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Ausgabe:

Januar/2018

Spalte:

125–128

Kategorie:

Systematische Theologie: Dogmatik

Autor/Hrsg.:

Böhnke, Michael

Titel/Untertitel:

Gottes Geist im Handeln der Menschen. Praktische Pneumatologie.

Verlag:

Freiburg i. Br.: Verlag Herder 2017. 256 S. Geb. EUR 25,00. ISBN 978-3-451-34744-3.

Rezensent:

Christian Danz

Der in Wuppertal lehrende römisch-katholische Theologe Michael Böhnke legt in diesem Buch einen Neuentwurf einer Pneumatologie vor. Im Anschluss an den emeritierten Züricher Theologen Johannes Fischer plädiert B. für eine handlungstheoretische Grundlegung der Geistlehre. Dadurch soll die christologische Engführung des Gottesgeistes (18.22), die für die Lehrtradition sowie die gegenwärtigen Theologien von Katholizismus und Protestantismus signifikant sei und weithin zu einer Geistvergessenheit geführt habe, korrigiert und überwunden werden. Aus der Diagnose ergibt sich das Programm einer praktischen Pneumatologie:
»Zum einen soll die Geistvergessenheit in der Theologie, an deren Überwindung man zur Jahrtausendwende glaubte und die seitdem doch wieder auf dem Vormarsch ist, durch die Bezugnahme auf die menschliche Handlungswirklichkeit nachhaltig überwunden werden. Zum anderen soll die Pneumatologie von der Einsicht in die Geistbestimmtheit des menschlichen Handelns her reformuliert und auf diese Weise neu zur Geltung gebracht werden.« (11)
Mit diesem durchaus innovativen Anspruch (15), die Geistlehre handlungstheoretisch zu konstruieren, verbindet sich die Konsequenz, dass die Pneumatologie zum Zentrum und zur Grundlage der Theologie wird. Es geht also nicht nur um eine Reformulierung der Geistlehre, sondern auch um eine dadurch möglich werdende Plausibilisierung der christlichen Religion insgesamt. Die dem Buch zugrundeliegende These lautet also, »dass der Abwesenheit Gottes nur mit einer praktischen Pneumatologie« begegnet werden kann. »Die Christologie ist überfordert, wenn sie für die Gegenwart Gottes einstehen soll, weil auch die Gegenwart Jesu Christi als des erhöhten Herrn nur im Geist zugänglich ist.« (22) Das anspruchsvolle Programm einer praktischen Pneumatologie erörtert B. in den vier Hauptabschnitten seines Buches, die systematisch den Gottesgeist als Deutung des Handelns sukzessive entfalten.
Auf einen kurzen Prolog (11–15), der das Anliegen einer praktischen Pneumatologie erläutert, folgt unter der Überschrift Eröffnung des Themas ein umfassender Überblick über den problemgeschichtlichen Kontext der Geistlehre sowie die Anforderungen, denen diese zu genügen hat (16–75). Vor dem Hintergrund der Problemgeschichte, die in die Diagnose einer Geistvergessenheit mündet, entwirft B. seine These, der Gottesgeist sei handlungstheoretisch als die »sich im Handeln der Menschen erweisende Treue Gottes« (66) zu verstehen. Aus dem »in der Erfahrung kommunizierten < /span>Selbsterweis des Geistes« resultiert die »Bestimmung des Heiligen Geistes als Person« (73 f.). Die Personalität des Geistes wird handlungstheoretisch bestimmt und nicht – wie zumeist üblich – aus der Trinitätslehre abgeleitet.
Die systematische Grundlegung der praktischen Pneumatologie erfolgt im zweiten Abschnitt des Buches (Annäherungen, 76–169) in zwei Unterabschnitten. Unter Aufnahme von Johannes Fischers Überlegungen zur praktischen Erkenntnis (81), die dieser in seinem Geistbuch (Leben aus dem Geist [1994]) ausgeführt hatte, versteht B. den Geist Gottes als Bestimmung des Handelns. »Der Geist einer Handlung, der hier den frühen und den späten Fischer synthetisierend als szenische Gerichtetheit des Handelns durch die ad­verbiale Bestimmtheit des Verhaltens verstanden werden soll, kann in jedweder [!] Handlungswirklichkeit identifiziert und somit auch für jede [!] Handlungswirklichkeit als diese bestimmend geltend gemacht werden.« (88 f.) Der Heilige Geist wird als eine religiöse Selbstbeschreibung der Erfahrung verstanden. Mit und in dem Gottesgeist deutet und stellt der religiös Handelnde die Aufbauelemente seines Vollzugs dar. B. rückt damit von einem substanzontologischen Geistverständnis ab (vgl. 145) und reformuliert den Gottesgeist als eine in Kommunikation eingebundene religiöse Deutung des Handelns und seines Bestimmtseins (vgl. auch die Aufnahme der Überlegungen von Folkart Wittekind, 76–78). Un­deutlich bleibt jedoch, wer hier die Zuschreibung vornimmt, in jeder Handlungswirklichkeit sei der Gottesgeist bestimmend.
