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Ausgabe:

Januar/2018

Spalte:

54–57

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Wasserman, Tommy, Andersson, Greger, and David Willgren [Eds.]

Titel/Untertitel:

Studies in Isaiah. History, Theology, and Reception.

Verlag:

London u. a.: Bloomsbury T & T Clark 2017. XXII, 234 S. = The Library of Hebrew Bible/Old Testament Studies, 654. Geb. US$ 114,00. ISBN 978-0-567-66717-5.

Rezensent:

Torsten Uhlig

Die vorliegende Aufsatzsammlung geht auf die Konferenz »The Words of the Prophets, their meaning and history of reception« zurück, die vom 23. bis 25. April 2015 von der Örebro School of Theol­ogy veranstaltet wurde und bei der sich der Fokus auf das Jesajabuch und die kleinen Propheten richtete. Der zu besprechende Band enthält daraus einige Beiträge zum Jesajabuch. Obwohl diese äußerst unterschiedlich sind, sich weder einem gemeinsamen Thema oder methodischen Ansatz zuordnen lassen noch verschiedene Blickwinkel zu einer spezifischen kontroversen Debatte liefern, dürfte diese Aufsatzsammlung deshalb interessant sein, weil die darin enthaltenen Beiträge zu einem ganz erheblichen Teil über die Diskussion von Einzelfragen hinausgehend zentrale übergreifende Fragestellungen ansprechen.
Die Titel der Aufsätze lauten im Einzelnen: Hugh G. M. Williamson, The Theory of Josianic Edition of the First Part of the Book of Isaiah: A Critical Examination – Antti Laato, Understanding Zion Theology in the Book of Isaiah – Stefan Green, The Temple of God and Crises in Isaiah 65–66 and 1 Enoch – Hallvard Hagelia, Divine Election in the Book of Isaiah – David Willgren, Antwort Gottes: Isaiah 40–55 and the Transformation of Psalmody – Ola Wikander, From Indo-European Dragon-Slaying to Isaiah 27.1: A Study in the Longue Durée – Karl Olav Sandness, Paul, an Isaianic Prophet? – Lena-Sofia Tiemeyer, Vocalization and Interpretation in Isaiah 56–66: weyiqtol or wayyiqtol in Isaiah 63.1–6 as a Case of Early Jewish Interpretation – Knut Holter, Some Interpretive Experiences with Isaiah in Africa.
Nach der instruktiven Einleitung von Greger Andersson widerlegt Hugh Williamson die von Hermann Barth 1977 publizierte und seitdem weit rezipierte These einer im 7. Jh. v. Chr. hinzugefügten »Assur-Redaktion« (andere: »Josianische Redaktion«) innerhalb von Jes 1–39. Williamson richtet sein Hauptaugenmerk auf Jes 10,5–34, den Text, mit dem auch Barth in seiner Untersuchung einsetzt, und zeigt vor allem aufgrund der Abhängigkeit von Jes 10,18 von dem frühestens exilisch zu datierenden Text Jes 35,2, dass dieser Hauptpfeiler der Assur-Redaktion im 7. Jh. v. Chr. nicht tragen kann. Von dort ausgehend, problematisiert er dann auch die Zuweisung weiterer Texte zur Assur-Redaktion/josianischen Re­daktion (Jes 8,9–10; Jes 5,30; 10,1–4 sind vielmehr im Zuge exilischer Neuedition entstanden; 8,23b–9,6 ist jesajanisch; gegenüber der Zuweisung von Jes 10,33–11,9 zur josianischen Redaktion bei Jacques Vermeylen und Marvin Sweeney ist dieser Text ursprünglich jesajanisch, in exilischer Neuedition umgestaltet). Williamson spricht nicht nur einen zentralen Aspekt der Redaktionsgeschichte des Jesajabuches an, sondern profiliert auch seine Sicht der Redaktionsgeschichte des Jesajabuches und insistiert auf eine klare Beschreibung der Methode der Redaktionskritik und grenzt diese strikt von örtlichen Fortschreibungen ab, bietet damit also gleichzeitig einen wichtigen Beitrag zur Methodendiskussion.
