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Ausgabe:

Januar/2018

Spalte:

108–110

Kategorie:

Christliche Kunst und Literatur

Autor/Hrsg.:

Mauz, Andreas

Titel/Untertitel:

Machtworte. Studien zur Poetik des ›heiligen Textes‹.

Verlag:

Tübingen: Mohr Siebeck 2016. XIII, 344 S. = Hermeneutische Untersuchungen zur Theologie, 70. Lw. EUR 134,00. ISBN 978-3-16-154193-3.

Rezensent:

Henrike Manuwald

Im Grenzbereich zwischen Theologie und (germanistischer) Literaturwissenschaft ist Andreas Mauz in den letzten Jahren durch wichtige Arbeiten hervorgetreten, nicht zuletzt durch Studien zum Erzählen. Mit der Monographie Machtworte liegt nun auch seine 2011 von der Theologischen Fakultät der Universität Zürich angenommene Dissertation im Druck vor, die interdisziplinär von Pierre Bühler (Systematische Theologie) und Klaus Weimar (Neuere deutsche Literaturwissenschaft) begutachtet wurde. In der Studie sind literaturwissenschaftliche und theologische Fragen eng verknüpft: Der Schwerpunkt liegt auf der Erschließung der Machart von Texten, die sich selbst als auf einer Offenbarung beruhend inszenieren. Dadurch soll aber auch ein neuer Blick auf Fremdbeschreibungen der Bibel als heiliger Schrift im Rahmen der Dogmatik eröffnet werden (149 f.); außerdem könne auf der Grundlage der Ergebnisse »die Beziehung der poetologischen Beglaubigungs-mus­ter zu einem theologisch differenzierten Glaubensbegriff« (289) ausgelotet werden.
Der systematische Anspruch der sehr kleinteilig untergliederten Arbeit zeigt sich schon in deren Gesamtanlage. Aufbauend auf der Einleitung (1. Kapitel, 1–10) wird die Problematik zunächst in zwei großen Kapiteln theoretisch entfaltet, in denen es zum einen um »Begründung, Profil und Praxis der poetologischen Perspektive« geht (2. Kapitel, 11–111), zum anderen um die »Poetik des ›heiligen Textes‹ im theologischen Horizont« (3. Kapitel, 113–166). Eine diachron und typologisch breit angelegte Reihe von Fallstudien (4. Kapitel, 167–278) bildet vom Umfang her den kleineren Teil der Arbeit, die mit einem Rückblick und Ausblick abgeschlossen ist (5. Kapitel, 279–290). Ein Glossar zum »Kernvokabular der Poetik des ›heiligen Textes‹« (291–300) und mehrere Register (331–344) stellen wichtige Erschließungshilfen dar.
Die terminologischen Klärungen, die im 2. Kapitel vorgenommen werden, sind das Herzstück der Arbeit: M. diskutiert unter Rückgriff auf Herangehensweisen der analytischen Literaturwissenschaft verschiedene Antworten und Antworttypen auf die Frage, was ein heiliger Text sei (11–51), wobei er grob zwischen Merkmalstypen unterscheidet, die sich auf Eigenschaften des Textes
be­ziehen, und solchen, die den Umgang mit dem Text, also die Textpragmatik, betreffen (42–45). M. schränkt seine Betrachtung auf Texte ein, bei denen »Heiligkeit« (in einem poetologischen Sinn) ein Textoberflächenphänomen (51) sei (vgl. auch bereits 1–3). Zentral für die Einstufung eines Textes als ›heilig‹ ist für M. die »genetische Selbstbeschreibung des Textes als eines offenbarten oder inspirierten« (51), wobei M. – in sorgfältiger Abgrenzung vom systematisch-theologischen Offenbarungsverständnis (vor allem von den Positionen von Eilert Herms und Ingolf U. Dalferth) – Offenbarungen hier als »Sondererfahrung« auffasst (vgl. 3. Kapitel, 150–165). So be­stimmte »heilige Texte« markiert M. durch einfache Anführungszeichen, um die Abweichung vom üblichen Sprachgebrauch zu signalisieren. Textteile, die den Akt der Offenbarung thematisieren, bezeichnet M. als »heiligende Texte«, solche, die das Offenbarte transportieren, als »geheiligte Texte« (bei ihm jeweils ohne Anführungszeichen). Dieser auf die Textoberfläche bezogenen Differenzierung fügt M. ein heuristisches Modell hinzu, das sich auf die Handlungs- und Ereignisstruktur der heiligenden Texte be­zieht, die Erzählgrammatik der Offenbarung (57–62): »Wer ( Offenbarer) offenbart was (Offenbartes) wem (Offenbarungsempfänger) in welchem Medium (Offenbarungsmedium) mit welchem Effekt (Offenbarungseffekt)?« (58)
