Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

Januar/2018

Spalte:

117–118

Kategorie:

Philosophie, Religionsphilosophie

Autor/Hrsg.:

Green, Deidre Nicole

Titel/Untertitel:

Works of Love in a World of Violence. Feminism, Kierkegaard, and the Limits of Self-Sacrifice.

Verlag:

Tübingen: Mohr Siebeck 2016. XIII, 204 S. = Religion in Philosophy and Theology, 89. Kart. EUR 69,00. ISBN 978-3-16-154845-1.

Rezensent:

Walter Dietz

Deidre Nicole Green, in Utah lehrende Religionsphilosophin, wendet sich Kierkegaards (SK) Verständnis von Opfer, Versöhnung und Liebe zu, um die feministische Kritik am christlichen Opferbegriff kritisch in den Blick zu nehmen. Die Kritik des Opfers setzt zunächst die Differenzierung von victim und sacrifice voraus, um zu sehen, ob das Christentum tatsächlich zu einer ideologischen Untermauerung der Viktimisierung speziell von Frauen (und Mädchen) beiträgt. G. schließt das ebenso wenig aus wie auch hierzulande bekannte Feministinnen, z. B. Mary Daly und E. Schüssler Fiorenza (30). Allerdings ist ihre kritische Auseinandersetzung zugleich ein Versuch, den christlichen Opfer- und Versöhnungsbegriff zu rehabilitieren. Mit SK sucht sie nach einer Begrenzung des Opfergedankens, der nicht dazu führt, die Opferrolle zu verklären und zu idealisieren. Ferner geht es darum, mit SK eine Form des Opfers zu finden, die den Gedanken der Selbstverwirklichung nicht preisgibt, indem sie die Aufopferung des Selbst für Christus problematisiert. Denn wenn G. mit K. Barth, Jüngel und Dalferth das »ein für alle Mal« des Kreuzesopfers Christi hervorhebt (»singularity of Christ’s atonement«; 178), kann dies nur bedeuten, dass der Christ dieses Opfer nicht wiederholen, ergänzen oder aufbessern muss. Die klassische Logik eines Opfer fordernden Gottes ist somit durchbrochen. Damit ist, wie G. zu Recht herausstellt, der Opfergedanke begrenzt. Die Selbsthingabe in Liebe zum Nächsten ist die Essenz aller »works of love« (so auch SKs Titel seiner christlichen Ethik, 1847), und sie dürfe nicht als Selbstaufopferung aus falscher Selbstliebe heraus verstanden werden.
Die Liebe realisiere sich nicht als Selbstviktimisierung, in der die eigene Opferrolle als verunglückte Form von Selbstbehauptung stilisiert wird. G. spielt nicht die Dialektik von Selbstbehauptung und Selbstentäußerung durch (vgl. Hegel, 1807), sondern sucht nach einem mittleren Weg, der das Selbstopfer begrenzt. Sofern dieses Opfer in gewisser Weise gefordert wird, setzt dies voraus, dass der Mensch (hier insbesondere die Frau) überhaupt zu einem Selbst gereift ist, das sich zur Disposition stellen kann. Die Selbstaufopferung setzt ein Selbst voraus (vgl. die süffisante Bemerkung von Susan N. Dunfee, Frauen stünden nicht in der Gefahr des Selbst-Opfers, weil bzw. solange sie kein Selbst hätten; 175 f.). Nach SKs Konzeption in der Krankheit zum Tode (1849) ist es gerade Verzweiflung, sein Selbst loswerden zu wollen oder es gar nicht in den Blick zu bekommen (»selflessness as a sin«; 59–70). Der Gedanke der Selbstverwirklichung (wie ihn auch die Feministische Theologie und Frauenforschung starkmacht) ist nach SK gerade nicht ausgeschlossen oder im Sinne eines replacements (Versöhnung als Stellvertretung – Christus als Ersatz-Selbst; zur Kritik vgl. D. Sölle, Stellvertretung, 1965) überflüssig, so dass es mit G. nicht abwegig ist, von einer Begrenzung des Opfers (bzw. der Opfer-Logik) zu sprechen. Denn dass Glaube mit Liebe und Liebe mit Selbsthingabe an den Nächsten (d. h. Opfer) zu tun hat, ist für SK unstreitig. Aber Selbsthingabe ist nicht Selbstpreisgabe. G. hebt hervor, dass Nächs­tenliebe rechte Selbstliebe voraussetzt (166). Die Begrenzung des Opfergedankens rührt auch daher, dass es Christus nicht um eine Glorifizierung des Leidens geht, sondern seine Überwindung (mit Van den Berg; 181 f.). Indem das Christusopfer einmal und »sufficient« ist, stellt es gerade kein Paradigma für künftige Opferung dar, die Gewalt und Unterdrückung in sich schließt und rechtfertigt (184). Daher sollte mit G. nur von einem Leiden mit Christus gesprochen werden statt eines additiven oder es ersetzenden Leidens. Das besondere Leiden Christi ist das des Gottmenschen – »humans cannot imitate this« (185; allein schon der Versuch wäre nach SK »blasphemy«, 180). Das Gebot Christi lautet schlicht zu lieben, nicht sich zum Opfer zu machen.
