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Ausgabe:

Dezember/1999

Spalte:

1284–1286

Kategorie:

Religionspädagogik, Katechetik

Autor/Hrsg.:

Lähnemann, Johannes

Titel/Untertitel:

Evangelische Religionspädagogik in interreligiöser Perspektive.

Verlag:

Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 1998. 471 S. 8. Kart. DM 39,80. ISBN 3-525-61134-X.

Rezensent:

Peter Schreiner

Evangelium und Religionen stehen nach Lähnemann in einer "spannungsvollen Beziehung" zueinander, die es religionspädagogisch zu reflektieren gilt. Es sind die beiden Pole im Beziehungsfeld evangelischer Religionspädagogik, dem seine vorliegende Monographie gilt. Als roter Faden zieht sich die Bearbeitung von zwei zentralen Aufgaben durch diese beachtliche Ausarbeitung: 1. Die Darlegung der Notwendigkeit der globalen Perspektive für die religionspädagogische Aufgabenstellung und 2. Konsequenzen für die Grundaufgaben evangelischer Religionspädagogik im Gesamtkontext erzieherischer Bemühungen und gegenwärtiger religiöser Pluralität.

L. untermauert mit seinen Argumenten den dringenden Bedarf einer Evangelischen Religionspädagogik in interreligiöser Perspektive. Es sind die globalen Herausforderungen, die ernst zu nehmen sind. "Und weil die globalen Herausforderungen eng verknüpft sind mit der Sinnfrage, sind die großen Religionen als ,verantwortungsfähige Sinnsysteme’ besonders gefordert."(9)

Ebenso fordert er einen Beitrag Evangelischer Religionspädagogik zu einer zukunftsfähigen Pädagogik. Die Religionen sind für ihn ein "unerläßliches Inhaltsgebiet schulischer Pädagogik geworden" (13) und damit auch eine spezifische Herausforderung für evangelische Religionspädagogik.

Reichhaltiger "Nährboden" und Fundus für seine Ausführungen sind: "die geistige, geistliche und lebenspraktische Begegnung mit Menschen, die sich bemühen, ihren Glauben in unserer Zeit ernsthaft zu leben" (10). Das macht die Lebendigkeit seines Werkes aus, wenn er von diesen Begegnungen berichtet, seine Argumentation damit illustriert und begründet. So erzählt er von Manuli, einem Mädchen aus einem nordindischen Dorf, oder von seinem Briefwechsel mit dem 9jährigen Daniel, in dem theologische Fragen eines christlichen Jungen im Kontext eines atheistischen Bildungssystems thematisiert werden (154 ff.).

L. geht davon aus, daß in der interreligiösen Begegnung "das Evangelium" nicht an Eindeutigkeit verliert; "es wird vielmehr in seinem spezifischen Charakter viel deutlicher erkannt und ,auslegungsfähig’ für Menschen mit den unterschiedlichsten Lebenshintergründen" (38). Diese Aussage begründet und entfaltet er in vier größeren Schritten.

Ein ausführliches Kapitel beleuchtet die Geschichte evangelischer Religionspädagogik von ihren Voraussetzungen in der Antike, im Mittelalter und in der Reformationszeit bis zum problemorientierten Ansatz und seinen neueren Akzentuierungen in emanzipatorisch-ideologiekritischer oder therapeutischer Hinsicht. Es ist gut, daß hier, in knapper Form, auch die Entwicklung in England kontrastiv vorgestellt wird, da sie viele Anregungen für das Thema "Religionen" in Deutschland beinhaltet.

Im dritten Teil wird die Situation der Lernenden, ihre Erfahrungen, Erwartungen und Hoffnungen exemplarisch ausgeleuchtet und konkretisiert. Der Vf. gibt damit auch einen Überblick zum Stand der Forschung in diesem Bereich. Es kommen bereits Grundstrukturen und Voraussetzungen religiöser Lernwege in den Blick, die L. dann später genauer vorstellt und bestimmt.

Spannend ist seine Darstellung der spezifischen Grundlage evangelischer Religionspädagogik im vierten Kapitel, die als Dialog öffnend und Dialog fordernd gelesen werden kann. Zwei Schlüsselbegriffe stehen im Mittelpunkt:

Die "Zentralität der Jesusthematik" für evangelische Religionspädagogik und eine "entgrenzende ,Pädagogik des Evangeliums’". Beides lohnt sich, näher betrachtet zu werden, zieht sich doch die Forderung der "Entgrenzung" oder Grenzüberschreitung wie ein roter Faden durch das gesamte Buch. Deutlich wird es in der Charakterisierung von Jesu Reden (und Handeln), das "nie dogmatistisch (ist), nie statisch, sondern jedes Wort, jedes Gleichnis, jede Tat spiegelt eine echte Begegnung, ist ein dialogisches Geschehen und ein die Heilsbotschaft immer wieder in neue Bereiche hinein entgrenzendes Ereignis" (244). Das belegt L. überzeugend z. B. an den Jüngerberufungen oder den Gleichnissen. Es gelingt ihm damit, Maßstäbe des Evangeliums darzulegen, die Christen in die Begegnung mit Menschen anderen Glaubens einzubringen haben und die Grund legen für pädagogische Aufgaben, um die sich Gläubige in Judentum, Christentum und Islam gemeinsam bemühen können (Freude an der Schöpfung zu wecken, die guten Gaben dankbar wahrzunehmen, von denen wir leben, die eigenen Begabungen in Verantwortung für eine solidarische Gemeinschaft entwickeln [286]). Nur knapp wird auf die Theologie der Religionen hingewiesen, die sicherlich Impulse für die interreligiöse theologische Debatte liefern kann.

Das fünfte Kapitel stellt Beispiele und Grundsätze für die verschiedenen Schulstufen vor, wie die Religionen in ihren unterschiedlichen Aspekten z. B. als soziale Größen oder Gemeinschaftsformen behandelt werden können. L. kann dabei auf zahlreiche von ihm erstellte Studien zurückgreifen.

Abschließend geht es dem Vf. um die Bedeutung der Religionslehrer und Religionslehrerinnen für das "Lernen in der Begegnung" und Konsequenzen für ihre Qualifikationen.

Das umfangreiche Buch liest sich gut, weil es anschaulich geschrieben ist. Es verdient Beachtung in der Diskussion um religionspädagogische Bildung in der Pluralität und bietet auch den Schulpraktikern eine Fülle reichhaltiger Materialien. Es sollte zu einem Standardwerk in der Ausbildung werden.