Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

Januar/1999

Spalte:

107–109

Kategorie:

Kirchenrecht

Autor/Hrsg.:

Möhlenbrock, Tim

Titel/Untertitel:

Kirche und Bodenreform in der Sowjetischen Besatzungszone Deutschlands (SBZ) 1945-1949. Eine Untersuchung über das Verhalten der Evangelischen Landeskirchen und der katholischen Kirche während der "demokratischen Bodenreform" in der SBZ unter Berücksichtigung der Auswirkungen der Bodenreform auf das kirchliche Vermögen.

Verlag:

Frankfurt/M.: Lang 1997. 391 S. 8 = Europäische Hochschulschriften, Reihe 2, Rechtswissenschaft, 2206. Kart. DM 118,-. ISBN 3-631-32149-X.

Rezensent:

Peter Maser

Mitte März 1998 hat Michail Gorbatschow in Berlin nochmals offentlich erklärt: "Das Thema Restitution des enteigneten Besitzes wurde auf der höchsten Führungsebene niemals angesprochen. Es ist absurd, wenn man mir unterstellt, ich hätte diese Forderung nach dem Verbot der Restitution als Vorbedingung für meine Zustimmung zur Wiedervereinigung gefordert" (FAZ vom 17.3.1998, 10; vgl. auch den Gorbatschow-Brief an R. Augstein in DER SPIEGEL 15, 1998, [6.4.1998] 54 f.). Diese Feststellung des früheren sowjetischen Staats- und Parteichefs ist glaubwürdig.

Weshalb hätte er in dem Moment, wo er bereit war, das Protektoratsgebiet DDR aus dem sowjetischen Imperium zu entlassen, noch auf dem Fortbestand der Enteignungen bestehen sollen, die die Sowjetische Militäradministration in Deutschland (SMAD) zwischen 1945 und 1949 verfügt hatte? Daß auf unteren, nicht entscheidenden Verhandlungsebenen 1990 der Versuch unternommen wurde, die sogenannte "Bodenreform" festzuschreiben, weiß auch Gorbatschow. Die wütenden Proteste gegen seine Klarstellung, wie sie z. B. von Hans Modrow, dem letzten kommunistischen Ministerpräsidenten der DDR, und seinem Amtsnachfolger, Lothar de Maizière, vorgetragen wurden, zeigen deutlich, in welchem DDR-spezifischen Milieu jene Legende von dem sowjetischen Veto gegen eine Restitution des unter sowjetischen Vorzeichen enteigneten Besitzes produziert wurde. Diese darf sich inzwischen sogar regierungsamtlicher und verfassungsgerichtlicher Beglaubigung im wiedervereinigten Deutschland erfreuen, was nun allerdings nichts über ihren Wahrheitsgehalt, sondern allenfalls etwas über ihre politische Opportunität besagt.

Daß die sogenannte "demokratische Bodenreform" heute auch die Kirchen noch in besonderer Weise beschäftigt, zeigte z. B. der gemeinsame Text des Rates der EKD und der Deutschen Bischofskonferenz zum "Umgang mit dem Enteignungsrecht in der ehemaligen DDR", der, Lk 12,13-15 zitierend, über eine recht hilflose Erörterung ausgewählter Sachverhalte und allgemeine Appelle in der Sache nicht hinauskam. Auch die EKU-Synode 1993 demonstrierte die heillose Zerrissenheit, mit der die Kirchen heute in dieser Frage operieren. Der langjährige Leiter der Theologischen Studienabteilung beim BEK der DDR und spätere Minister in den Regierungen Modrow und de Maizière, Dr. Walter Romberg, erklärte dazu beispielsweise, eine "Aushöhlung der Bodenreform, von der wir in Ostdeutschland jedenfalls dachten, daß sie doch relativ festgeschrieben sei", müsse den sozialen Frieden und Arbeitsplätze gefährden und könnte sogar Konsequenzen für "die außenpolitische Situation" und das "Europapolitische" haben (vgl. Verhandlungen der 5. Tagung der 7. Synode der EKU, Berlin 1993, S. 45).

In diese Situation stößt Möhlenbrocks juristische Dissertation, die Anfang 1997 in Göttingen angenommen wurde, auf eine Weise hinein, die nur als hilfreich zu bezeichnen ist, wenn man sich nur erst durch die wenig leserfreundliche Gliederung des Buches hindurchgefunden hat. In einem ersten Hauptteil werden die "Rahmenbedingungen kirchlichen Handelns in der SBZ" in einer Breite referiert, die nur deshalb als angemessen gelten darf, weil sich diese Arbeit selbstverständlich auch an Leser ohne festere Kirchenbindung wendet. Im zweiten Hauptteil "Die ’demokratische Bodenreform’ in der SBZ 1945/46" wird zunächst eine historische und rechtliche Beurteilung dieser Konfiskationsmaßnahmen erarbeitet, die auch bei allen heutigen interessegeleiteten Äußerungen zur Bodenreformproblematik nicht unterschlagen werden darf: Die "Verwendung des Begriffs ’Bodenreform’ sollte lediglich dazu dienen, eine konfiskatorische Maßnahme mit klassenkämpferischem Charakter sozialpolitisch zu tarnen" (103). Bei der Durchführung der Enteignungen wurden fortgesetzt und systematisch "elementare Menschenrechte der Betroffenen mißachtet". Auf der Grundlage einer schweren "Diskriminierung ohne in einem ordentlichen Verfahren erwiesene Schuld" ist somit "nur die Rechtswidrigkeit der Bodenreformmaßnahmen fest[zu]stellen" (108 f.).

