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Ausgabe:

Januar/2018

Spalte:

134–136

Kategorie:

Systematische Theologie: Dogmatik

Autor/Hrsg.:

Wenz, Gunther

Titel/Untertitel:

Vollendung. Eschatologische Perspektiven.

Verlag:

Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2015. 354 S. = Studium Systematische Theologie, 10. Kart. EUR 50,00. ISBN 978-3-525-56714-2.

Rezensent:

Hartmut Rosenau

Mit diesem Buch ist nun die zehnbändige Reihe »Studium Systematische Theologie« abgeschlossen (325). Ob sie damit auch »vollendet« ist? Im »Nachwort: Theologische Zeitgenossenschaft« (326–345) dieses letzten Bandes, der dann entsprechend auch von den »letzten Dingen« handelt, gibt Gunther Wenz, emeritierter Professor für Systematische Theologie an der Evangelisch-theologischen Fakultät der Universität München und Leiter der Wolfhart Pannenberg-Forschungsstelle an der Münchener Hochschule für Philosophie SJ, im Kontext seines Verständnisses von Theologie und der Wahrnehmung ihrer gegenwärtigen Lage und Aufgaben mit einem Zitat einer Laudatio noch einige Hinweise zur Absicht dieser seiner Reihe im Ganzen. Sie »dient weniger dazu, ein eigenes Lehrgebäude zu errichten, als vielmehr […] über den Stoff und die Fragestellungen der Dogmatik zu orientieren und dies als Hilfe zur Urteilsbildung für sich selbst und andere« (330).
Solche Orientierungen zur Vorbereitung eigener Urteilsbildung bietet W. mit seinen »eschatologischen Perspektiven« fast schon allzu reichlich, indem er theologiegeschichtlich beeindru-ckend kenntnisreich und detailfreudig referiert und persönlich zurückhaltend kommentiert, was alles durch die Jahrhunderte hindurch von biblischen Zeiten an bis in unsere Gegenwart hinein über die letzten Dinge gedacht, was davon kirchlich vertreten worden und auch konfessionsspezifisch zwischen Orthodoxie, römischem Katholizismus und Protestantismus strittig (gewesen) ist. Dabei wird allerdings nicht immer ganz klar, was historisches Referat und was davon im Einzelnen eigene, systematisch argumentativ vertretbare Überzeugung ist. Generell geht es W. aber gerade auch im konfessionellen Vergleich eschatologischer Überzeugungen darum, »die Integrationspotentiale des reformatorischen Ansatzes in Kritik und Konstruktion möglichst flächende-ckend unter Beweis zu stellen« (17). Ob das gelingt, hängt davon ab, ob und wie das Kriterium der reformatorischen Rechtfertigungslehre plausibel zur Geltung gebracht werden kann (22 f.), z. B. auch im Blick auf eine konfessionell sehr unterschiedlich bewertete Vorstellung von einem »Fegefeuer« (278 ff.).
Statt nun unmittelbar mit Luthers Verständnis des Todes als Beispiel einer »ars moriendi« zu beginnen (7), könnte man sich die Reihenfolge der einzelnen Kapitel, denen immer ausführliche und hilfreiche Literaturangaben vorangestellt werden, durchaus auch an­ders vorstellen. Insbesondere das eher dem systematischen als dem historischen Einstieg gewidmete Kapitel »De novissimis. Zu Begriff und Themenbeständen der Eschatologie« (83–102) würde man eher zu Beginn als erst an vierter Stelle erwarten. Zu diesen Themenbeständen gehören üblicherweise die Fragen nach dem Tod und einer postmortalen Existenz (leibliche Auferstehung; Unsterblichkeit der Seele), nach dem (jüngsten) Gericht und seinen möglichen Ausgängen (doppelter Ausgang; Allversöhnung; annihilatio), nach einem Zwischenzustand (Purgatorium; Fegefeuer) und konkreten Jenseitsvorstellungen (Himmel; Hölle), aber auch nach dem Reich Gottes in der nach wie vor unausgeglichenen Spannung zwischen individueller und universaler Eschatologie (268), Naherwartung und Parusieverzögerung.
Dem gegenwärtigen Trend in postchristlicher Zeit entsprechend stellt W. Themen der individuellen Eschatologie in denVordergrund, allerdings ohne z. B. die interessanten und für eine dogmatisch-kirchliche Positionierung durchaus innovativen und relevanten Diskurse zu Nahtod-Erfahrungen und Leib-Seele-Verhältnissen aus der Sicht aktueller Hirnforschung mit einzubeziehen. Im Blick auf universal-eschatologische Vorstellungen wären auch Diskurse mit naturwissenschaftlichen (kosmologischen) Theorien interessant gewesen, wohl wissend, dass Eschatologie kategorial von Fu-turologie zu unterscheiden, aber dennoch darauf zu beziehen ist, wenn denn eschatologische Inhalte des christlichen Glaubens als