Mit Derrida geht es G. darum, die Macht der Annahme, nicht des Erbringens von Opfer herauszustellen. Damit wird der Opfergedanke doppelt begrenzt: einmal im Blick auf den Ausschluss einer Verklärung des Opfers, zum anderen im Blick auf den Modus der Annahme des Opfers. Der Versöhnungsprozess verwirklicht nach SK die Liebe gerade so, dass es zu keiner Erniedrigung des Sünders resp. der Sünderin kommt. Die christliche Versöhnung realisiert sich ohne Zunichtemachen oder Demütigung des Sünders bzw. der Sünderin, sondern gleichsam auf Augenhöhe. Daher wird die scharfe Kritik von M. Daly (vgl. 40–70) durch G. relativiert: Sie trifft zwar einen Opferbegriff, der sich faktisch aus dem christlichen Opferverständnis genährt hat, der aber zurückgewiesen werden kann und muss, wenn man mit SK das Opfer in den Versöhnungsbegriff einholt und Letzteren von der Liebe her interpretiert, wobei hier Gott stets die entscheidende Macht ist, gleichsam der Dritte im Bunde (»triadic structure of love«, 171).
Der Liebesgedanke ist für G. nicht exklusiv neutestamentlich verankert. Abrahams Geschichte mit Isaak (Gen 22) wird mit Irenäus als Vorausabbildung des Christusopfers interpretiert, aber eben nicht als Einübung in das Opfer, sondern in »joyful obedience« (114), worin sich Liebe ereignet. Indem Gott die Opferung Isaaks unterbindet, zeige er sich als sie, »the loving mother God«. Das »self-sacrifice« wird für Abraham somit begrenzt (ebd.). Anders als für Kant (vgl. 72–77) erweise sich Gott für SK in Gen 22 somit als ein Gott der Liebe (vgl. 136). G. warnt vor einem »selfish self-sacrifice« (mit Verweis auf SK und Dalferth; 155); denn nicht jedes Leiden sei sinn- und verheißungsvoll. Dies begrenzt eine Verklärung des Leidens, das dann geradewegs gesucht wird.
G. vertritt die These, dass die freie, nicht erzwungene Liebe für das Christentum (in der Interpretation SKs) charakteristisch ist (147). Das gewaltsame Opfer ist somit gerade nicht Ausdruck eines angemessen begrenzten Opferverständnisses. Es geht um »freedom of love« (149), keine Anleitung zum gewaltsamen Selbstopfer (mit Kritik an M. Daly; 150).
Der Band zeichnet sich durch einen lockeren, essayistischen Stil aus, nicht durch eine detaillierte exegetische Arbeit am Text. Dieser steht eher im Hintergrund. G. bezieht sich oft auf Autorinnen, die sie referiert, ohne im Detail ihre Argumentation zu prüfen. Vieles wird schlicht als mögliche »Lesart« weitergesponnen bzw. kritisiert. Die Auseinandersetzung mit der (vor allem US-amerikanischen) Sekundärliteratur überwiegt gegenüber der eigenständigen Lektüre und Interpretation. Dadurch bleibt manches etwas schwebend, wie man das im postmodernen Diskurs auch gar nicht anders erwarten darf.
Das Literaturverzeichnis beinhaltet einige Titel, mit dem nur wenige Spezialistinnen und Spezialisten wirklich vertraut sein dürften. Andererseits fehlen einige wichtige Beiträge europäischer Wissenschaftler (z. B. J. Ringleben, M. Theunissen, D. Glöckner, Kl.-M. Kodalle u. a.; immerhin ist I. U. Dalferth rezipiert), so dass der Band, der eher eine Essaysammlung darstellt, noch ausbaufähig ist. Am Ende steht ein Index, der auch Namen (Autorinnen und Autoren) beinhaltet, aber leider unvollständig ist. Für jede, die sich mit dem Verhältnis SKs zur Feministischen Ethik befasst (klassisch dazu: A. Pieper, 1998), ist dieses Buch durchaus lesenswert.