Prinzipiell hatte die SMAD das Kirchenland, 219.500 ha insgesamt und damit 68,5 % des gesamten Landbesitzes der evangelischen Kirchen überhaupt, von der "Bodenreform" ausgenommen: "In der Praxis führte die Bodenreform jedoch zu erheblichen Landverlusten der Kirchen" (113). Diese bedeutete auch "das faktische Ende für die Institution des Kirchenpatronats im Bereich der SBZ" (133). M. ist deshalb der Meinung, "daß die Kirche nur vordergründig völlig von der Bodenrefrom freigestellt war" (138).

Im Mittelpunkt der Studie von M. stehen unter der zu engen Titelformulierung "Das Wort der Kirche zur Bodenreform" eingehende Untersuchungen zur Beurteilung der "Bodenreform" (vgl. dazu auch die 16 Dokumente im Anhang) und der mit ihr verbundenen Exzesse in den einzelnen evangelischen Landeskirchen und der katholischen Kirche.

Danach ergibt sich das folgende, durch unzählige Detailbeobachtungen abgesicherte Bild: Die "Bodenreform" verfolgte in der Hauptsache die Transformation der Gesellschaft, den Elitewechsel und die Ausschaltung der Gutsbesitzer als Klasse. Die Versorgung der Flüchtlinge und Vertriebenen ("Umsiedler") spielte demgegenüber eine nachgeordnete Rolle. Die Kirchen wurden von der "Bodenreform" aus taktischen Gründen ausgenommen; man wollte damit ihre Neutralität im gesellschaftlichen Umbruchsprozeß erkaufen. Trotzdem kam es zu zahlreichen Übergriffen bis hin zur Aufsiedelung von Friedhöfen und dem Abbruch von Kirchengebäuden. Die Drohung, Kirchenland doch noch in die "Bodenreform" einzubeziehen, wurde noch jahrelang als Druckmittel gegenüber den Kirchen eingesetzt. Auch ohne direkte Eingriffe wurden die Kirchen durch die Zerschlagung der ländlichen Strukturen und die Entwertung des Landbesitzes durch die "Bodenreform" so schwer geschädigt, entwickelte sich der Landbesitz doch zunehmend von einer Geldquelle zum Kostenfaktor. M. vertritt sogar die Auffassung, die "Bodenreform" sei als der "Ursprung der späteren Finanznöte der Kirchen in der DDR/SBZ" anzusehen (vgl. 324).

In kirchlichen Kreisen war unter dem Einfluß der Theorien Adolf Damaschkes zunächst durchaus die Bereitschaft vorhanden gewesen, eine rechtlich geordnete Bodenreform zu unterstützen. Die allem Recht und auch den Prinzipien Damaschkes widersprechende Durchführung der "Bodenreform" in der SBZ verhinderte dann jedoch verwendbare kirchliche Stellungnahmen, so daß KPD und Besatzungsmacht solche durch Fälschung produzieren mußten. Da sich in kirchlichen Leitungsgremien aber schon im September 1945 die Auffassung durchsetze, bei der "Bodenreform" handele es sich um einen "politischen Vorgang", zu dem man auf der Grundlage einer strikten Trennung von Staat und Kirche nichts sagen könne, kam es zu keiner eindeutigen und öffentlichen Verurteilung der "Bodenreform". Rühmliche Ausnahmen bildeten das "Wort der Brandenburgischen Bekenntnissynode zur Bodenreform" (vgl. 265ff. und 346) und ein Votum der sächsischen BK aus dem November 1945, das aber durch die Presse nur in verfälschter Form bekannt wurde (vgl. 289 f.).

Die Teilnahme von Pfarrern an "Landübergabefeiern", manchmal sogar im Talar, wurde nur in Berlin-Brandenburg vollständig verboten, in den anderen Landeskirchen versuchte man, solche Auftritte inhaltlich zu begrenzen. Immer wieder haben die Kirchenleitungen aber, wenn eben auch kaum öffentlich, gegen die Totalenteignung und die Verhaftung oder Deportation der Gutsbesitzer und ihrer Familien protestiert: "Wenn die Kirchen an diesen Vorgängen Kritik übten, wandten sie sich gegen den Kern der ’demokratischen Bodenreform’ und somit gegen die gesamte Maßnahme" (328 f.). Die Fraktion der Pfarrer, die die "Bodenreform" begrüßte, blieb "trotz staatlicher Förderung ohne Einfluß auf die Festlegung der kirchlichen Positionen" (330).

Die Legende, die Kirchen hätten 1945 der "Bodenreform" grundsätzlich zugestimmt, wurde erst 1972 von zwei DDR-Historikern konstruiert, um dann auch in der westdeutschen kirchlichen Zeitgeschichtsforschung fleißig nachgeschrieben zu werden (vgl. 167 ff.). Die Unklarheiten, die damit zugelassen wurden, wirken noch heute politisch, juristisch und moralisch nach!