Eine Näherbeschreibung des Handelns in seiner Geistbestimmtheit erfolgt durch den Gedanken der Proexistenz (89–92), den B. von dem Erfurter Neutestamentler Heinz Schürmann aufnimmt. Die Gerichtetheit des Handelns, für die der Geist steht, wird als Pro-Existenz, Bei-Sein und schließlich als Solidarität charakterisiert. Die Handlungswirklichkeit, die den Geist stets schon voraussetzt, strukturiert der Autor im Anschluss an das Glaubensbekenntnis von Nicäa und Konstantinopel durch die Momente der Epiklese (99–118), Parrhesia (118–132), Doxologie (132–143) und Sa­zienz (144–169). »Die Anrufung des Heiligen Geistes beziehungsweise Gottes um die Sendung des Heiligen Geistes im Gebet thematisiert die Epiklesis; die Verherrlichung des Heiligen Geistes gemeinsam mit Vater und Sohn die Doxologie. Die Parrhesia thematisiert die freimütige prophetische Rede als eine Rede, welche die in der ästhetischen Inszenierung zum Ausdruck kommende ganzmenschliche Ergriffenheit vom Geist ebenso impliziert wie die eschatologische Wahrheitsgewissheit.« (96) Die vier Dimensionen strukturieren gleichsam das Handeln in seiner affektbezogenen Leiblichkeit. Entscheidend ist der Ausgang von der religiösen Erfahrung (also der religiösen Deutung), in der der Gottesgeist bereits vorausgesetzt ist. Allein deshalb ist die Epiklese die Weise, »in der Menschen die Treue Gottes in Anspruch nehmen und sich begründet auf sie verlassen können« (105). Das wird durch die Strukturbestimmung der Parrhesia weitergeführt. Sie fußt »auf der den bisherigen Standpunkt erschütternden Erfüllung mit dem Heiligen Geist« (119) und repräsentiert Differenz gegenüber dem Gegebenen (119–124), durch die Wahrheit möglich wird. Die Doxologie schließlich stellt die Antwort auf das Bestimmtsein durch den Geist dar und die Sazienz deren leibliche Ausdrucksformen, die von B. anhand des Tanztheaters von Pina Bausch exemplifiziert werden.
Die Eigenart des Gottesgeistes ergibt sich aus dem Handlungsbegriff. Das ist das Thema des dritten Abschnitts des Buches (Positionen, 170–193). Die dogmatische Pneumatologie wird als Ausdruck und Darstellung der Struktur des Handelns gedeutet (vgl. 170). Die für die Lehrtradition grundlegende Bestimmung der Personalität des Geistes leitet B. nicht aus der Trinitätslehre her, sondern weist sie als Implikat der Handlungsvollzüge auf. Das ist ohne Rekurs auf die Christologie nicht möglich. Die Funktion des Gottesgeistes ist es, den abwesenden Christus zu repräsentieren. Der Weggang Jesu Christi von dieser Welt, also Diskontinuität, ist die Bedingung der Kontinuität der christlichen Religion. Das hat zur Folge, dass der Geist selbst personal verstanden werden muss. »Wenn nämlich Jesus Christus die geschichtlich unüberbietbare Selbstoffenbarung Gottes ist, dann gilt dies auch hinsichtlich der Personalität. Der Geist kann folglich nur als Person Jesus Christus verherrlichen.« (177) Die Konstruktion der Personalität des Geistes erfolgt – wie bei Paulus und Johannes – in Parallele zur Christologie und wird, da der Gottesgeist Christus (als Proexistenz) repräsentiert, als Bestimmung des Handelns verstanden und als Bei-Sein zusammengefasst. Letzteres »thematisiert eschatologisch den Geist als Integral und Krisis personalen Lebens« (182; vgl. auch die Zusammenfassung 192 f.). Damit ist bereits die Brücke zu dem letzten Abschnitt des Buches geschlagen. Es diskutiert Perspektiven (194–222) der Ekklesiologie (195–202), der Eschatologie (202–207) und der Trinitätslehre (208–222), die auf die handlungstheoretische Bestimmung des Gottesgeistes aufbauen. Ein knapper Epilog (223–225) beschließt den Band.
Insgesamt hat B. eine interessante Neubeschreibung der Pneumatologie vorgelegt, die von substanzontologischen Konzeptionen Abstand hält und diese durch ein handlungstheoretisches Modell ersetzt. Das führt, mit deutlicher Kritik an dem überkommenen römischen Verständnis der Kirche als Verlängerung der Inkarnation des Gottessohnes in der Geschichte, zu der Forderung einer armen Kirche für die Armen. Aber auch ein solches Kirchenverständnis bleibt ambivalent, da es mit starken Exklusionen arbeitet. Gravierender ist jedoch ein anderes Problem. Es betrifft die These, der Gottesgeist sei ein Implikat jedweden Handelns. Dadurch wird der Geist zwar über eine soteriologisch-christologische Engführung zu einem gleichsam universalen Bestandteil des Handelns erweitert, er wird jedoch dadurch auch tendenziell unbestimmt. Religion kann nur dann eine eigene autonome Kulturform neben anderen ebenso autonomen Formen sein, wenn sie nicht alles ist. Die religiöse Kommunikation muss also, will sie sich nicht ins Unbestimmte verflüchtigen, die Differenz zur Kultur und zu anderen Religionen mitthematisieren. Der dogmatische Ort, an dem das erfolgt, ist die Pneumatologie, die dann aber als eine Selbstbeschreibung der christlichen Religion in ihrer Abhängigkeit von einer inhaltlich bestimmten Tradition auszuarbeiten wäre.