Dies schaffe eine neue Welt, in der die Hoffnungslosen, wie etwa die sogenannten Hexenkinder, die Gnade der Hoffnung und Befreiung empfangen können.« (259–291)
»Vom prophetischen Schutz zur ganzheitlichen Mission« ist das Schlusskapitel tituliert und konkretisiert Aufgabe und Orientierung der Kirchen in Goma, um das Dilemma der Misshandlung von Kindern als Hexenkinder zu beenden. Theologische Anhaltspunkte liefern Zitate aus Erklärungen der ÖRK-Vollversammlung in Busan, den Weltmissionskonferenzen und Lausanner Kongressen für Weltevangelisation. B. schließt seine Monographie mit Gedanken aus der ÖRK-Erklärung von Busan 2013 »God of Life. Lead Us to Act«, Worten, die wie ein Appell an die Kirchen in Goma und anderswo wirken. Mission solle sich auf den Geist Gottes berufen, von den Rändern her wirken und gerade Machtlose, Arme und Ausgegrenzte in den Mittelpunkt stellen. Es gelte, »die Mission der Kirche aus der Sicht der gefährdeten Kinder zu bestimmen […] Ziel ist es nicht einfach Menschen vom Rand in die Zentren der Macht zu bringen, […], sondern Machtstrukturen zu verändern.« (292–307)
Die Monographie über die Hexenkinder in Goma ist mehr als nur eine analytische Information über religiöse Deutungen und soziale Arbeit. B. lässt spürbar werden, dass ihm die Überwin-dung dieses humanitären und theologisch herausfordernden Dramas im Interesse der betroffenen Kinder ein Herzensanliegen ist. Aufgrund der Aktualität und Tragik ist das Buch als Lektüre nicht nur allen akademisch Interessierten, sondern allen, die mit der Arbeit der Kirchen in Afrika verbunden sind, unbedingt zu empfehlen.