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Ausgabe:

Dezember/1999

Spalte:

1279–1281

Kategorie:

Systematische Theologie: Ethik

Autor/Hrsg.:

Holderegger, Adrian [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Ökologische Ethik als Orientierungswissenschaft. Von der Illusion zur Realität

Verlag:

Freiburg/Schweiz: Universitätsverlag 1998. 243 S. gr.8 = Ethik und Politische Philosophie, 1. Kart. sFr 46,-. ISBN 3-7278-1132-3.

Rezensent:

Josef Römelt

Der Anspruch an die Ethik, in Sachen Ökologie als eindeutige und sichere Orientierung für verantwortliches Handeln im Blick auf die Stabilität der Biosphäre und eine nachhaltige Entwicklung zu fungieren, ja, die Aufwertung der Ethik angesichts der ökologischen Konflikte zur neuen Integrationswissenschaft (nach ihrer positivistischen Verabschiedung in den 60er und 70er Jahren), sind heute aufgrund der Pluralisierung der modernen Gesellschaften gerade und insbesondere in bezug auf die Wertfragen und Lebensstile einer eher nüchternen Einschätzung gewichen. Die Beiträge des vorliegenden Bandes suchen deshalb die orientierende Funktion der Ethik in bezug auf die Probleme der Umweltethik und -politik aus der Perspektive von fünf wissenschaftlichen Bereichen vorsichtig in den Blick zu bekommen.

Für den Bereich der Technik - einem der prägendsten Teilsysteme moderner Gesellschaften - beschreibt Klaus Kornwachs (Technisierung der Ethik? Technikphilosophische Einwände, 15-33) das grundlegende Dilemma ökologischer ethischer Reflexion: Moderne Gesellschaft vermag ihren Wertpluralismus in bezug auf die ökologische Krise zunehmend nur durch ein technisches Verhältnis zur Umwelt in einer zweiten Dimension zu lösen, indem auch die ethischen Herausforderungen der Erhaltung auf ökonomiestrategischen und umwelttechnischen Wegen gelöst werden sollen. Philosophische Ethik wird selbst zur nutzenorientierten Ethik der Überlebenstechnik. Optimistischer in bezug auf eine zwar auch auf utilitaristischen Ursprüngen aufruhende, aber einem Dienst an einem breiten kulturellen und gesellschaftlichen Konsens verpflichtete Möglichkeit ethischer Entscheidungsfindung innerhalb der modernen Gesellschaft ist die Darstellung der ethischen Methodik der "Wertbaumanalyse" durch Ortwin Renn (Die Wertbaumanalyse. Ein diskursives Verfahren zur Bildung und Begründung kollektiv verbindlicher Bewertungskriterien, 34-67).

Für den Bereich der Wirtschaft - analysiert Hans-Peter Balz das schwierige Dreiecksverhältnis Ökonomie - Ökologie - Ethik (Markt und Umwelt. Ethische Konfliktfelder ökonomischer Theorie und Praxis, 71-99). Ausgehend von der kulturell und historisch in der industriellen Zivilisation und ihren eigenen produktiven Mechanismen notwendigen Überwindung des physiokratischen Ansatzes der agrarischen Kultur (mit seiner zumindest theoretischen Würdigung der Natur als primäre Quelle wirtschaftlichen Mehrwertes) betont Peter die in der gegenwärtigen historischen Konstellation wieder neu zu leistende Anpassung der technischen Kultur an eine nachhaltige Bewirtschaftung natürlicher Ressourcen. Der Faktor "Zeit", der unökologische Handlungsweisen zu externen Effekten verwandelt, die Schwierigkeit, langfristige, prognostisch wahrgenommene Gefährdungen in das auf kurzfristige, operationalisierbare Gewinnstrategien abzielende Marktgeschehen einzubeziehen, die durch die gegenwärtige Globalisierung fortschreitende Deregulierung nationaler sozialökonomischer Balancen machen es schwer, ethische Ziele eines umweltbewußten Verhaltens in die "Wirtschaftskultur" einzutragen. Peter betont die notwendige strukturpolitische Umsetzung umweltethischer Ziele, ohne die eine ethische Aufforderung reine Gesinnungsethik bleibt und ins bloße Moralisieren abgleitet. In ähnlicher Perspektive, allerdings mit einer sehr viel schärferer Kritik an gegenwärtigen neoliberalistischen Tendenzen, fordert Peter Ulrich in diesem Sinne eine Unternehmensethik (Nachhaltiges Wirtschaften und Unternehmensethik. Ein sozialökologischer Ansatz, 100-116), die den Vorrang moralischer Prinzipien (Grundsätze im Rang von Menschenrechtsdeklarationen, die auf die ökologischen Bedingungen würdigen Lebens zielen) vor reinen Marktstrategien anerkennt.

