Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

Januar/2018

Spalte:

52–54

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Köhlmoos, Melanie

Titel/Untertitel:

Kohelet. Der Prediger Salomo.

Verlag:

Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2015. 253 S. = Das Alte Testament Deutsch. ATD – Neubearbeitungen, Neues Göttinger Bibelwerk, 16,5. Geb. EUR 45,00. ISBN 978-3-525-51215-9.

Rezensent:

Matthias Hopf

Der 2014 erschienene Band von Melanie Köhlmoos ersetzt den Kommentar von W. Zimmerli (19621, 19803) und bietet eine gelungene Mischung aus grundlegenden Informationen und exegetisch-wissenschaftlichem Diskurs, in welchen sich der Band luzide einzeichnet. An der erfreulich ausführlichen Einleitung (gut 50 Seiten) ist die Konzeption abzulesen. Die Einzelkommentierung, die sich durch äußerst feinfühlige textanalytische Beobachtungen auszeichnet (bspw. 77–89), kann nicht im Detail dargestellt werden, wird aber an geeigneter Stelle eingeflochten.
Das Kapitel zur »Auslegungs- und Wirkungsgeschichte« thematisiert zunächst die Frage der Kanonisierung (aufgrund der »Salomo-Fiktion«, s. u.), wobei die LXX-Fassung leider nur gestreift wird, skizziert die antike »Salomo-Literatur« als Hintergrund (17–21) sowie die jüdische und christliche Auslegungsgeschichte (21–24). Erhellend ist die kurze, aber eindrückliche Darstellung der Wirkungsgeschichte mit Beispielen aus bildender Kunst, Musik und Literatur (punktuell auch in der Kommentierung, z. B. 88).
Im Kapitel zu »Aufbau, Gliederung, Literarische[r] Gestaltung« wird als Kernmerkmal der textpragmatische Ansatz deutlich: K. gliedert primär nach dem formalen Kriterium der Sprechakte, d. h. anhand reflektierender »Meta-Texte« wie der als »Ich machte es zu meiner Lebensaufgabe« übersetzten Wendung »nāttati libbi« (29, sic). Demgegenüber haben Leitbegriffe/-motive nur unterstützenden Wert (28.30 f.). So wird eine Zweiteilung erzielt (28) in einen Rahmen in der 3. Person und ein Corpus von Ich-/Anreden (1,12–12,7; nochmals dreifach unterteilt: 1,12–4,16 Selbstbericht; 4,17–10,20 Reflexionen/Mahnungen; 11,1–12,7 Mahnungen). Gattungskritisch macht K. einen dreifachen Vorschlag: Sie weist Koh u. a. aufgrund der Überschrift ganz grundlegend dem Bereich »autoritative Texte« zu (31–33), was mit der bekannten These einer Nähe zu »Lebenslehren« bzw. genauer zum (ägyptischen) »Königstestament« (33 f.) korrespondiert, wofür sie als alttestamentliche Analogien 1Kön 2,1–9; Jos 23 f. und Dtn anführt. Durch den Rahmen sei das Buch aber auch »erzählte Rede« (35 f.).
Das hermeneutische Schlüsselelement ist die »Salomo-Fiktion«. Im gleichnamigen Kapitel bezieht K. diese auch von anderen vertretene These auf das gesamte Buch (45), da es selbst im hinteren Buchteil keine Gegensignale gebe, sich explizite Rückbezüge auf das »königliche Programm« bis 9,1 finden ließen und da selbst der erzählende Rahmen die Fiktion bekräftige (46). Diese gezielte Textstrategie entwerfe einen »alternativen Salomodiskurs« (42, in Anschluss an E. Otto,), der zum damals dominanten Salomobild nicht kompatibel sei – daher das Stilmittel der Fiktion (48 f.). Koh sei demnach »rewritten bible« und Salomo eine »re-used figure« (49). K. stellt wichtige Referenztexte (1Kön 1–11; 2Chr 1–9; Prov) in der Einleitung vor und rekurriert in der Kommentierung immer wieder auf diese, wobei der zentrale Bezugspunkt 1Kön 3,1–15 sei (42). Insgesamt entstehe so ein sehr positives, »kultkritisches« Salomobild, das sich auf Weisheit als durch Gottesfurcht geprägtes praktisches Wissen konzentriere (44–46). Selbst wenn die Argumentation nicht überall gleichermaßen zwingend ist (95 f. bspw. wirkt der Bezug auf 2Chr eher dünn), zeichnen diese intertextuellen Analysen ein plastisches Bild des Salomodiskurses – eine der Stärken des Bands.
Der Überblick zu »Themen und Theologie«, der (wie auch die Kommentierung) semantische Exkurse einschließt, behandelt folgende Aspekte: »Flüchtigkeit und Streben nach Wind« inkl. seines »Gegengewichts« Lebensfreude und Gemeinschaft (52); »Das Gute«, was als »Lebensfreude« bestimmt wird (55); und den »Sinn des Lebens: Geschick und Los«, worin Weisheit als die Einsicht in den Gabecharakter von allem und in das Todesgeschick beschrieben wird (56 f.). Der »Theologische Kern« von Koh sei 3,1–15, wonach Gott primär »Schöpfer des Menschen und seiner Erfahrungswirklichkeit« (58) ist, weswegen er als nicht personal und distanziert verstanden sei (58). Allerdings redet K. selbst von personaler Begegnung (112) und auch die Beschreibung des Kults als unpersonal überzeugt nur bedingt, da doch das Gebet (vgl. 5,1 und 146 f.) eine personale Beziehung voraussetzt. Ein Abschnitt zu »Gottesfurcht und Ethik« rundet das Kapitel ab.
