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Ausgabe:

Januar/2018

Spalte:

104–106

Kategorie:

Christliche Kunst und Literatur

Autor/Hrsg.:

Ivanovici, Vladimir

Titel/Untertitel:

Manipulating Theophany. Light and Ritual in North Adriatic Architecture (ca. 400 – ca. 800).

Verlag:

Berlin u. a.: De Gruyter 2016. X, 261 S. = Ekstasis: Religious Experience from An-tiquity to the Middle Ages, 6. Geb. EUR 119,95. ISBN 978-3-11-037632-6.

Rezensent:

Martin Büchsel

Es ist wohl bekannt, dass in den ersten Jahrhunderten nach der Konstantinischen Wende im Kirchenbau farbenprächtige Ausschmückungen besonders im Altarbereich gesucht werden. Das Mosaik ist zum Markenzeichen der frühchristlichen Kirche geworden. Zentralbauten entfalten nicht selten eine Materialpracht, die alle Teile des Innenraumes umfasst, eine Materialpracht, die nur mittels einer genau kalkulierten Lichtführung zur Wirkung kommen kann.
Das Licht, das Leuchten der Farben und die Strahlkraft des Goldes werden überschwänglich in zeitgenössischen Texten gefeiert. Texte unterschiedlicher Gattungen erfreuen sich nicht einfach am Licht und am Glanz und der Schönheit der Farben, sondern übertragen solche Eigenschaften auf Christus und seine himmlische Kirche. Die Lichtmetaphorik kann auf jede geistige Relation ausgedehnt werden. Zudem fungiert das Licht im Neuplatonismus als Modell der Wahrheitsvermittlung. In diesem Zusammenhang fällt obligatorisch der Name Ps.-Dionys vom Areopag. Die Texttraditionen reichen weit vor das Christentum zurück; sie umfassen ebenso das Alte Testament, so einige Psalmen, wie pagane Kulte und auch Kaiser betreffende Epitheta, und sie sind auf unterschiedliche Weise im Neuen Testament präsent, ganz besonders im Johannesevangelium.
Lichtmetaphorisch wird nicht nur der Kirchenbau und seine Ausstattung beschrieben, sondern auch der Ritus, seine Protago-nis­ten, deren Erscheinung in farbigen Gewändern, aber auch die heiligende Wirkung, die sich in ihm vollzieht. Die Fülle der Anwendungsmöglichkeiten der Lichtmetaphorik schafft fast verschwenderisch Möglichkeiten, den Kirchenbau, seine Ausstattung mit sakralen Bildern und den Ritus auf eine seine unmittelbare Wirkung transzendierende Weise zu beschreiben – und genau das ist das Problem, will man zu einer distinkten Argumentation kommen. Damit sieht sich Vladimir Ivanovici konfrontiert, der von kalkulierter Theophanie spricht, die in der Kirche hergestellt werde. Früher lag in der Beschäftigung mit der Lichtwirkung im Kirchenbau, initiiert von Erwin Panofsky, das Hauptaugenmerk auf dem Neuplatonismus, in dem dieser die Initialzündung für die Entstehung der gotischen Architektur gesehen hatte. Heinz Kähler übertrug diesen Gedanken auf die Erklärung der Konzeption der Hagia Sophia in Istanbul. Daran hat jüngst wieder Nadine Schibille angeknüpft. Auch I. nimmt den christlichen Neuplatonismus etwa für die Lichtführung von San Vitale in Anspruch. Sein Hauptinteresse gilt aber dem Verhältnis der Ausstattung der Kirche zur Liturgie.
Im Mittelpunkt der Untersuchung stehen das Baptisterium der Orthodoxen und San Vitale in Ravenna. Es versteht sich, dass am Baptisterium die Beziehung zur Liturgie der Taufe thematisiert wird. Wie der Mensch in seiner Erschaffung zum Bild Gottes wird, weil auf ihn der Geist, das göttliche Licht übertragen wird, so wird die Taufe als Erneuerung dieser Geistbeziehung begriffen, die wiederum in Lichtmetaphern beschrieben werden kann. Aus Licht wird Licht. Um von manipulating theophany zu reden, muss man annehmen, dass sich Bild, Entfaltung des Bildes im Raum und der Ritus so miteinander verbinden, dass es für den zeitgenössischen Betrachter nahelag, die Vorstellung zu entwickeln, einer Theophanie teilhaftig zu werden. Daraus ergibt sich jedoch die Frage, wie sie von anderen Bilderfahrungen zu unterscheiden ist und wann sich eine solche Vorstellung für den zeitgenössischen Betrachter verbraucht hatte.