Der den Fragen der Beziehung zwischen Recht und Umweltschutz gewidmete Beitrag von Michael Walter Hebeisen (Umweltschutz als Staatsaufgabe und als Gegenstand der Rechtspolitik. Beitrag zur Beurteilung einer Verbürgung ökologischer Postulate in der Verfassung und in der Rechtsordnung, 119-165) benennt das Paradox, daß die notwendige bewußtseinsschaffende Funktion des Rechts um so unwirksamer bleibt, je mehr Verfassungstexte in ihren Formulierungen ökologischer Anliegen abstrakt bleiben. Erst in der Annahme der Herausforderung einer grundlegenden Revision demokratietheoretischer Strukturen, die die historischen Aufgaben des Rechtsstaates über den Ordnungsstaat (Sicherung der gleichberechtigten Partizipation) und den Leistungsstaat (Sicherung der sozialen Solidarität) hinaus zum Umweltgestaltungsstaat annimmt, vermag eine sachgerechte und effektive rechtstheoretische Antwort gegeben zu werden. Es geht - gerade um eine falsche moralische Instrumentalisierung des Rechts zu vermeiden - darum, die grundsätzliche Rechtsstaatlichkeit der Demokratie zu wahren (gegen jede Versuchung einer Ökodiktatur), aber die bloße Verfahrensgerechtigkeit und Interessenvergleichung als grundlegende Prinzipien auf ein Freiheitsverständnis hin zu erweitern, in dem die knappen Ressourcen der Umwelt nun durch rechtliche Strukturierung einander begrenzender Freiheiten gerecht verteilt werden.

In einer eher knappen Referenz an die Biowissenschaften bemüht sich Eve-Marie Engels (Evolutionäre Ethik und Umweltmoral, 169-191) um eine differenzierte Analyse der Ideen Darwins und der modernen Soziobiologie (Hamilton, Trivers) und zeigt, daß "Evolutionäre Ethik" als "Anwendung evolutionstheoretischer Überlegungen auf Fragen der Ethik" verstanden werden können (171).

Zwei theologische Beiträge runden die interdisziplinäre Betrachtung des Bandes ab. Johannes Fischer (Der Beitrag der Theologie zur ökologischen Ethik, 195-212) plädiert - gerade um eines spezifischen Beitrags der Theologie willen - für eine kommunikationstheoretische Unterscheidung zwischen den Sprachspielen, in der die Theologie mit ihrer hymnischen und deutenden Form Natur und Mensch als frei gewährtes Dasein zu verstehen gibt, das alle empirisch-beschreibenden (Naturwissenschaft) und diskursiv-normativen (ökologische Ethik) Verhältnisbestimmungen der Organismen in der Natur und zwischen Natur und Mensch umgreift.

Mit dieser Charakterisierung korrespondiert das Ergebnis des überaus differenzierten letzten Beitrags von Wilfried Lochbühler (Führt uns das Christentum in die Umweltkrise? Theologische Stellungnahmen zu einer umstrittenen geistesgeschichtlichen These, 213-241), der in bezug auf den globalen Schuldvorwurf an das Christentum als Verursacher ökologischer Destabilisierung die zahlreichen Brüche zwischen dem biblischen Menschen- und Schöpfungsverständnis und dem modernen technisch-rational dominierten Naturverhältnis anhand der Untersuchungen zahlreicher Autoren (Befürworter und Gegner des Vorwurfs) festhält. Im Licht dieser geistesgeschichtlichen und kulturellen Entwicklungen erscheint das Christentum eher als kulturelle Kraft, die das aggressive Vordringen menschlicher Spezies im Umfeld der ökologischen Balancen durch eine differenzierte Balance zwischen Gottes-, Natur- und Menschenverständnis sowie menschlicher Vernunft (vgl. besonders die mittelalterliche Synthese) mäßigen konnte, bis mit dem Durchbruch neuzeitlicher Rationalismen und Säkularismen das berechnende Verhältnis des Menschen zur Natur in Ausbeutung umschlägt.