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Ausgabe:

Januar/2018

Spalte:

39–41

Kategorie:

Bibelwissenschaft

Autor/Hrsg.:

Fisher, Jeff

Titel/Untertitel:

A Christoscopic Reading of Scripture: Johannes Oecolampadius on Hebrews.

Verlag:

Göttingen u. a.: Vandenhoeck & Ruprecht 2016. 268 S. m. Abb.u. Tab. = Refo500 Academic Series, 29. Geb. EUR 90,00. ISBN 978-3-525-55101-1.

Rezensent:

Martin H. Jung

Der Baseler Humanist und Reformator Johannes Oekolampad, geboren 1482 in Weinsberg, das da noch kurpfälzisch war, aber 1504 württembergisch wurde, gehört zu den bislang nicht besonders häufig und nicht besonders intensiv betrachteten Gestalten der Kirchen- und Theologiegeschichte. Weder in der Schweiz noch in Deutschland erschienen in jüngerer Zeit Studien zu seiner Theologie. In den Vereinigten Staaten von Amerika ist das jedoch anders, wo er als einer der Wegbereiter reformierter Theologie auf zunehmendes Interesse stößt. 2005 und 2008 beschäftigten sich Dissertationen mit ihm (Duke University, University of Durham), 2014 erschien in Milwaukee Oekolampads Genesisinterpretation in englischer Sprache und 2016 hat Jeff Fisher seine profunde Studie in englischer Sprache in einem deutschen Verlag publiziert. Sie beschäftigt sich mit der Auslegung des Hebräerbriefs, die Oekolampad 1529/30 als Vorlesung vorgetragen und 1534 als Buch publiziert hatte. Sein Interesse und zugleich das Ergebnis seiner Studie präsentiert F. im Titel seines Buches: die christozentrische Auslegung der Heiligen Schrift.
F. beginnt mit einer kurz gefassten Biographie Oekolampads sowie ersten Beobachtungen zu dessen Christozentrik. In einem zweiten Schritt ordnet er ihn in die Geschichte der Bibelinterpretation ein und gibt einen kurzen Überblick über diese Geschichte von den Anfängen bis zur Reformation. Hier findet sich, das biographische Kapitel ergänzend, ein sehr gut gelungener, auch durch hilfreiche Tabellen unterstützter, so zuvor noch nicht verfügbarer Überblick über Oekolampads Wirken als Schriftausleger (72–77). Drittens wird der Gedanke, dass die Schrift einen Skopus, ein Ziel und Zentrum hat, bei Oekolampad sowie den östlichen Kirchenvätern näher entfaltet und seine Weiterentwicklung nach Oekolampad beobachtet. Im letzten einleitenden Abschnitt untersucht F. den geschichtlichen Kontext von Oekolampads Hebräerauslegung und stellt Oekolampads Sicht der Einleitungsfragen (u. a. Autorschaft – Oekolampad hielt an Paulus fest) dar.
Im Hauptteil seiner Arbeit konzentriert sich F. auf drei zentrale Einzelthemen des Hebräerbriefs und ihre Auslegung durch den Baseler Reformator, nämlich die Überlegenheit Christi (Hebr 1,1–3,6), das Priesteramt Christi (Hebr 4,14–5,10; 6,13–8,6) und die Lehre vom neuen, besseren Bund (Hebr 8,7–10,18). Formal jeweils gleich untersucht F. zunächst die Auslegungstradition des jeweiligen Themas bei den Kirchenvätern und bei mittelalterlichen Theologen, betrachtet anschließend die Auslegung Oekolampads und stellt Gemeinsamkeiten und Unterschiede heraus und wendet sich in einem dritten Schritt, ebenfalls vergleichend, anderen Theologen der reformierten Tradition (Zwingli, Pellikan, Bullinger, Calvin) zu. Alle Ausführungen werden mit lateinischen Originalzitaten untermauert, die F. in den Anmerkungen untergebracht hat. Ein Schlusskapitel fasst jeweils die Ergebnisse zusammen und beleuchtet noch einmal das Spezifische, das Oekolampad zum jeweiligen Thema und zu seiner Entwicklung in der Theologiegeschichte beigetragen hat. Zu kurz kommen dabei allerdings durchgängig Luther und die Wittenberger Theologie. Eine theologiegeschichtliche Linie von Oekolampad über Zwingli und Bullinger zu Calvin ist eine – vielleicht der Notwendigkeit, sich begrenzen zu müssen, geschuldete – Engführung, die der Komplexität der theologiegeschichtlichen Entwicklung der Reformationszeit nicht gerecht wird. Selbstverständlich lasen Oekolampad und die Züricher Reformatoren, was in Wittenberg gedruckt wurde, und für die Reformation so zentrale Themen wie Hermeneutik und Christologie lassen sich nicht unter weitgehender Absehung von der Wittenberger Theologie entfalten. Und natürlich müsste dann auch noch Bucer mit seinem breiten Werk einbezogen werden.
