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Ausgabe:

Januar/2018

Spalte:

76–78

Kategorie:

Kirchengeschichte: Allgemeines

Autor/Hrsg.:

Hrsg. v. M. Hein unter Mitarbeit v. A. Wieckowski.

Titel/Untertitel:

Herbergen der Christenheit. Jahrbuch für deutsche Kirchengeschichte. Bd. 38/39 (2014/2015).

Verlag:

Leipzig: Evangelische Verlagsanstalt 2017. 338 S. Kart. 24,00. ISBN 978-3-374-04956-1.

Rezensent:

Gert Haendler

Die regionalgeschichtlichen Beiträge bieten oft weiter gespannte Hinweise. Gerhard Graf führt über »Das vergessene Patrozinium der heutigen Wiprechtskirche in Eula« zurück zu Papst Clemens I., der in Rom fortlebt in der Basilika San Clemente.
Thomas Krzenck geht in der Arbeit »Sachsen und der Hussitismus« auf das Haus Wettin ein, das 1420 Papst Martins V. Aufruf zum Kreuzzug gegen die Hussiten befolgte – mit eigenen Interessen. Alexander Sembdner stellt zum Thema »Franziskanerherrschaft und landesherrliches Kirchenregiment in der spätmittelalterlichen Oberlausitz« am Beispiel Kamenz fest: Bettelorden waren »zugleich geistig-geistliche Katalysatoren der Stadtentwicklung wie potentielle Unruheherde mit beträchtlichem Konfliktpotential« (66). Landesherren wirkten über Klöster in Städte hinein oft mit politischen und wirtschaftlichen Motiven. Margit Scholz schildert »Die Reformierten in Stendal vom 17. bis zum 20. Jahrhundert«. Für 1613 gilt: Die »Ablehnung des Calvinismus teilte die Stadt Stendal mit dem gesamten Land« (97). Nach dem Edikt von Potsdam 1685 kamen Flüchtlinge aus Piemont, reformierte Flüchtlinge aus der Pfalz bildeten in Stendal die »Mannheimer Kolonie« (105). Die napoleonische Ära und der Aufruf zur Union brachten Veränderungen. Stendals Reformierte äußerten sich 1933 für die Deutschen Chris­ten. In der Provinzialkirche Sachsen wurden sie 1950 Teil des reformierten Kirchenkreises, nach der Leuenberger Konkordie gehörten sie zur Stendaler Stadtkirchengemeinde. Die reformierte Kirche wurde nach 1990 saniert und Museum.
Ludwig Stockinger untersucht »Aufklärung und Christentum im Werk Christian Fürchtegott Gellerts« mit dem Untertitel »Konflikt oder Kooperation?« (129). Gellert stammte aus einem Pfarrhaus, begann Theologie zu studieren, wechselte aber in die Philosophische Fakultät und wurde 1751 Professor. Goethe hat bei ihm gehört, seine »Moralischen Vorlesungen« hatten »großen Zulauf« (147). Seine »Geistlichen Lieder« waren das erfolgreichste Werk, zumal »Die Himmel rühmen des Ewigen Ehre« in der Vertonung Beethovens. – Saskia Pütz formuliert ihr Thema »Zu Oliviers Volksbilderbibel? – Über die Entstehung der ›Erzählungen aus dem Leben Jesu‹ von Wilhelm Hey 1838«. Den Text illustrieren elf Bilder von Friedrich Olivier, Friedrich Overbeck, Julius Schnorr von Carolsfeld, Wilhelm von Kügelgen und Johann David Schubert. Wilhelm Hey, seit 1827 Hofprediger in Gotha, plante mit dem Verleger Friedrich Perthes eine bebilderte und dichterische Bearbeitung des Lebens Jesu als Antwort auf »Das Leben Jesu« von Strauß. Anregungen kamen von den Nazarenern, Olivier war 1818–23 in Rom gewesen. Das Buch stellte neben Bilder von Olivier Verse von Hey, der dazu »die Zahl anpassen musste«(186).
Eberhard Gresch berichtet über »Die reformierte Gemeinde Dresdens in der Zeit des Nationalsozialismus – Ihre Geschichte aus der Sicht der Opfer«. Er verweist auf seine Veröffentlichung in den HCh 34/35 (2010/11) »Bekenntnispfarrer Richard Zitzmann (1892–1981) – Seine Vertreibung aus der Evangelisch-reformierten Ge­meinde Dresden«. Jetzt bringt er zeitgenössische Zitate, um zu zeigen: Die Gemeinde »wurde anfällig für eine Bejahung des Dritten Reiches und beteiligte sich an der politischen Propaganda« (190). Auf Fragen der Nachkommen Zitzmanns äußerte die heutige Gemeindeleitung 2015 ihr Bedauern – für Gresch zu wenig (206).
