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Ausgabe:

Januar/2018

Spalte:

86–88

Kategorie:

Kirchengeschichte: 20. Jahrhundert, Zeitgeschichte

Autor/Hrsg.:

Bearb. v. A. Mertens.

Titel/Untertitel:

Akten deutscher Bischöfe seit 1945. Bundesrepublik Deutschland 1950–1955.

Verlag:

Paderborn: Ferdinand Schöningh 2017. 996 S. m 6 Tab. = Veröffentlichungen der Kommission für Zeitgeschichte. Reihe A: Quellen, 59. Geb. EUR 189,00. ISBN 978-3-506-78723-1.

Rezensent:

Karl-Heinz Fix

Mit diesem Band wird ein Editionsprojekt der Kommission für Zeitgeschichte fortgesetzt, dessen bisherigen Bände für die westlichen Besatzungszonen bzw. die Bundesrepublik Deutschland die Jahre 1945 bis 1949 und 1956 bis 1960 und für die DDR die Jahre 1951 bis 1961 abdecken. Der nun behandelte Zeitabschnitt gilt Katholizismusforschern als besonders interessant, da es für die katholische Kirche nach der Überwindung der materiellen und politischen Herausforderungen der unmittelbaren Nachkriegszeit darum ging, »ihren Platz in der […] Gesellschaft zu behaupten, kulturelle Positionen zu verteidigen und neu zu erkämpfen« und sich mit den vielfältigen gesellschaftlichen Modernisierungstendenzen auseinanderzusetzen (9).
Mit umsichtig kommentierten Quellen aus 17 Archiven möchte die Bearbeiterin der Forschung in Zukunft die Arbeit erleichtern und vorstrukturieren. Dass dies gelingen wird, steht außer Zweifel. Wer auch nur die flüssig und gut lesbar geschriebene Einleitung (9–23) liest, wird bestens über das weitgefächerte Themenfeld informiert, das im Dokumententeil (63–933) anhand von 253 meist unveröffentlichten, vollständig abgedruckten sowie 1000 zitierten oder benannten Quellen ausgebreitet wird. Auch das editorische Verfahren und der Quellenwert der herangezogenen Archive und Aktenbestände wird ausführlich erläutert.
Leitend für die Auswahl der Dokumente waren die sechs Protokolle der jährlich stattfindenden Fuldaer Bischofskonferenzen, die Protokolle des Konveniats der westdeutschen Bischöfe sowie der Konferenz der bayerischen Bischöfe. Um diese Protokolle wurden Anlagen, Briefwechsel und Berichte gruppiert.
Trotz der führenden Rolle, die der Kölner Erzbischof Joseph Kardinal Frings, seit 1945 auch Vorsitzender der Fuldaer Bischofskonferenz, innehatte, und trotz der Tatsache, dass sein engster Mitarbeiter, Prälat Wilhelm Böhler, das Bindeglied zwischen den katholischen Bischöfen und der Bundespolitik bildete (1951 Leiter des Katholischen Büros in Bonn), darf die Gestaltungskraft anderer Bischöfe (Würzburg, Nordwestdeutschland) auf unterschiedlichen Handlungsfeldern nicht unterschätzt werden.
Anders als auf evangelischer Seite setzte die Verjüngung des Führungspersonals erst jetzt ein, nachdem die drei dienstältesten Bi­schöfe, die noch im Kaiserreich bzw. in den 1920er Jahren ihr Amt an­getreten hatten, gestorben waren. Neben der personellen Er­neuerung war auch eine Reform der Arbeitsabläufe in der Fuldaer Bischofskonferenz hin zu Sachreferaten notwendig. Das zur Unterstützung der Arbeit vorgesehene Sekretariat wurde indes erst 1966 realisiert. Die Gründung des Bistums Essen wurde von den betroffenen Bischöfen keinesfalls klaglos akzeptiert, wie 19 Dokumente zeigen.
Auf der Agenda der Bischöfe verloren die von der Not der Nachkriegsjahre diktierten Themen (Lage der Inhaftierten, Kriegsgefangene und Kriegerwitwen, Unterbringung und schulische Betreuung der Flüchtlinge und Heimatvertriebene) langsam an Gewicht und forderten eine Neujustage der Arbeit der Caritas.
Die neuen Möglichkeiten, sich in die demokratische Gesellschaft gestaltend einzubringen, machten es auch notwendig, die eigenen Instrumentarien zu überdenken. Zwar sollte das kirch-liche Vereins- und Verbandswesens restituiert werden, dabei aber trotz aller Zukunftszugewandtheit und Einsicht in die Notwendigkeit der Mitwirkung kompetenter Laien die Zügel nicht aus der Hand der Bischöfe genommen werden. Exemplarisch galt dies für das Zentralkomitee der deutschen Katholiken. Doch erkannte man durchaus die Gefahr, dass das Engagement der Laien der klerikalen Bevormundung zum Opfer fallen konnte.
