Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

März/1999

Spalte:

305 f

Kategorie:

Kirchengeschichte: Neuzeit

Autor/Hrsg.:

Kock, Manfred [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Gerhard Tersteegen - Evangelische Mystik inmitten der Aufklärung. Im Auftrag der Kirchenleitung u. Jürgen Thiesbonenkamp des Kirchenkreises Moers.

Verlag:

Köln: Rheinland 1997. VI, 241 S. m. Abb. gr.8 = Schriftenreihe des Vereins für für Rheinische Kirchengeschichte, 126. Geb. DM 30,-. ISBN 3-7927-1680-1.

Rezensent:

Peter Schicketanz

Aus Anlaß des 300. Geburtstages von Gerhard Tersteegen fand im April 1997 in Mülheim/Ruhr - an der Wirkungsstätte Tersteegens eine Jubiläumstagung statt, veranstaltet von dem Ausschuß für Kirchengeschichte und Kirchliche Zeitgeschichte des Rheinlandes und der Historischen Kommission zur Erforschung des Pietismus. Die dort gehaltenen Vorträge sind im gleichen Jahr gedruckt vorgelegt worden.

Es sind aufs Ganze gesehen Forschungsergebnisse der Tersteegenforschung, an denen man in Zukunft nicht vorbeigehen kann. Andererseits wird an den Beiträgen deutlich, daß historische Forschung an Grenzen stößt, die zu respektieren sind. Die drei Stichworte des Titels: Tersteegen, Mystik und Aufklärung erfahren in diesem Band keine nennenswerte Weiterführung. "Geburtstagsjubiläen würdigen gern die Lebensgeschichte. Aber der Jubilar verhält sich spröde gegen ein derartiges Unterfangen." So beginnt Hansgünter Ludewig aus Braunschweig seinen aktualisierenden Beitrag über "Spiritualität im Alltag" (207). Deshalb gibt es keine neuen Erkenntnisse über Tersteegens Leben selbst. Die Frage, was denn unter Mystik bei Tersteegen zu verstehen sei, erfuhr in Mülheim weder in den Referaten noch in den Diskussionen eine zureichende Antwort.

Das gemeinsame Orts-, Namens- und Sachregister - den Herausgebern sei dies ausdrücklich gedankt - beweist unter dem Stichwort Mystik eine sehr magere Ausbeute, erst recht beim Stichwort Aufklärung. Der Wert dieses Sammelbandes besteht einmal in der weiterführenden Forschung des Umfeldes, seiner Freundeskreise und seiner Auswirkungen: G. Benrath: G. T.in seiner Zeit; H. Hohensee: Mülheim zur Zeit T.s; U. Bister: G. T. Die Rezeption seiner Schriften in Nordamerika und sein dortiger Freundeskreis; H. Neeb: T.s Freundeskreise im Raume Solingen und Niederberg.

Ein weiterer Schwerpunkt des Bandes ist in den Beiträgen zu sehen, die sich mit Tersteegens Werken beschäftigen: R. Mohr legt eine eindringende Analyse der "Auserlesenen Lebensbeschreibungen heiliger Seelen" vor. H.-J. Schrader interpretiert das Blumengärtlein (Erbschaft der Formeln und Zauber der Form). H. J. Lope vergleicht das Motiv der amicitia Dei mit der spanischen Lyrik um 1600. C. Bunners gibt einen umfassenden Überblick über die Rezeption der Lieder Tersteegens in den Gesangbüchern bis zur Gegenwart. Darin steht ein Exkurs über die Tersteegenlieder bei Dietrich Bonhoeffer und Karl Barth (94-99). Besondere Erwähnung bedarf der Beitrag der Medizinhistorikerin Christa Habrich über "Heilkunde im Dienst der Seelsorge bei G. T." Wenn der Präses der Rheinischen Kirche als Herausgeber im Vorwort als Ziel angibt, es sei Tersteegens "Bedeutung als evangelischer Mystiker für unsere Zeit zu überdenken" (VI), so wird dieses Ziel in den Beiträgen unterschiedlich stark angesprochen - am stärksten in dem von Ludewig oben bereits herangezogenen Beitrag, in dem die Tradition des Herzensgebets in sieben Bildern konkretisiert wird: der dreckige Tümpel, der fließende Strom, der trockene Garten, das Kabinett des Königs, der Porträtmaler, der innige Liebesblick, das dunkle Heiligtum.

An diesem Beitrag, aber auch durch die weiterhin bestehenden Freundeskreise Tersteegens, die sich an der Tagung beteiligten, wurde deutlich, daß mystische Traditionen auch heute noch unter uns lebendig sind. Kocks Predigt über das bekannte Lied Tersteegens: Gott ist gegenwärtig eröffnet den Band. "Tersteegen ist in all seiner Schwärmerei sehr nüchtern. Er gibt Anregungen zur Hilfe im geistigen Prozeß." (5) Der Band beweist diese Meinung vielfältig.