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Ausgabe:

Januar/2018

Spalte:

112–114

Kategorie:

Christliche Kunst und Literatur

Autor/Hrsg.:

Wegmann, Susanne

Titel/Untertitel:

Der sichtbare Glaube. Das Bild in den lutherischen Kirchen des 16. Jahrhunderts.

Verlag:

Tübingen: Mohr Siebeck 2016. IX, 370 S. = Spätmittelalter, Humanismus, Reformation, 93. Lw. EUR 99,00. ISBN 978-3-16-154665-5.

Rezensent:

Heike Stöcklein

»Der sichtbare Glaube. Das Bild in den lutherischen Kirchen des 16. Jahrhunderts« von Susanne Wegmann nimmt das Bild als historisch aussagekräftiges Medium in den Blick und fragt danach, was das Bild selbst zum Diskurs über das Bild und seinen Gebrauch in der lutherischen Kirche der frühen Neuzeit beizutragen vermag. W.s Buch ist eine überarbeitete Fassung ihrer Habilitationsschrift, die 2012 an der Philosophischen Fakultät I der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg eingereicht wurde.
Die Frage nach dem Bild in der lutherischen Kirche wurde in der historischen und theologischen Forschung viele Jahre ohne Beteiligung des Bildes geführt. Man erarbeitete die lutherische Bildtheologie vornehmlich anhand von Textquellen, sammelte und beurteilte schriftliche Aussagen über Bilder und zog daraus forschungsrelevante Schlüsse. Bilder selbst, ihren Inhalt, ihre Funktionalität und das Beziehungsgefüge in dem sie umgebenden Raum wurden selten bis kaum als aussagekräftige Zeugen für den Bilddiskurs herangezogen. Schon im methodischen Vorgehen wurzelte eine Hierarchisierung des Wortes über das Bild in der Beurteilung als ein Lehre vermittelndes Medium der Reformationszeit. In der Kunstgeschichte wiederum stand neben der Auseinandersetzung mit Flugblättern und -schriften vielmals eine Kategorisierung von Werk und Künstler im Vordergrund, auch hier vollzog sich langsam in der jüngeren Forschung ein Perspektivwechsel, der das Bild als kommunikatives und wissensvermittelndes Medium betrachtete und so zu neuen Einschätzungen seiner Bedeutung für die Reformation gelangte. Der umfassende aktuelle Diskussionsstand, den W. einleitend vorstellt, und nicht zuletzt ihr eigenes Buch vollziehen diesen Paradigmenwechsel, der sich dem Bild widmet und dabei sowohl nach seinem Inhalt als auch nach seinen Beiträgen zum reformatorischen Bilddiskurs und der Identitätsbildung und -definition der lutherischen Konfession fragt.
In »Der sichtbare Glaube« kann der Leser unter methodisch kompetenter Führung von W. in drei Schwerpunktsetzungen das Bild als Quelle des reformatorischen Bilddiskurses und des lutherischen Bildverständnisses ins Auge fassen.
Der erste Teil »Bild im Bild. Vom Streitobjekt zum sichtbaren Kennzeichen der ›wahren‹ Kirche« (27–113) thematisiert »Bilder als Objekte der Selbstreflexion und eigenen Standortbestimmung« (27) mittels des Motives des Bildes im Bild. Anhand von Flugblättern und -schriften, die die Bilderstürme bildlich kommentieren, sowie anhand von Bildwerken, die sich in lutherischen Kirchenräumen befinden, untersucht W. das Bild im Bild. Ihr Forschungsertrag ist reich, die Funktionen des Bildes können vielfältig sein: als theologischer Kommentar der liturgischen Handlungen in der Kirche, Verbildlichung der Realpräsenz Christi im Abendmahl oder eine Einordung der lutherischen Kirche in den Heilsplan Gottes mit Anbindung an die Ursprünge der Kirche und die Aussicht auf das kommende Reich Gottes.
