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Ausgabe:

Januar/2018

Spalte:

85–86

Kategorie:

Kirchengeschichte: Alte Kirche, Christliche Archäologie

Autor/Hrsg.:

Morgan, Teresa

Titel/Untertitel:

Roman Faith and Christian Faith. Pistis and Fides in the Early Roman Empire and Early Churches.

Verlag:

Oxford u. a.: Oxford University Press 2015. XI, 626 S. Geb. US$ 155,00. ISBN 978-0-19-872414-8.

Rezensent:

Adolf Martin Ritter

Dies Buch ist ein Glücksfall! Teresa Morgan, Oxforder Professorin für griechisch-römische Geschichte und bereits mehrfach hervorgetreten durch gewichtige Beiträge zur antiken Kultur- und Mentalitätengeschichte (unter Einschluss des frühen Christentums), hat sich eingehend mit der Septuaginta und vor allem dem Neuen Testament beschäftigt und am Ende eine umfangreiche Monographie zu einem der neutestamenlichen Zentralbegriffe, dem des »Glaubens«, vorgelegt. Und es erweist sich, dass sie sich mit so viel Sachverstand, Quellen- und Literaturkenntnis der selbstgestellten Aufgabe entledigt hat, dass die Leserschaft dieser Zeitschrift, ob stärker exegetisch, historisch (besonders patristisch), systematisch- oder praktisch-theologisch interessiert, allen Anlass hat, sich mit dem Ergebnissen ihrer Untersuchungen und der Weise, wie sie gewonnen wurden, gründlich auseinanderzusetzen.
Und das gilt m. E. unverändert, obwohl inzwischen ein noch umfangreicheres Sammelwerk zum selben Thema »Glauben« mit demselben Schwerpunkt auf dessen Verständnis im Frühchristentum und seiner jüdischen wie hellenistisch-römischen Umwelt erschienen ist (Hauptherausgeber J. Frey, Tübingen 2017, 997 S. [WUNT 373]); zu diesem Band hat übrigens auch die Vfn. beigetragen 275–297), und der einschlägig ausgewiesene Mitherausgeber, B. Schließer, hat in seiner einführenden »enzyklopädisch-biographischen« Skizze über »Glauben im frühen Christentum« (3–50) die mit ihrer »umfassenden Studie« (gemeint: ihre hier zu besprechende Monographie) erbrachte Leistung gebührend gewürdigt (3–5 u. ö.).
Was die Vfn. antrieb, verrät bereits der erste Satz ihres Buches: Es ist die »simple Frage: warum ist Glaube so wichtig für Christen?«, wichtiger – wie bereits oft genug festgestellt – als jüdische, griechisch-hellenistische oder lateinische Quellen von πίστις und πιστεύειν (bzw. ihren lateinischen Entsprechungen fides und credere/[con]fidere) zu reden wissen (1). Schon das lässt erahnen, dass das Buch weit mehr zu bieten hat als herkömmliche Begriffsgeschichte.
Inhaltsübersicht: Nach einer Einleitung, in der es formal um Klärung der Begriffe und die Begründung für den gewählten methodischen Zugriff geht, inhaltlich aber bereits eine Annäherung an Verständnis und Gebrauch von pistis/fides in der griechisch-römischen Welt, im hellenistischen Judentum und im frühen Christentum in der Zeit vom 1. Jh. vor bis zum 2. Jh. n. Chr. versucht wird (Kapitel 1: 1–35), sind allein drei Kapitel (2–4: 36–175) dem Verständnis und Gebrauch der fraglichen Begriffe in der Welt des frühen Prinzipats (unterschieden nach den Bereichen »Beziehungen innerhalb des Hauses und zwischen Personen«, »politische Strukturen« und »Religiosität«) und ein weiteres pistis in der Septuaginta (5: 176–211) gewidmet. Dabei kommen außer der althistorisch-klassisch-philologischen Expertise der Vfn. eine beeindruckende Vertrautheit mit soziologischen, ökonomischen und philosophischen Fragestellungen und deren Verortung in der Antike zur Geltung.