Distinkt argumentiert I., wenn er nach traditioneller ikonographischer Methode das Bild der Taufe Christi in der Kuppel des Baptisteriums dechiffriert, den Verwandlungsprozess von paganen in christliche kosmische Symbole beschreibt. Das ist der überzeugendste Teil des Buches. Weniger genau ist die Textanalyse und weniger verständlich wird, welche Texte zitiert werden. Immer kann die Metaphorik der Texte so verstanden werden, als lenkten sie den Blick des Betrachters und regten diesen an, das Licht, die Wirkung der Farben in die Gegenwart Gottes zu verwandeln, zumal wenn er nach der Vorstellung der Relation der kirchlichen zur himmlischen Hierarchie – wie sie Ps.-Dionys vom Areopag formuliert hat – den Ritus und seine Protagonisten als Verkörperung der himmlischen Liturgie wahrnimmt. Aber es verwundert, dass I. kaum die Liturgie selbst zitiert. Das wird besonders deutlich im Teil zu San Vitale, in dem er den Bezug zur Eucharistie in den Mittelpunkt rückt. Hier verrät er sogar eine Ferne zur Liturgie. Es ist äußerst problematisch, für das abendländische Liturgieverständnis des 6. Jh.s die Transsubstantiation von Brot und Wein zu reklamieren. Hier wird der Unterschied zu Tobias Freses Studie, Aktual- und Realpräsenz. Das eucharistische Christusbild von der Spätantike bis ins Mittelalter (2012) deutlich, der in Engführung zu den unterschiedlichen Ausformungen der Liturgie und den Liturgiekommentaren die Ausstattung der Kirche erklärt hat. Umso erstaunlicher ist, dass I. dieses Buch ignoriert.
Nachdem I. zum orthodoxen Baptisterium das Grundmodell der Argumentation entwickelt hat, sind die Ergebnisse zu San Vitale meistens erwartbar. Ein größeres Gewicht erhält hier in den Überlegungen das liturgische Personal, was durch die Mosaiken im Presbyterium angeregt wird. Aber wenn dazu vor allem die beiden Schriften zur kirchlichen und himmlischen Hierarchie von Ps.-Dionys vom Areopag angeführt werden, bleibt die Erklärung im Allgemeinen.
Das Buch ist ein Spiegel der aktuellen bildwissenschaftlichen Diskussion. Verwunderlich ist, dass I. diese Diskussion nur aus zweiter Hand kennt, vermittelt durch Autoren wie Elsner, MacCormack und Tsakiridou. Zum Modewort der Bildwissenschaft ist enargeia, der Begriff für Evidenz in der antiken Rhetorik, geworden. Eine Sache tritt in der Rede so lebendig vor Augen, dass sie gleichsam gegenwärtig zu sein scheint – wie etwa Quintillian enargeia erklärt. Diese Wirkung wird in der Bildwissenschaft gerade für das Bild reklamiert. In diesem Sinne beschreibt I. die dynamische Lichtwirkung, die Artefakte als lifelike erscheinen ließe. Die spätantike Vorstellung, dass bestimmte Materialien die Fähigkeit hätten, Licht auszusenden, made enargeia a matter of decoration (138). Die enargeia eines Gebäudes bestehe im Wechselspiel von Dunkelheit und Licht. Im Falle des kultischen Artefakts würde aus enar-geia so etwas wie a manifestation of their sharing in the divine. The church’s capacity to reproduce heaven and to catalyse the ritual’s icon-icity accordingly relied on its enargeia. So sei für den kulturell konditionierten Betrachter naheliegend, beim rituellen Vollzug in der Kirche theophanische Erfahrungen zu machen. Hier verwendet I. den Begriff der Enkulturation, ohne wieder den theoretischen Kontext anzuführen, aus dem dieser Begriff entstammt. Manipulating theophany ist eine artifiziell hergestellte Bildwirkung, die einen Betrachter zum Adressaten hat, der sich überwältigen lässt, der bereit ist, die eigene Sehkompetenz auszuschalten. Für den Leser, der die bildwissenschaftliche Diskussion genauer kennt und auch die Einwände, die immer lauter gegen eine solche Art zu argumentieren erhoben werden, bleibt das Unbehagen, dass sich der Autor argumentativ selbst überwältigen lässt, ohne den theoretischen Implikationen seiner Argumentation auf Augenhöhe begegnen zu können.