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Ausgabe:

Januar/2018

Spalte:

92–94

Kategorie:

Kirchengeschichte: 20. Jahrhundert, Zeitgeschichte

Autor/Hrsg.:

Gailus, Manfred

Titel/Untertitel:

Friedrich Weißler. Ein Jurist und bekennender Christ im Widerstand gegen Hitler.

Verlag:

Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2017. 316 S. m. 31 Abb. Geb. EUR 30,00. ISBN 978-3-525-30109-8.

Rezensent:

Patrick Holschuh

Nach der kontrovers besprochenen Biographie über Elisabeth Schmitz aus dem Jahre 2010 widmet sich Manfred Gailus erneut einer Figur der Bekennenden Kirche. Untersuchungen zum Leben Friedrich Weißlers liegen bereits vor. In der kirchengeschichtlichen Forschung fand besonders seine Beteiligung an der 1936 verfassten Denkschrift der Bekennenden Kirche (BK) und sein Schicksal als »nichtarischer« Christ sowie erster Märtyrer der BK Beachtung. In der Geschichte der Justiz in der NS-Zeit wurde zu ihm als erstem seines Amtes enthobenem »nichtarischer« Richter geforscht. Eine eigenständige Biographie stand aber noch aus.
Die ersten beiden Kapitel schildern das familiäre Umfeld Weißlers in der Kaiserzeit, wobei besonders seinem Vater Adolf, einem aufstrebenden, preußischen Juristen, breiter Raum gegeben wird. Dessen kulturelle Assimilation mündete in die Taufe der Söhne. Der Vf. beschreibt die Familie als »hochpatriotisch« (47.51), was offensichtlich dem im Forschungsdiskurs etablierten Begriff des inklusiven Nationalismus entspricht. Ein eigenes Kapitel widmet sich den Jahren des Ersten Weltkriegs. Adolf Weißler, Herausgeber mehrerer wichtiger juristischer Publikationen, nahm gänzlich teil an der religiösen Überhöhung von Volk und Nation. Den Abschluss des Versailler Vertrags konnte er nicht ertragen und beging Suizid.
Das dritte Kapitel beschreibt die Jahre des beruflichen Aufstiegs von Friedrich Weißler in der Weimarer Republik und ist für die Forschung von besonderem Interesse, da die politische Haltung des Juristen zur Republik bisher ein Forschungsdesiderat darstellte (Albrecht Geck, Friedrich Weißler, in: Jürgen Kampmann [Hrsg.], Protestantismus in Preußen, Bd. IV, 263–289, 267). Der Vf. arbeitet heraus, dass Weißler der neuen Staatsform zunächst ablehnend begegnete. Politisch im Unterschied zu seinem Vater nicht nationalliberal, sondern nationalkonservativ eingestellt, sympathisierte er als überzeugter Monarchist zunächst mit der DNVP, deren Antisemitismus ihn jedoch ins demokratische Lager trieb und der DDP sowie dem Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold beitreten ließ. Ob es allein sein juristisches Denken war, das ihn wegen des Eintretens der DDP für die Fürstenenteignung aus der Partei austreten ließ, wie der Vf. annimmt, oder nicht auch eine ungebrochen monarchisch-konservative Gesinnung, mag dahingestellt bleiben. Dass er nach eigenen Angaben bei den nächsten Wahlen den Christlich-Sozialen Volksdienst, eine Absplitterung von der DNVP, und im März 1933 sogar wieder die DNVP wählte, weist in diese Richtung.
Nach Tätigkeiten als ständiger Hilfsrichter und Landgerichtsrat in Halle erfuhr seine Karriere 1932 mit der Berufung zum Landgerichtsdirektor nach Magdeburg einen weiteren Aufstieg, dessen jähes Ende das vierte Kapitel berichtet: Bereits im März 1933 wurde er auf Betreiben der Nationalsozialisten vom Dienst suspendiert. Damit einher ging ein rascher Abbruch der gesellschaftlichen Verbindungen. Gerade seine nationale Gesinnung war es, die ihn immer wieder selbstbewussten, wenn auch letztlich vergeblichen Protest gegen die Verdrängung aus der Gesellschaft äußern ließ. Mit seiner Frau – er hatte 1922 eine Pfarrerstochter geheiratet – und zwei Söhnen siedelte er nach Berlin über. Anschluss suchte er im kirchlichen Umfeld seines Wohnortes, musste aber auch dort Exklusionserfahrungen machen. 