Das Wirken der Kirche in der Gesellschaft war trotz aller Bemühungen um eine Re-Konfessionalisierung »keine ausschließliche Erfolgsgeschichte« mehr und machte manches »Rückzugsgefecht« (18) notwendig, etwa wenn die Zahl der Mischehen zum großen Kummer der Bischöfe stetig zunahm oder bei den Debatten über das Recht auf Kriegsdienstverweigerung die Bischöfe als Vertreter der Lehre vom gerechten Krieg zugunsten der individuellen Gewissensentscheidung die alleinige Deutungshoheit einbüßten.
Auch auf die CDU/CSU konnten die Bischöfe nicht mehr bedingungslos bauen. Gegen das Gleichberechtigungsgesetz (1957) als Folge der vom Grundgesetz geforderten Gleichstellung von Mann und Frau argumentierte man schöpfungstheologisch-frauenfeindlich, ohne jedoch die Bundestagsabgeordneten überzeugen zu können. Der Bundestag nahm das Gesetz im Mai 1957 einstimmig an!
Aus der Forderung nach einer Wiederbelebung des katholischen Vereinswesens ergab sich das Dilemma, dass ein konfessionell ge­trennter Versuch der Einflussnahme auf gesellschaftliche Prozesse keineswegs immer erfolgreich war und die Mitwirkung in überkonfessionellen Organisationen der zielführendere Weg war. Dies zeigte sich sowohl bei der Frage nach der Vertretung von Arbeitnehmerinteressen durch die Gewerkschaften, wo gegenüber dem DGB die katholische Gewerkschaft chancenlos war, als auch bei der Familienpolitik. Hier arbeiteten die katholischen Gruppen jedoch mit dem überkonfessionellen Deutschen Familienverband, aber auch mit evangelischen Verbänden in der Arbeitsgemeinschaft deutscher Familienorganisationen zusammen.
Traditionell stand die Schulpolitik im Fokus des katholischen Interesses, auch nach Inkrafttreten des Grundgesetzes und der Länderverfassungen. Dabei wurde schnell deutlich, dass die selbstverständlich erwartete Einführung der Konfessionsschule je nach Bundesland unterschiedlich erfüllt wurde. Wo, wie in Niedersachsen, die Gemeinschaftsschule als Norm galt, konnte es zu heftigen, nicht immer sachlich geführten Kontroversen zwischen Kirche und Staat kommen. Aber auch hier führte die Kirche ein Rückzugsgefecht, u. a. angesichts einer sich wandelnden Bevölkerungsstruktur. Um diesem Trend zu begegnen und in die Gesellschaft hineinwirken zu können, etablierten die Bischöfe – deutlich später als ihr evangelisches Pendant – eine eigene Begabtenförderung: das Cusanuswerk.
Das Verhältnis zur evangelischen Kirche blieb distanziert-kühl. Abwehr des Indifferentismus und Rekonfessionalisierung waren und blieben oberstes Gebot, wie der »Ochsenfurter Zwischenfall« vom Juni 1953 oder die Liste der Feiertage, gemäß der an Ostern nur der Karfreitag ein evangelischer Feiertag war (96), zeigen. Obwohl man katholischerseits zwei Jahre nach der EKD 1952 mit dem »Katholischen Büro« in Bonn eine Verbindungsstelle zum Staat eingerichtet hatte, arbeiteten die beiden Repräsentanten Böhler und Hermann Kunst trotz vielfach beide Konfessionen gleichermaßen tangierender Themen kaum zusammen.
Biogramme der »Bischöfe, Weihbischöfe und Kapitularvikare im Bereich der Fuldaer Bischofskonferenz 1950–1955« (29–41), eine Liste der »Teilnehmer der Bischofskonferenzen 1950–1955« (43–53), ein chronologisches Verzeichnis der abgedruckten Quellen (55–62) und ein chronologisches Register der in Text und Anmerkungen ge­nannten Dokumente (949–970), ein Personen-, Orts- und Sachre-gister (971–995) sowie eine Landkarte der deutschen Bistümer auf der Umschlaginnenseite erschließen den Band bestens.
Dieser Kleinigkeit steht aber ein ungleich größerer Erkenntnisgewinn über katholisches Denken und Handeln in den 1950er Jahren für Theologen wie Nicht-Theologen gegenüber. Man sollte diesen mehr als nur physisch gewichtigen Quellenband nicht nur auf der Suche nach einem Dokument in die Hand nehmen.