Annett Büttner untersucht zum Thema »Erziehung zum Gehorsam« die Gefahren und Chancen im Blick auf die historische Entwicklung der Diakonissenanstalt Dresden (207). Jenes Diakonissenhaus wurde 1844 gegründet nach Vorbild von Kaiserswerth. Dort waren Unterordnung und Gehorsam grundlegend. Manche Schwes­tern sahen hier »größere Entfaltungsmöglichkeiten als im Zivilleben als Ehefrau und Mutter« (211). Ähnlich zur Militäruniform bewirkte die Schwesterntracht Respekt. Anfang 1933 waren schätzungsweise 50 der 800 Dresdener Diakonissen heimlich Mitglied der NSDAP oder einer Gliederung (222). Einer »Euthanasie« stand man offen gegenüber, manchmal haben Schwestern Angehörige informiert, Patienten nach Hause zu holen. Bei Luftangriffen im Februar 1945 wurden Gebäude zerstört. Rektor Reisner erstrebte einen kontemplativen Orden. Seit 1959 suchte Superintendent Kircheis Wirkungsmöglichkeiten in der DDR, es kam jedoch »zu einer dramatischen Schrumpfung des protestantischen Milieus, aus dem sich bisher der Schwesternnachwuchs rekrutiert hatte« (231).
Friedrich Bartels bietet »Die Geschichte des Predigerseminarsin Stettin-Kückenmühle – dargestellt an seinen Direktoren«. Im Evangelischen Zentralarchiv Berlin fand er dazu ein Aktenpaket (234). Martin Albertz, 1923–28, bildete später einen »Kückenmühler Kreis« im Umkreis der Bekennenden Kirche, er gehörte 1933 »zu den ersten Unterzeichnern des Pfarrernotbundes« (242). Über Friedrich Walcker (1889–1939) wird erstmals ein Lebensbild geboten. Otto Haendler amtierte 1931–34. Gefunden wurde ein Brief vom 27.09. 1934, nach dem ihm »durch die Reichskirchenregierung nahegelegt wurde, das Amt zu verlassen« (250). Daran war beteiligt sein Studieninspektor und Nachfolger Hans Nordmann, Mitglied der Partei und Deutscher Christ. Das Predigerseminar in Kückenmühle endete 1940. Nordmann wurde in Berlin Konsistorialrat und erreichte nach 1945 seine Entnazifizierung.
Der Bericht über ein Christian-Lehmann-Symposium in Scheibenberg am 11. November 2011 beginnt mit einem Überblick von Stefan Schmidt-Brücken über jenen Pfarrer, der als »bedeutendster Altchronist« und »Entdecker des Erzgebirges« gilt (261). 1638 kam er in das Städtchen Scheibenberg, wo er »alle Schrecken des 30-jährigen Krieges erlebte« und 1688 im Alter von 77 Jahren starb. Seine Werke hatte er in sechs Bände gegliedert, davon ist etwa die Hälfte erhalten. Hans-Joachim Jakob informiert über Lehmanns Chronik »Gottes Zeichen am menschlichen Körper und im menschlichen Geist«. Er geht auf die Geburt der Menschen ein und lehnt neue Moden ab. Eine Traumlehre bringt damalige Literatur, u. a. einen Traum des sächsischen Reformators Myconius (279). Auch Formen des Irreseins ändern nichts daran: Der Mensch bleibt auch »in seinem devianten Verhalten immer mit Gott verbunden« (283).
Michael Wetzel untersucht das Thema »Wiederaufbau und Kriegsfolgenüberwindung im Erzgebirge nach dem Dreißigjährigen Krieg«. Christian Lehmann lieferte »eine Art Bewältigungsstrategie für die Erlebnisse des Krieges« (291).
Es folgen Berichte aus den Arbeitsgemeinschaften und Vereinen für Kirchengeschichte sowie Rezensionen (297–327), die das erfreuliche Bild einer vielfältigen Arbeit abrunden.