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Ausgabe:

Dezember/1999

Spalte:

1291 f

Kategorie:

Religionspädagogik, Katechetik

Autor/Hrsg.:

Wegenast, Klaus

Titel/Untertitel:

Lern-Schritte. 40 Jahre Religionspädagogik 1955-1995.

Verlag:

Stuttgart-Berlin-Köln: Kohlhammer 1999. 284 S. gr.8 = Praktische Theologie heute, 33. Kart. DM 79,-. ISBN 3-17-014785-4.

Rezensent:

Karl Ernst Nipkow

",Offenbarung’ und ,Erfahrung’ lautet das Problem und das Arbeitsprogramm der Religionspädagogik. Ich habe in den vorliegenden Beiträgen den Versuch gemacht, den mir möglichen Beitrag zur Klärung und zur Lösung hier anstehender Fragen zu leisten." Mit der Formel "Offenbarung und Erfahrung", der Überschrift über seine Abschiedsvorlesung vom 22.6.1995 (65-75), und den anschließenden bescheidenen Sätzen gegen Ende der Einleitung des Sammelbandes (16), der 13 Aufsätze aus dem Zeitraum von 1963 bis 1996 und eine unveröffentlichte Studie umfaßt, gibt Klaus Wegenast einen aufschlußreichen Überblick über die Grundlagen und die geschichtliche Entwicklung seines theologisch-religionspädagogischen Denkens im Sinne immer neuer "Lern-Schritte".

Der in allen deutschsprachigen und anderen Ländern hoch geschätzte Autor lehrte von 1972 bis zu seiner Emeritierung 1995 auf dem Lehrstuhl für Praktische Theologie mit dem Schwerpunkt Religionspädagogik an der Evang.-Theol. Fakultät der Universität Bern, zuvor von 1962 bis 1972 an der Pädagogischen Hochschule Lüneburg. W. hat seine wissenschaftliche Laufbahn als Neutestamentler begonnen, seine berufspraktische als Gymnasiallehrer. Sein Werk ist entsprechend zwischen der biblischen Überlieferung, die die Ursprungsdokumente der "Offenbarung" enthalten, und der "Erfahrung" ausgespannt, die in den Lebenslagen der jungen Generation zum Prüfstand unserer religionspädagogischen Bemühungen wird. Die Jugend hält uns den Spiegel vor, weil wir unsere Welt so behandeln, "als ob wir eine zweite im Kofferraum hätten", so ein Jugendlicher, zitiert in der Rektoratsrede W.s vom 5.12.1987 (56) mit ihrer bezeichnenden Überschrift "Jugend - Zukunft - Glaube" (51-64).

"Offenbarung" und "Erfahrung" als Problemanzeige und Aufgabe der Religionspädagogik kennzeichnen diese in der Sicht W.s als "gleichursprünglich" verpflichtet, in der "Pflicht gleichursprünglichen Fragens nach dem Glauben und seiner Heilsbedeutung und nach dem Menschen und seiner Situation als Abbild von Fragwürdigkeit und Frage nach Heil" (73). Nicht ein allgemeiner Religionsbegriff ist der eine Pol, sondern das "Evangelium" mit der damit aufgeworfenen Frage nach lebensbedeutsamer "Wahrheit"; und nicht der Mensch in abstrakter Allgemeinheit bildet den anderen Pol, sondern die Kinder und Jugendlichen in ihren konkreten Situationen heute bilden ihn, auf daß "das Evangelium zu seiner Wahrheit und der Mensch im Kontext seiner Lebenswelt zu seinem Recht zu kommen vermögen" (16).

Die Abhandlungen in Teil 1 beleuchten wichtige "Wendepunkte als Re-Aktionen auf Situationen", unter anderen Anfang der 60er Jahre die entschlossene Hineinnahme der historisch-kritischen Exegese und der existentialhermeneutischen Auslegung auch in die Ausbildung und damit den Religionsunterricht der Religionslehrer und Religionslehrerinnen an Grund-, Haupt- und Realschulen (19 ff.). Die Treue zur biblischen Tradition in Abwehr jeder geschichtsvergessenen schulischen Bildung blieb auch dann für W. selbstverständlich, als er 1968 "Die empirische Wendung in der Religionspädagogik" programmatisch auf den Begriff brachte (34 ff.).

Teil 2 dokumentiert unter der Überschrift "Die Bibel in unterrichtlichen Lernprozessen" die Könnerschaft W.s in der Bibeldidaktik, sei es im Gespräch mit der allgemeinen Didaktik (77 ff.) oder in urteilssicherer Auseinandersetzung mit neuen didaktischen Ansätzen, wie es sich besonders in seiner Anfrage an den thematisch-problemorientierten Religionsunterricht mit der berühmten Formel "Das Problem der Probleme" (100 ff.) und in seinen Stellungnahmen zu neueren Wegen der Bibelauslegung (141 ff.) sowie zur "Erfahrungsdimension" (153 ff.) spiegelt. W.s wegweisende Beurteilungen erwachsen aus seiner umfassenden Belesenheit (seine Publikationen umfassen auch über 290 Rezensionen) und historischen Gelehrsamkeit.

Auf dem Weg zu einem "gleichursprünglichen" Denken hat W. maßgeblich zur Klärung der Religionspädagogik als Disziplin beigetragen. Teil 3 behandelt das generelle Verhältnis zwischen (Praktischer) Theologie und Pädagogik und die speziellen Beziehungen der Praktischen Theologie bzw. in ihr der Religionspädagogik zu den exegetischen Disziplinen und zur Systematischen Theologie.

Die gewonnenen Einsichten sind im institutionellen Verantwortungshorizont der "christlichen Kirchen" (15) entwickelt und können der Theologie insgesamt aufhelfen, denn "ihr Glanz liegt nicht in ihrem Wahrheitsbesitz, sondern in ihrer Kommunikabilität und ihrer Fähigkeit zum Streit mit Argumenten gerade auch dort, wo sie auf etwas hinzuweisen versucht, was die Welt von sich aus nicht zu sehen vermag" (74f.). Die Theologie muß sich mit W. fragen, ob der von ihr reflektierte Glaube "Platzhalter einer kritischen Begegnungsmöglichkeit mit einer anderen Wissenschaft ist, von der etwas zu lernen ist und deren Fragen Bedeutung haben, oder bloße Etikette der Besitzstandswahrung, welche mit Hilfe anderer Wissenschaften vermeintlich besser gewährleistet werden kann als ohne sie" (254). - Was W. in 40 Jahren stets besonnen abgeklärt hat, zählt heute zur tragfähigen Grundlage der Religionspädagogik für die Zukunft.