Bzgl. der »Entstehung des Buches« wird zunächst die (historische) Figur Kohelets breit thematisiert. Das Buch offenbare »einen unverwechselbaren und individuellen Gestaltungswillen« (61), daher wagt sich K. an die Identifizierung eines historischen Autors, den sie konsequent als »Kohelet« bezeichnet. Dieser sei tendenziell als »›Deck‹- oder Funktionsname« zu verstehen, wenngleich eine Deutung als Eigenname nicht auszuschließen sei (62 f.). K. löst damit die Frage des Verhältnisses zwischen der »Maske« Koh und dem historischen Autor sehr linear zugunsten des Letzteren (vgl. bspw. die Ausführungen zum »autobiographischen« Charakter von 1,12–2,26 in 94). Vielleicht wäre es präziser gewesen, vom »impliziten Autor« zu sprechen. Im Verhältnis zur alttestamentlichen und außeralttestamentlichen Weisheit sei Koh sowohl Teil der Traditionslinie (vgl. u. a. Sprachformen, Empirik und didaktischer Impetus), gleichzeitig aber auch autoritativer Kritiker derselben, da er völlig eigenständig die Frage nach »Ordnungspartikeln« in der Welt stellt, ohne einen theologischen Gesamtentwurf zur Deutung des Weges JHWHs mit der Welt anzubieten (65–68). Außeralttestamentliche Weisheitstraditionen, die punktuell auch in der Kommentierung diskutiert werden (z. B. 86), verwende Koh ohne ausdrückliche Markierung derselben.
Die Literargeschichte beschreibt K. mithilfe eines Fortschreibungsmodells und will dabei »weniger inhaltliche Maßstäbe … als Beobachtungen zu Sprache und Stil« (72) anlegen, da Koh als inhaltlich stark kohärent wahrgenommen wird. Tatsächlich aber erfolgt die Identifizierung von Eintragungen durchaus auch aufgrund inhaltlicher Aspekte (z. B. 102 zu 3,9; 192 zu 8,6b), wodurch letztlich eine gelungene Zusammenschau verschiedener Argumente entsteht. Den textlichen Grundbestand (Mitte 3. Jh.) versteht K. als gezielte Alternativposition zu theokratisch-priesterlichen und prophetisch-eschatologischen Herrschaftsentwürfen (71). Koh propagiere ein »weltliches Herrscheramt in Weisheit« (71), wobei die nicht unerheblichen historisch-politischen Implikationen dessen etwas undeutlich bleiben. Die Argumentation zu der zugrunde liegenden Salomo-Fiktion überzeugt mal weniger (bspw. 162 ff. zu 6,10–7,14, der vielleicht doch eher anthropologisch zu lesen ist), mal aber auch mehr (vgl. 175 ff. zum wie ein »Fürstenspiegel« anmutenden Text 7,15–22). Vor dem Hintergrund der (bisweilen beißenden) Kritik Kohelets fragt es sich daher, ob wirklich eine konkrete salomonische Herrschervision entworfen wird oder nicht doch eher ein utopisches oder visionär-ideelles Bild von einem »weisen Herrscher«. Ähnliches klingt auch gegen Ende der Kommentierung an (vgl. 215.219). Die Salomo-Fiktion wäre dann nicht unbedingt Kritik an der Notwendigkeit von Herrschaft (vgl. 8,2), so aber doch an der konkret-historischen Herrschafts ausübung.
Die Fortschreibungen fallen nach K. in zwei Kategorien: Die Generation Z(wei) – wohl eine Anspielung auf die »Generation Y« – findet sich vor allem in der narrativen Rahmung (1,3–11; 12,1–8) und 11,9–12,8* sowie einigen kürzeren Eintragungen, die allesamt eine »Verstärkung der ›pessimistischen‹ Tendenz« (72) bewirken. Darüber hinaus gibt es spätere »punktuelle Einschreibungen«, die allerdings nicht als einheitliche Schicht charakterisiert werden. Etwas eigenwillig mutet hier an, dass die meisten Fortschreibungen als Petit gedruckt sind (Ausnahmen aber z. B. die Abschnitte zu 7,23–29; 8,16 f.), was eine geringere Relevanz suggeriert, auch weil über dem Ausweis der Diachronie bisweilen die Deutung des Textes etwas aus dem Fokus gerät.
In der Betrachtung des gesamten Bandes fällt auf, dass erfreulicherweise intensiv am Hebräischen gearbeitet wird. Schade ist allerdings, dass die (in ATD übliche) Transkription nicht immer ganz konsequent und präzise ist. Auch Typo- und Orthographie hätten einer gründlicheren Durchsicht bedurft – hier ist man vom Verlag eine höhere Qualität gewohnt. Es ist zu hoffen, dass der Band bei einer Neuauflage, die ihm zweifelsohne zu wünschen ist, gründlich durchgesehen wird.
Insgesamt ist der Kommentar ein Studienbuch im besten Sinn, da er in schöner Weise bekannte Forschungsergebnisse mit eigenen Beobachtungen und Erwägungen verbindet, dabei aber bspw. mit der durchgängigen Salomo-Fiktion eigene Akzente setzt. Insofern kann der Band in »unterschiedlicher Tiefenschärfe« rezipiert werden – je nach Bedarf im Theologiestudium, in kirchlicher Praxis oder der exegetischen Wissenschaft. Alles in allem eine Bereicherung der Kommentar-Landschaft zum Buch Kohelet.