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Ausgabe:

Januar/2018

Spalte:

103–104

Kategorie:

Christliche Kunst und Literatur

Autor/Hrsg.:

Aurnhammer, Achim, Cantarutti, Giulia, u. Friedrich Vollhardt [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Die drei Ringe. Entstehung, Wandel und Wirkung der Ringparabel in der europäischen Literatur und Kultur.

Verlag:

Berlin u. a.: De Gruyter 2016. XIII, 287 S. m. 8 Abb. = Frühe Neuzeit, 200. Geb. EUR 99,95. ISBN 978-3-11-045267-9.

Rezensent:

A. B.

Die Meinung, man könne aus der Geschichte lernen, wird von der Geschichte oft genug eines Besseren belehrt. So scheint es, als käme diese uralte Menschheitsfrage über sokratische Dialektik vielleicht niemals hinaus. Indessen dürfte nicht zu bestreiten sein, dass geschichtliche Ereignisse, Produkte und Konstellationen bevorzugt für aktualistische Zwecke instrumentalisiert werden. Ein solcher ahistorischer Gebrauch von Geschichte lässt sich am Beispiel der Ringparabel, die G. E. Lessing in seinem Ideendrama »Nathan der Weise« erzählt hat, vorzüglich studieren. Der vorliegende Band dokumentiert ein im September 2012 in der Villa Vigoni am Comer See veranstaltetes deutsch-italienisches Forschungskolloquium, das dem modernistischen Missbrauch, dem Lessings Ringparabel in den neuen religiösen Krisen einer postsäkularen Gesellschaft bisweilen anheimfällt, mit tiefenscharfen motiv-, werk- und wirkungsgeschichtlichen Erkundungsgängen entgegenzutreten sucht.
Das erste Kapitel fragt nach der »Vor- und Frühgeschichte der Ringparabel«. Dabei erkundet Jan Assmann den antiken Erzählkern, Annemarie C. Mayer erinnert an ein von Raimundus Lullus im 13. Jh. dargestelltes philosophisches Glaubensgespräch, Wolf-Dieter Stempel untersucht drei weitere mittelalterliche Motivvarianten, und Valter Leonardo Puccetti sichert die in der zum Ende des 13. Jh.s entstandenen Novellensammlung »Il Novellino« hinterlassenen Spuren.
Das zweite Kapitel wendet sich sodann »Boccaccio und seine[r] Rezeption in der Frühen Neuzeit« zu. Während Andreas Kablitz die in Boccaccios »Decameron« erzählte Ringparabel ausleuchtet, verweisen weitere gelehrte Spezialbeiträge auf frühneuzeitliche Adaptionen der Ringparabel in der deutschen, englischen und französischen Literatur (Linus Möllenbrink, Achim Aurnhammer, Mario Zanucchi, Christian Rivoletti), und Winfried Schröder wirft diesbezüglich auf den berühmt-berüchtigten Traktat »De tribus impos­toribus« einen komparatistischen Blick.
Das dritte Kapitel widmet sich schließlich der »Ringparabel bei Lessing und in der Moderne«. Der eingehenden, forschungsgesättigten Analyse der im »Nathan« erzählten Ringparabel, die Friedrich Vollhardt vorlegt, geht die von Giulia Cantarutti unternommene Erkundung der zu Lessing zeitgleichen italienischen Debattenlage voraus. Zwei wirkungsgeschichtliche Fallstudien be­leuchten am Ende den »Kontext antisemitischer Lessing-Darstellungen« (Francesca Tucci) und, höchst anregend, die von Sigmund Freud vollzogene persönliche Adaption der Ringparabel (Liliane Weissberg).
Anders als in manchen anderen Tagungsbänden sind hier ausnahmslos höchst gehaltvolle, wissenschaftlich fundierte, die Forschung vorantreibende Studien versammelt. Ein »Anhang« bietet Zusammenfassungen aller Beiträge in deutscher und italienischer Sprache sowie ein Personen- und Schriftenregister.
Ob man aus der Geschichte lernen könne, wird wohl auch weiterhin kontrovers diskutiert werden. Für den hier angezeigten Band hingegen erübrigt sich solche Diskussion, noch bevor sie beginnt: Wer sich von ihm nicht belehren lässt, hat künftig für die Ringparabel ein Zitations- und Publikationsrecht verwirkt!