Der zweite Teil »Die Bilder-Schaffenden – Künstler, Stifter, Auftraggeber und ihre Bild-Positionen« (115–197) fragt nach der Motivation, dem Selbstbild und der gestalterischen Umsetzung derer, die Bildwerke anfertigen oder dem Kirchraum übergeben. Vor dem Hintergrund der reformatorischen Kritik an einer Werkgerechtigkeit standen Stifter, Auftraggeber und Künstler vor der Herausforderung, ihr Handeln im lutherischen Kontext neu zu definieren. Mit der Etablierung des Luthertums ging auch der Bedarf nach neuen Kunstwerken einher, in denen konfessionelle Probleme und die eigene lutherische Identität thematisiert wurden. Die Ausstattung von Kirchen wurde als ein Dienst am Gemeinwohl und Tat zur Ehre Gottes, als Früchte des Glaubens verstanden. Im Bild dargestellte Stifter und Auftraggeber weisen über ihre eigene Zeitlichkeit hinaus in die Gegenwart des Betrachters und zeugen so von kontinuierlicher Kirche und Lehre. Auch nach dem Künstler, seinem Selbstbild und dem Werk innerhalb des Kirchenraums wird gefragt. Bildwerke werden sowohl in den Kirchenraum als auch in die lutherische Lehre eingeordnet und oftmals treten persönliche Überzeugungen des Individuums dahinter zurück. Auch Selbstdarstellungen von Künstlern in reformatorischen Bekenntnisbildern fasst W. in den Blick und betont, dass das Schaffen von Bildwerken in der Selbstreflexion mit der Verkündigung des Wortes verglichen, aber nicht untergeordnet wird.
Der dritte Teil »Bilder in den lutherischen Kirchen des 16. Jahrhunderts – Resümee und Ausblick: Der Kirchenraum als Raum lutherischer Identität« (199–236) schließt mit der Untersuchung des Kirchenraums und der Positionierung der Bilder darin. Zum einen spielen Porträts von Luther, die sich in Kirchen finden lassen, eine zentrale Rolle – sie sind Konfessionsaussage und Verpflichtung der in der Kirche wirkenden Prediger und Gemeinde. Die Untersuchung der Torgauer Schlosskirche und der Hallenser Marktkirche zum anderen zeigt die Abgrenzung von altgläubigem Bildbestand, die Bildung und Vergegenwärtigung der eigenen lutherischen Konfession und die Einordnung der Gemeinde in die Heilsgeschichte Gottes. W. resümiert: »Bilder wie Worte sind nicht nur Kennzeichen der lutherischen Kirche, sondern sie definieren diese, geben ihr Bestimmung und machen sie sichtbar.« (236)
Ihre Ausführungen vollzieht W. vor der Kulisse einer reichen medialen Bandbreite, die übersichtlich im ausführlichen Anhang zusammengestellt ist. Abbildungs- und Farbtafelverzeichnis er­gänzen die Beschreibungen und erlauben dem Leser eigene Entdeckungen. Das methodische Vorgehen ist klar, zunächst erfolgen Bildbeschreibungen und dann eine Untersuchung der Forschungsfragen. Die Bedeutung der Bilder und ihre Kontextualisierung er­gänzt sie durch das Heranziehen von zeitgenössischen Textquellen, motivischen Vergleichen mit anderen Werken und der Bezugnahme auf theologische Argumentationen. So entsteht für den Leser zusammengesetzt aus den jeweiligen Bildbetrachtungen und den thematischen Auseinandersetzungen ein Ge­samtbild, das zeigt, »dass sich das lutherische Bild nicht auf die Kategorien des polemisch-kämpferischen oder rational-lehrhaften Bildes eingrenzen lässt. […] Das Bild behauptet nicht nur seine bloße Existenz im lutherischen Kirchenraum, sein Anspruch reicht darüber hinaus« (234). Und auch die Widersprüchlichkeiten, die die verschiedenen Bildwerke mitunter aufweisen und die eine Zusammenstellung sperrig machen, lässt W. nicht außer Acht:
»Doch sind die Antworten, die die einzelnen Bilder auf die Frage formulieren, was sie im lutherischen Kontext leisten können und dürfen, nicht ohne Widersprüchlichkeit. In der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts ist der grundsätzliche Bildgebrauch zwar nicht mehr problematisiert, […] aber die möglichen Funktionen des Bildes im lutherischen Kirchenraum und im Kontext der Zeremonien sowie seine Möglichkeiten, die Lehre zu vermitteln, aber auch dem Gläubigen gewährte Gnade und das ihm versprochene Heil nahezubringen, sind keineswegs abschließend definiert.« (234)
»Der sichtbare Glaube« von W. besticht dadurch, dass die Bilder selbst als aussagekräftige Quelle in den Blick genommen werden und im Kontext der Zeit und Theologie zu Zeugen nicht nur des Bilddiskurses, sondern auch der Entwicklung des lutherischen Selbstbewusstseins werden.