Antti Laato diskutiert das Verhältnis von Jesaja und der Zion-Theologie. Ihm zufolge wurde der historische Prophet Jesaja von der bereits seit dem Tempelbau Salomos sich entwickelnden Zion-Theologie inspiriert und stand dem König Hiskia und seinen Unabhängigkeitsbestrebungen sehr kritisch gegenüber. Im Lichte der Erfahrungen von 701 v. Chr. wurden die Worte Jesajas als An­kündigung der Rettung vor Assyrien neu interpretiert, was wiederum grundlegende Auswirkungen auf die weitere Entwicklung der Zion-Theologie hatte. Sein Beitrag verdient Beachtung hinsichtlich der methodischen Fragen nach der Unterscheidung von Prophetenworten und deren weiterer Interpretation, seiner (auch andernorts publizierten) Re­konstruktion der Entwicklung des Jesajabuches und seiner Rekonstruktion der Geschichte der Zion-Tradition.
Stefan Green interpretiert die Tempelaussagen in Jes 65–66 als Ausdruck einer »Tempelkrise«, die als eine eigene Periode in der Entwicklung von der Prophetie zur Apokalyptik anzusehen ist, wodurch er die Periodisierung von John Collins ergänzt und eine zentrale Fragestellung in der Apokalyptikforschung berührt.
Hallvard Hagelia will das Thema der Erwählung im Jesajabuch nachzeichnen, was nach seiner Meinung bisher noch nicht ausführlich geschehen ist, und dabei nicht allein die Vorkommen von רחב »erwählen« diskutieren, sondern »the most important cases of divine election somehow reflected in the book of Isaiah« (71). Wenngleich damit ein wichtiges theologisches Thema aufgegriffen ist, kann die Umsetzung nicht überzeugen. In der Tat werden die verschiedenen Texte zur Erwählung von Abraham, David, dem Knecht, dem Volk Israel, dem Land Israel, Jerusalem, dem »Rest« und den Nicht-Israeliten »somehow« zusammengestellt. Aus der kursorischen Lektüre, in der nirgends deutlich wird, nach welchen methodischen Maßgaben auch Texte für die Thematik »Erwählung« herangezogen werden, in denen רחב »erwählen« nicht vorkommt, ergibt sich für Hagelia, dass Erwählung ein zentrales Thema auch im Jesajabuch ist, das verschieden ausgedrückt wird, von der jeweiligen Etappe der redaktionellen Stufen gefärbt ist und zur theologischen und literarischen Kohärenz des Buches beiträgt. Viel ergiebiger wäre es gewesen, einen Beispieltext herauszugreifen, um an diesem zu verdeutlichen, inwiefern von Erwählung auch dort gesprochen werden kann, wo die ausdrückliche Terminologie fehlt, um von da aus den Maßstab dafür zu entwickeln, wo auch in anderen Texten und Figuren von Erwählung gesprochen werden kann.
In seinem anregenden Beitrag zum Verhältnis von Jesajabuch und Psalmenbuch stellt David Willgren die Hypothese zur Debatte, inwiefern besonders Jes 40–55 ausschlaggebend war für den Wandel der Rezeption der Psalmen von einem Gebet des Menschen an Gott hin zum Wort Gottes an den Menschen und illustriert dies an dem Wechselverhältnis von Ps 89 und Jes 55,1–5. Anregend ist dieser Beitrag, da er im Kontrast zu den meisten gegenwärtigen redaktionsgeschichtlichen Arbeiten, die eine Neuinterpretation von Texten vor allem anhand von Fortschreibungen innerhalb dieser Texte nachzuweisen suchen (bei denen freilich auch weitere Texte als Horizont mit wahrgenommen werden), nach dem be­stimmenden Einfluss anderer Textkorpora für die Neuinterpretation eines Textes fragt. Damit stellt dieser Beitrag eine interessante Anfrage an eine gegenwärtig weit verbreitete Grundannahme dar, der zufolge