Durchgängig zeigt sich, dass sich Oekolampad von der allegorischen Schriftauslegung entfernt und sich der Auslegung nach dem Wortsinn angenähert hat, ohne aber mit der allegorischen Auslegung völlig zu brechen; in diesem Zusammenhang bietet F. einen sehr instruktiven tabellarischen Überblick über die unterschiedlichen allegorischen Auslegungen der Institutionen des Alten Bundes in Hebr 9 (182 f.). Durchgängig zeigt sich auch, dass sich Oekolampad um eine christologische Auslegung der Schrift bemühte, die auch das Alte Testament umfasste. Und das beinahe wichtigste Ergebnis ist, dass sich schon bei Oekolampad die Wurzeln der für die spätere reformierte Tradition so wichtigen Föderaltheologie finden. Nebenbei ist interessant, dass Oekolampad in seiner exegetischen Arbeit auch jüdische Traditionen (z. B. David Kimchi) rezipierte. Auch an diesem Punkt bahnte sich bei ihm also bereits etwas an, was die Baseler Exegese im 17. Jh. dann prägen sollte (Buxtorf): die konstruktive Auseinandersetzung mit der rabbinischen Theologie.
F.s Arbeit beeindruckt durch profunde Quellenkenntnisse und durch eine klare und detaillierte Argumentation. Sie zeigt, dass Oekolampad ein hervorragender Gelehrter war, der unbedingt mehr Beachtung verdient hätte. Vor allem durch seine Kirchenvä-terkenntnisse zeichnete sich Oekolampad vor allen anderen Reformatoren aus.
F.s Arbeit war wohl schon fertig, als 2015 nach jahrelanger Verzögerung die kommentierte Edition des Protokolls der Badener Disputation von 1526 erschien (TVZ), bei der Oekolampad, Zwingli vertretend, neben Johann Eck die Hauptrolle spielte. F. streift dieses Ereignis in seiner einleitenden Biographie nur kurz (18), obwohl es Oekolampads wichtigster Auftritt als Reformator war. Interessant für F. wäre jedoch die Tatsache gewesen, dass auch bei dieser Disputation der Hebräerbrief einen hohen Stellenwert hatte und häufig zitiert wurde. Sicher wäre es weiterführend gewesen, Oekolampads Publikation des Jahres 1534 auch vor dem Hintergrund der konfessionellen Auseinandersetzungen des Jahres 1526 zu lesen und Oekolampads Argumentation bei der Disputation in die Darstellung seines Denkens und seiner Gedankenentwicklung einzubeziehen.
In einem alles übergreifenden Schlusskapitel, das sich eigentlich sogar als Zugang zur Buchlektüre empfiehlt, fasst F. nicht nur seine Ergebnisse noch einmal zusammen, sondern gibt auch einen Einblick in seine Motivation, sich ausgerechnet dieser Gestalt und diesem Thema zuzuwenden. Es geht ihm nicht nur um das Interesse, die Wurzeln der reformierten Theologie aufzuspüren und zu zeigen, dass sie hinter Bullinger und Zwingli zurück auf Oekolampad reichen, sondern auch um die aktuelle Frage nach der angemessenen Methode der Schriftauslegung. F. distanziert sich von der historisch-kritischen Exegese und postuliert eine theologi-sche, eine christozentrische Schriftauslegung, wie sie Oekolampad
praktiziert hat. Deshalb ist Oekolampad für F. höchst aktuell,
und er sieht ihn als direkten Vorläufer heutiger theologischer Schriftinterpretation, wie sie von Stephen Fowl, Daniel J. Treier und Kevin J. Vanhoozer praktiziert wird (233). Das wissenschaft-liche konvergiert hier mit persönlichen religiösen Interessen; F. ist Assistant Professor of Theological Studies at Kuyper College (Grand Rapids), und das College empfiehlt sich seinen Studierenden wie folgt:
»Your education […] will be grounded in our belief that the Bible is the Word of God and must guide our teaching, philosophy and lifestyle. Affirming that all people are made in the image of God to declare His glory, we integrate faith into all aspects of your experience – helping you to develop academically, spiritually, socially, and morally into a Christ-centered leader – ready to make a difference by effectively serving God’s world.« (Kupyer College: Making a Difference. URL: https://www.kuyper.edu/about-us/The-Kuyper-Difference/ [18.9.2017])
Diese fromme Programmatik durchzieht letztlich auch F.s sorgfältig gestaltete und mit einem Personen- und Sachregister ausgestattete theologiegeschichtliche Studie, aber ohne dass man sagen müsste, sie sei erkenntnisleitend.