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Ausgabe:

Januar/2018

Spalte:

94–96

Kategorie:

Dogmen- und Theologiegeschichte

Autor/Hrsg.:

Appel, Kurt [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Preis der Sterblichkeit. Christentum und Neuer Humanismus.

Verlag:

Freiburg u. a.: Verlag Herder 2015. 232 S. = Quaestiones disputatae, 271. Kart. EUR 30,00. ISBN 978-3-451-02271-5.

Rezensent:

Stefan Dienstbeck

Das interdisziplinäre Gespräch der Theologie mit Sozial- und Kulturwissenschaften sowie mit den naturwissenschaftlichen Fächern hat als unverzichtbares Element gegenwärtiger theologischer Arbeit zu gelten. Dieses Anliegen wird von dem katholischen Wiener Fundamentaltheologen Kurt Appel in diesem Sammelband aus der Reihe Quaestiones Disputatae aufgegriffen und auf das von ihm auch an anderer Stelle behandelte Thema eines neuen Humanismus bezogen.
Das Buch erweist sich dabei in mehrfacher Hinsicht als ungewöhnlich: Einerseits wird der Gegenstand des Bandes erstaunlich konsequent von allen vier Beiträgen behandelt, so dass das Buch trotz dreier Autoren wie aus einem Guss geschrieben ist. Darüber hinaus besteht der Band zum Großteil aus vier längeren Aufsätzen, von denen die beiden rahmenden von Appel selbst stammen, die übrigen von Jakob Deibl und Isabella Guanzini, zwei Mitarbeitern Appels in Wien, verfasst sind. Auch der Schreibstil passt sich dem Thema an und bleibt trotz unterschiedlicher Verfasserschaft weitestgehend konsistent. Zuletzt sei auf die Gliederungskonzeption verwiesen: Die Beiträge sind immer paarweise angeordnet, so dass sich der erste Aufsatz von Appel sowie derjenige von Deibl in der Gliederungsstruktur ähneln. Gleiches gilt für den Aufsatz von Guanzini sowie den zweiten Appels. Der Sammelband wurde daher bereits strukturiert angelegt und besteht nicht aus einer Sammlung unabhängiger Beiträge. Ein Personenregister sowie einleitende Kapitel ergänzen das Werk zusätzlich sinnvoll.
Stilistisch präsentiert sich der gesamte Band ungewohnt für ein theologisches Fachbuch. So lässt sich die Sprachart vielleicht am treffendsten als eine mit künstlerisch-literarischem, ja fast lyrischem Anspruch kennzeichnen. Dies passt – wie noch zu zeigen ist – zum Inhalt, droht an manchen Stellen jedoch beinahe über das Ziel hinauszuschießen und sich in der eigenen Welt zu verlieren. Gerade die an manchen Stellen gehäuft auftretenden geschraubten Begrifflichkeiten oder künstlerisch gefärbten Begriffskombinationen erschweren eher die Lektüre, als dass sie den Zugang zu dem theologisch-philosophischen Aussagegehalt erleichtern würden.
Das Zentralthema des Buches wird programmatisch im ersten Beitrag Appels umrissen, der identisch mit dessen Antrittsvorlesung in Wien ist (vgl. 11). Ziel ist es, Christentum und Neuen Humanismus zusammenzuführen. Anders formuliert geht es um eine Neubestimmung des Humanen unter christlicher Perspektive, wobei den Mitarbeitern am Sammelband daran gelegen ist, dass zwischen Christentum und Humanismus keine Fachgrenze anzusetzen ist. Vielmehr plädieren sie dafür, im Christlichen das Menschliche offenzulegen. Die titelgebende Sterblichkeit und deren Preis sind dabei – wie der letzte Beitrag herausstellt – das Rahmenthema, in dem die Suchbewegung der Beiträge kulminiert.
Methodisch arbeitet der Band vornehmlich mit Schlüsselbegriffen wie »Körper«, »Körperlichkeit«, »Verletzbarkeit«, »Apokalypse«, »zweite Haut«, »Maske« oder »Übergang«. Deutlich werden soll dadurch, dass eine direkte Artikulation des Göttlichen oder Menschlichen angesichts der gegenwärtigen Dominanz von Bildern und der verlorenen Symboldimension nicht mehr möglich ist. Dadurch verschiebt sich der Zugang auf eine sprachliche Vermittlung, die vornehmlich in Form von Texten oder Texturen geschieht. Insofern erfolgt der Zugriff auf die Themen auch anhand von literarischen Werken, die immer wieder auch von Bibeltexten ausgehen oder auf sie zurückkommen. Bei Appel selbst stehen im ersten Beitrag die Schöpfungs- bzw. Fallerzählung sowie Hegel und Musil im Zentrum der Betrachtung. Aufgegriffen werden diese Momente von Deibl durch die Fortführung der biblischen Geschichte bei Kain und Abel sowie bei Hölderlin und Rilke. Guanzini bemüht entgegen der eher »traditionellen« Auswahl Appels und Deibls insbesondere Gegenwartsdenker, allen voran Jacques Lacan (vgl. 127). Den Höhepunkt der Darstellung nimmt die Behandlung des Gebets durch Appel ein, welches allerdings bereits in den vorherigen Beiträgen thematisch angeklungen war. Auch hier stellen Bibeltexte (Ps 36 und Mk 6,30–46) den Ausgangspunkt dar, die über verschiedene Philosophen (u. a. Schelling, Hegel, Kant) gebrochen werden.
Wurde bereits in den drei Anfangsbeiträgen deutlich, dass die Autoren für die Gegenwart im Anschluss an die Lacansche »Verdunstung des Vaters« (151) einen Ausdruck für die empfundene Leerstelle finden wollen – so solle nach Deibl die Kirche »Klang-Körper […], der das Verstummen einer ganzen Generation […] hörbar werden lässt«, werden –, dann macht das Gebet in doppelter Hinsicht diese Anliegen deutlich: Einerseits werde das Gebet insofern zum »Lobpreis für das Geschenk der Sterblichkeit« (195), als durch das Sterbenkönnen die letzte Verobjektivierung des Subjekts verhindert werde. Andererseits führe der Anachronismus des Gebetes – der Christ lebt gewissermaßen vom Tod ins Leben, also von der Taufe ins Reich Gottes – zu einer »Entwertung aller Bilder« sowie »einer neuen symbolischen Ordnung« (195). Ziel dieses Weges ist eine Demaskierung, indem die Sterblichkeit einen »Verlust aller Masken, Images und Abschirmungen, die unsere Existenz kennzeichnen« (227), meint. Just dadurch werden »Verletzbarkeit und Sterblichkeit« zu den Zentralmotiven »des ›neuen‹ Menschen und damit eines neuen Humanismus« (227). Gerade die körperliche Versehrtheit wird dabei über das Buch hinweg mit dem gekreuzigten Leib und Leichnam Christi assoziiert.
Der Band bietet einen interessanten Ansatz, einen Blick auf diejenigen Problemstellungen zu werfen, mit denen sich Kirche und Theologie in der Gegenwart konfrontiert sehen. Ob allerdings gerade der literarische Zugang und die Sprachspiele, mit denen alle Buchbeiträge arbeiten, eine bessere Erschließung oder nicht doch eher eine Verhüllung auf Seiten der Leserschaft hervorrufen, muss fraglich bleiben. Die Antwortseite tritt gegenüber der Problematisierung jedenfalls deutlich zurück.