»-logische« auch »extra muros ecclesiae« gehört und ernst genommen werden wollen und mindestens ansatzweise gezeigt werden soll, dass die christliche Hoffnung z. B. auf eine Auferstehung der Vernunft nicht widerspricht (25.263). Bemerkenswert ist hier eine Tendenz, dass die bis vor Kurzem noch von führenden Theologen für absolut entgegengesetzt gehaltenen Vorstellungen von der leiblichen Auferstehung einerseits (neutestamentlich) und einer Un­sterblichkeit der Seele andererseits (platonisch) um der Begründung menschlich-individueller Identität willen doch wieder näher zu­sammengeführt werden können (49.217.264), ohne deswegen in überwundene dualisierende Anthropologien zurückfallen zu müssen (258).
Hin und wieder werden auch die für besonders gehaltenen er­kenntnistheoretischen, hermeneutischen und methodischen Probleme einer Lehre von den letzten Dingen angesprochen (z. B. in Ka­pitel 3: »Kraft der Einbildung. Eschatologie unter neuzeitlichen Bedingungen«, 61–82), »weil diese offenkundig über das hinausweisen, was dem üblichen Bewusstsein als Realität gilt« (76), ohne dass jedoch solche prinzipientheoretische Überlegungen (die im Grunde keine anderen sind als in Bezug auf andere dogmatische Topoi in der üblichen Spannung zwischen »natürlicher Theologie« und »Offenbarungstheologie«) von W. überbewertet werden. Denn W. geht es zu Recht vor allem darum, sich den konkreten dogmatischen Inhalten und nicht so sehr den Methodenfragen zuzuwenden (330), zu­mal diese Inhalte bei allem Streit um methodische Ansätze und Paradigmenwechsel in theologischen Grundpositionen in der Konsequenz durch die Zeiten hindurch erstaunlich ähnlich und »stabil« geblieben sind (93). Und gerade im Blick auf die theologische Praxis etwa in Kirche und Schule sind nicht Ansatz- und Grundpositionen systematischer Theologie, sondern konkrete, dogmatisch verbindlich vertretbare Inhalte gefragt, deren Strittigkeit dann allerdings auch mal und in zweiter Linie zu prinzipientheoretischen Überlegungen führen kann. Dennoch macht es Sinn, den methodisch wie sachlich relevanten Unterschied zwischen »eschatischen« Inhalten und »es­chatologischen« Theoriebildungen (selbst-)kritisch zu be­achten – eine Unterscheidung, die W. nahezu durchgängig vernachlässigt (z. B. 31 ff.35 f.133.137.161 u. ö.) und so ungewollt irritierende Missverständnisse provoziert, ob eine bestimmte Aussage über die »Lehre« von den letzten Dingen oder über die »letzten Dinge« selbst gemeint ist. Ebenso ungeklärt bleibt der modallogische Status eschatologischer Aussagen zwischen »Heilsgewissheit« und »Hoffnung« (22) bzw. »Erwartung« (33) und »Verheißung« (84), womit durchaus sehr unterschiedliche Grade von Verbindlichkeit und Wahrheitsansprüchen zum Ausdruck kommen, ohne dass ihnen deswegen ein lebensorientierender »Wert« von vornherein abgesprochen werden müsste (202). Das gilt auch und gerade für die poetischen Beschreibungen postmortaler Aufenthaltsorte des Dichter-Theologen Dante, dem W. ein eigenes, sehr ansprechend ge­schriebenes Kapitel widmet (»Inferno, purgatorio, Paradiso: Mittelalterliche Jenseitsszenarien im Anschluss an Dante und Thomas«, 167–189).
Bedenkenswert ist die Herleitung der Genese eschatologischer Aussagen vor dem Hintergrund des Motivs, auf diese Weise der »Gerechtigkeit universale Geltung zu verschaffen« (27; s. auch 31.98 f. und besonders 139.142 ff.), ein Motiv, das vielleicht bei aller »produktive(n) Einbildungskraft« insbesondere futurisch-eschatologischer Vorstellungen (79) als harter Kern festgehalten zu werden verdient, um auf die existentielle Frage zurückzukommen, welchen Sinn eschatologische Überzeugungen »für das Leben in dieser Welt« ha­ben (82), zumal gegenwärtig »die Zukunft unter den Tempora nicht mehr favorisiert wird wie noch vor einigen Jahrzehnten« (103). Die Frage nach der Gerechtigkeit ist dann auch eine entscheidende für das argumentative Abwägen zwischen der traditionellen eschatologischen Vorstellung von einem »doppelten Ausgang« einerseits und einer Allversöhnung andererseits, für die W. im Anschluss an Schleiermacher zumindest Sympathien hat (208). Ob hier nicht doch eine definitive Position jenseits einer letztlich unbefriedigenden Ambivalenz zwischen »hoffen auf« und »rechnen mit« möglich ist (307)?
Diese und andere Fragen für sich und andere zu beantworten, bleibt mit Absicht den Leserinnen und Lesern dieses überaus informativen und anregenden Studienbuchs überlassen.