Von diesem in Studien zum Neuen Testament in nicht eben ge­wöhnlicher Breite und Tiefe studierten Kontext aus fällt dann auch vielfach neues Licht auf das eingehend untersuchte Neue Testament. Ihm sind sieben von zwölf Kapiteln des Buches gewidmet. Sie behandeln »Pistis in der frühesten christlichen Verkündigung« (6: 212–261); »Pistis im Galater-, Römer-, Philipper- und Philemonbrief« (7: 262–306); »Pistis in nicht-paulinischen Briefen«, vom Epheser- bis zum Judasbrief (8: 307–346); »Pistis in den Synoptischen Evangelien und in der Apostelgeschichte« (9: 347–393); »Pisteuein und seine Beziehungen im Corpus Iohanneum«, einschließlich der Apokalypse (10: 394–443); in zwei weiteren Kapiteln werden, nun auch unter thematischer Einbeziehung der paganen und jüdischen Quellen, das Verhältnis von »Relationalität und Interiorität« (11: 444–472) sowie »die Struktur der (Weisen) göttlich-menschlichen Inbeziehungtretens (the structure of divine-human communities)« un­tersucht, wann immer von pistis/fides die Rede ist. Wie fast jedes Kapitel mit einer knappen Zusammenfassung endet, so auch das corpus des Bu­ches selbst (Conclusion: 501–514), diesmal allerdings nicht nur den reichen Inhalt der voraufgehenden zwölf Kapitel bündelnd, sondern auch mit einem »Seiten- und Ausblick« endend, in dem sich die Vfn. Rechenschaft ablegt von der Reichweite, den Grenzen ihrer Fragestellung und am Beispiel von 1Clem und den Ignatianen wenigstens andeutet, wie und mit welchen Ergebnissen die Befragung der biblischen Schriften, besonders des kanonischen Neuen Testaments, fortzuführen wäre, falls zumindest auch die sogenannte »Apostolische Väter«-Literatur mit einbezogen würde.
Für ihr Vorgehen hat sie ein gewichtiges Argument ins Feld zu führen, ein »Grundprinzip der Kulturgeschichtsschreibung«, wo­nach es für sich in einer bestehenden Kultur ausbreitende Ge­meinschaften, zumal solche mit einem missionarischen Sendungsbewusstsein, nicht gerade typisch ist, eine in ihrer Umwelt geläufige Ausdrucksweise aufzugreifen und ihr sofort radikal neue Bedeutungen zu applizieren. »Neue Bedeutungen mögen sich entwickeln, und oft tun sie es auch, aber Entwicklung braucht Zeit.« Es wäre einigermaßen unrealistisch, mit dem großen R. Bultmann und anderen zu erwarten, die Bedeutung von pistis im christlichen Sprachgebrauch sei schon im Anfangsstadium »vollkommen sui generis« (4, mit Belegen).
Hauptresultat ihrer Untersuchungen und zugleich an einer Fülle von – geschickt präsentiertem – Material bewährte These ist, dass das frühchristliche Verständnis von pistis dem des kulturellen Kontextes sehr viel näher steht als späteren Entwicklungen im Sprachgebrauch der Christen, besonders soweit er von Augustin geprägt war (und ist) und sich also verengt zur binären Opposition von fides qua und fides quae. Diese Opposition ist durchaus nicht ohne Anhalt am Neuen Testament und anderen frühchristlichen Quellen, aber gewiss nicht dominant. Vorherrschend ist vielmehr die Bedeutung »Vertrauen« als Relationsbegriff, sowohl im Verhältnis von Mensch zu Mensch als auch im Verhältnis des Menschen zu Gott. – Wie Vertrauen begründet sei, darum geht der Streit und daran scheiden sich die Geister – damals wie heute.
»Glaube« ist wohl ein zu undeutlicher, missverständlicher Be­griff, der nur zu leicht gleichgesetzt wird mit »Nichtwissen« oder mit Verzicht auf Erkenntnis der Wahrheit (Nietzsche). Es wäre daher zu wünschen, dass christliche Verkündigung und auch »Glaubenslehre« das beherzigten und lieber von »Vertrauen« als von »Glauben« sprächen. Begründetes Vertrauen lässt »Amen« sagen, was bekanntlich »verdolmetscht« heißt: »Das ist gewisslich wahr«.