Auf diese Weise gewinnt M. ein Analyseraster, das es ihm er­laubt, so unterschiedliche Texte wie die Johannesoffenbarung, den Liber Scivias Hildegards von Bingen und das Buch Mormon des Joseph Smith vergleichend zu untersuchen (4. Kapitel). Hinzu kommen ein weiterer neuoffenbarischer, ein alttestamentlicher und ein esoterischer »heiliger Text« (Vassula Ryden: The True Life in God, Jeremia 36 und Silvia Wallimann: Mit Engeln beten); es ist zu bedauern, dass M. aus pragmatischen Gründen gerade die zentrale Dekalog-Erzählung nicht mit einbezogen hat (231–234). Indem M. konsequent die Textentstehungsgeschichten und die Inszenierung der medialen Übermittlung des Offenbarten in den Blick nimmt, kommt er für die Einzeltexte zu Beobachtungen von gewinnbringender Differenziertheit und kann darüber hinaus wiederkehrende Muster identifizieren (vgl. 281–284 zur Typologie des Schrift-bezugs). Gerade die Diversität der Texte lässt die typologischen Gemeinsamkeiten hervortreten. Deutlich wird auch, dass die biblischen Offenbarungserzählungen keine Sonderstellung einnehmen. Doch welche Rolle spielen »heilige Texte« innerhalb der Bibel als heiliger Schrift?
Dieses Problem diskutiert M. systematisch im 3. Kapitel (113–150). Er setzt sich hier kritisch mit theologischen Positionen (insbesondere von Jörg Lauster, Thomas Söding und Joachim Ringleben) dazu auseinander, inwiefern es angemessen sei, von der Bibel als »Wort Gottes« zu sprechen. Die Arbeit von M. lässt sich insgesamt als ein Plädoyer dafür lesen, diejenigen Teile der Bibel, in denen Gott selbst als sprechend oder schreibend erscheint, mithilfe narratologischer Methoden exegetisch genauer zu erfassen und auf der Grundlage dieser Ergebnisse zu den »Wörtern Gottes« pauschale Aussagen der Dogmatik zu relativieren, etwa die Bibel enthalte das Wort Gottes in einem übertragenen Sinn (149 f.). Von der Anlage her kann und will die Studie von M., die Offenbarungserzählungen in der Bibel punktuell herausgreift, allerdings die Funktion solcher Erzählungen innerhalb der Gesamtheit biblischer Schriften nicht klären.
Auch in einem anderen Punkt ist sich M. der begrenzten Reichweite seines textimmanenten Ansatzes bewusst: Für einen »umfassenden Begriff des heiligen Textes, der sowohl religionswissenschaftlich wie theologisch befriedigt« (72), müssten Aspekte der Textpragmatik mit einbezogen werden. Vor dem Hintergrund, dass M. einen hohen Erklärungsaufwand treiben muss, um verschiedene Arten heiliger Texte voneinander abzugrenzen, stellt sich die Frage, ob nicht terminologisch eine Einschränkung auf Offenbarungstexte (statt »heiliger Texte«) weiterführend gewesen wäre. Die Korrelation von Offenbarung, Inspiration und Heiligkeit, die M. aus der Forschungsgeschichte ableitet (46 f.), hätte dann in einem zweiten Schritt von Grund auf bestimmt werden müssen. Eine genauere Beleuchtung dieses Komplexes wäre aus literaturwissenschaftlicher Perspektive auch deshalb wünschenswert ge­wesen, weil Texte Formen der künstlerischen Inspiration thematisieren können (etwa durch Musen), ohne notwendig Anspruch auf die Verbindlichkeit von etwas Offenbartem zu erheben.
Angesichts der Ausklammerung der Textpragmatik mag es erstaunen, dass M. seiner Studie mit Machtworte einen Titel gegeben hat (vgl. dazu 7–10), dessen performative Implikationen wegen Luthers Bezeichnung von Gottes Schöpfungsworten als »Machtwort« gerade im theologischen Kontext sehr präsent sind. Dass Selbstinszenierung und Wirkung eines Textes auseinanderklaffen können, gesteht M. abschließend selbst ein (289 f.). Doch deutet die Titelwahl an, welche übergreifenden Fragen mit den Gegenständen verbunden sind, für die M. ein Analyseinstrument entwickelt hat.