1934 wandte er sich dem dahlemitischen Flügel der BK zu und bekam bei der 1. Vorläufigen Kirchenleitung gegen eine Aufwandsentschädigung eine Stelle als Bürokraft und juristischer Berater. Hier fand der aus den juristischen Kreisen völlig Herausgedrängte eine neue Aufgabe im öffentlichen Leben. Die Kapitel 5 bis 7 schildern die dichten und tragischen Ereignisse der wenigen Monate vom Sommer 1936 bis Februar 1937, der Abfassung der Denkschrift der BK an Hitler bis zu Weißlers gewaltsamem Tod im KZ Sachsenhausen. Als Kanzleichef der 2. Vorläufigen Kirchenleitung war er an allen Beratungen der Denkschrift beteiligt. Da die BK-Leitung die Schrift zumindest vorerst geheim halten wollte, um die erhoffte Antwort Hitlers zu bekommen, sorgte die Veröffentlichung in der Auslandspresse wenige Wochen nach der Übergabe für großen Aufruhr. Ermittlungen nach der undichten Stelle wurden eingeleitet, bei denen Weißler ins Fadenkreuz geriet. Er hatte die Schrift, wenn auch nicht zur Veröffentlichung, so doch zur Kenntnisnahme, an einen Dritten weitergegeben – aus der christlichen Überzeugung heraus, dass der Austausch mit ausländischen Christen höher zu werten sei als die Interessen der eigenen Nation. Hierzu bekannte er sich offen bei den Verhören der Gestapo. Zusammen mit zwei weiteren in diesem Kontext Verhafteten wurde er nach der U-Haft ins KZ eingeliefert, wo er von SS-Männern zu Tode gequält wurde. Während der Haft distanzierte sich die Kirchenleitung von ihm und beendete das Arbeitsverhältnis.
Die Kapitel zu diesen Monaten bleiben nicht nur die vom Vf. selbst eingangs geforderte präzise Untersuchung zum Verhalten der Führungspersonen der BK schuldig (23), sondern sind mit dem Mangel der Einseitigkeit behaftet. Der Vf. berichtet nichts von dem ungeheuren Druck, unter dem die Kirchenleitung der BK stand und durch die Veröffentlichung zusätzlich geriet. Unerwähnt bleiben die massive antisemitische Hetzkampagne gegen die BK und die zeitweilige Aufkündigung der Zusammenarbeit vom anderen Flügel der BK, dem Lutherrat, wegen des Odiums von Landesverrat. Zusätzlich erschwert die Verzeichnung der Denkschrift das Verständnis für die brisante Situation, indem der Vf. behauptet, sie habe nur »›Sorge‹ über diverse beunruhigende Trends im Nationalsozialismus [vorgebracht], die Christentum und Kirche gefährdeten« (141). Von den Bemühungen Barths, Bonhoeffers und des englischen Bischofs Bell, die Freilassung des Gefangenen zu bewirken, ist ebenfalls nichts zu lesen. Eindrücklich beschreibt er hingegen die Glaubensfestigkeit Weißlers anhand der Briefe aus dem Gefängnis an seine Frau. Das achte Kapitel wirft einen Blick auf die Zeit nach Weißlers Tod und konstatiert eine geringe Anteilnahme der BK-Verantwortlichen am Schicksal der Familie.
Eine Erklärung für die fehlende Ausgewogenheit der Darstellung findet der Leser im Resümee: Die Lebensschilderung Weißlers soll ein kritisches Wort zur »Gedenkpropaganda« (233) des Reformationsjubiläums darstellen. Den Status als Märtyrer spricht der Vf. ihm ab, da er allein aufgrund seiner nichtarischen Herkunft von den SS-Männern getötet wurde. Damit bleibt der Vf. deutlich hinter den entwickelten Kriterien der Märtyrerforschung zurück. Im Anhang finden sich eine Anzahl von Ego-Dokumenten und ein Personenregister.
Das Werk lässt sich leicht lesen, schafft es aber nicht, sprachlich ein geschlossenes Bild von Weißler zu zeichnen. So beschreibt der Vf. beispielsweise die Familie als »kirchennah« (109), wenige Seiten später attestiert er Weißler eine »kirchenkritische(n) Haltung« (116), womit er aber eine ablehnende Einstellung zur deutschchristlichen Kirchenleitung meint. Fragliche Assoziationen weckt auch die Be­zeichnung »intellektueller Freigeist« (117) für den konservativ, streng rechtlich denkenden und strikt biblisch eingestellten Weißler.
Die Stärke der Biographie liegt in der Auswertung und Zitation der autobiographischen Quellen, die vertiefende Einblicke in die Person Weißlers gewähren. Die stark einseitige und sich dem historischen Verstehen zugunsten moralischer Verurteilung verweigernde Darstellung verlangt aber bedauerlicherweise die ergänzende Lektüre der bereits vorliegenden Untersuchungen.