Neuinterpretation unmittelbar mit Fortschreibung verbunden ist. In der Diskussion um das Verhältnis zwischen Psalmen und Jesaja wäre über das im Beitrag diskutierte Beispiel hinaus auf das vielfach beobachtete und untersuchte Wechselverhältnis von JHWH-Königs-Psalmen und Deuterojesaja hinzuweisen und – damit zusammenhängend – die besondere Nähe der Psalmbücher IV und V zu Deuterojesaja weiter auszuführen. Leider nur vorsichtig angedeutet ist die methodische Frage, unter der man das Verhältnis zwischen diesen Textkorpora untersucht. Hier könnte eine stärkere Wahrnehmung kommunikativen Handelns und der Performativität von Psalmen und Jesaja (besonders Deuterojesaja) weiterführen.
Ole Wikander’s Beitrag führt vor allem zu weiteren methodischen Fragen. Während für Jes 27,1 die Tötung des Meeresgottes Jamm durch Baal im sogenannten Baal-Zyklus aus Ugarit weitgehend übereinstimmend als Hintergrund angesehen wird, trägt Wikander die Hypothese vor, dass beide Texte Teil einer Motivgeschichte sind, die bis in den indo-europäischen Raum des Chalkolithikums bzw. der frühen Bronzezeit zurückreicht, die evtl. über die Hethiter und die Bewohner von Mitanni nach Kanaan gelangt sind. Für Wikander ergibt sich daraus, dass bei der Datierung von Texten nicht zuletzt durch die Kulturgrenzen überschreitenden Überlieferungsprozesse sehr unterschiedliche Methoden angewandt werden müssen.
Karl Olav Sandness diskutiert die Aufnahme von Jesajastellen in den Paulusbriefen, untermauert seine These, dass Paulus sein
Apostolat nicht nur als Erfüllung einiger prophetischer Ansagen verstanden hat, sondern als Umsetzung dessen, was in den Jesajastellen ausgesagt wird. Damit berührt dieser Aufsatz Fragen nach dem Schriftgebrauch des Neuen Testaments und des Verhältnisses von Jesaja und Paulus.
Die Bedeutung der Untersuchung verschiedener Textzeugen und ihres Verhältnisses zueinander für die Interpretation einer Perikope zeigt Lena-Sofia Tiemeyer anhand ihres Aufsatzes zu Jes 63,1–6 auf. Sie verweist auf die unterschiedlichen Lesarten der Verben in MT (Zukunft mit weyiqtol-Formen) und LXX (Vergangenheit), argumentiert für die Vergangenheit als ursprüngliche Lesart (Konsonantentext erlaubt auch Lesung als wayyiqtol–Formen als Vorlage für LXX) und vermutet, dass die sopherim zur Angleichung von Jes 63,1–6 an Jes 34,1–8 und 59,15b–20 die Verben in Zukunftsformen verändert haben. Damit lassen sich an diesem Vergleich die Interpretationsprozesse der sopherim nachzeichnen und Anhaltspunkte für deren Datierung ermitteln.
Knut Holter, der selbst viele Jahre in Afrika unterrichtet hat, führt schließlich anhand einiger Beispiele aus, wie das Jesajabuch in Afrika interpretiert und angewandt wird – sowohl in der Ge­meindearbeit als auch in wissenschaftlichen Kontexten. Holter leistet damit (einmal mehr) einen wichtigen Beitrag der Vermittlung zwischen den verschiedenen exegetischen Welten des Westens und Afrikas und regt zu weiterreichenden hermeneutischen Reflexionen über das Wechselverhältnis von Kontext und Auslegung an.
Eine Bibliographie der erwähnten Sekundärliteratur sowie hilfreiche Quellen-, Autoren- und Sachregister beschließen diese An­thologie aus unzusammenhängenden Aufsätzen, von denen je­doch mehrere weitreichende Konsequenzen für die Auslegung des Jesajabuches und dessen Verhältnis zu anderen Schriften bzw. Traditionen haben, weshalb sie durchaus den an der Jesajaexegese Interessierten zu empfehlen ist.