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Ausgabe:

Dezember/2017

Spalte:

1418–1419

Kategorie:

Ökumenik, Konfessionskunde

Autor/Hrsg.:

Vondey, Wolfgang

Titel/Untertitel:

Beyond Pentecostalism. The Crisis of Global Christianity and the Renewal of the Theological Agenda.

Verlag:

Grand Rapids-Cambridge: Eerdmans 2010. XIII, 267 S. = Pentecostal Manifestos. Kart. US$ 32,00. ISBN 978-0-8028-6401-7.

Rezensent:

Linus Hauser

Charismatische pfingstlerisch orientierte Kirchen gehören mittlerweile zu den prosperierenden Global Playern des Christentums. Wolfgang Vondey versucht eine dem charismatischen Pentekostalismus entsprechende und intellektuell akzeptable Theologie zu entwickeln. In diesem Zusammenhang steht auch dieses Buch (2).
Er geht von einer globalen Krise des Christentums (3) und weiterhin mit Emil Brunner von der Voraussetzung aus, dass das Chris­tentum der Neuzeit in der Moderne auch vor einem Wendepunkt stehe. Zugleich sind Krisen für ihn Entwicklungschancen. Der Pentekostalismus ist für ihn entsprechend Indikator dieser Krise und damit auch eine Chance. Im Anschluss an die Paradigmentheorie von Thomas S. Kuhn sieht er hier das Heraufdämmern eines neuen theologischen bzw. kirchlichen Paradigmas. Methodisch gilt für V. dabei der an den Ressourcen orientierte Blick auf das Phänomen. Seine Leitfragen sind: Was bringt das pentekostale Erleben von Christentum, wenn man dessen kontingente Entstehungsbedingungen nicht als wesentlich ansieht, wenn man darüber hinaus nicht jeweilige kirchliche Konkurrenz im Kontakt mit anderen christlichen Kirchen assoziiert, wenn man eine Theologie des Heiligen Geistes fundamental mit einbezieht und wenn man weiterhin davon ausgeht, dass das pentekostale Element des Erlebens kein »limited religious phenomenon« (7) darstellt. Aus diesem Grunde lautet der Titel seines Buches auch »Beyond (!) Pentecostalism«.
Seinen Entwurf eines pfingstlich übergriffenen theologischen An­satzes will er im Folgenden im Blick auf die Auslegung der Heiligen Schrift, der Frage nach dem Umgang mit Glaubenslehren, den pneumatologischen Implikationen für die Liturgie und das Kirchenbild im Zusammenhang der Erörterung der Grenzen von Orthodoxie-Kriterien und im Zusammenhang unserer Moderne explizieren.
Mit einem weiten Blick nimmt der Autor Bezug auf Platon und die seiner Meinung nach abendländische Engführung auf das Vernunftkriterium im Hinblick auf die Möglichkeit zu wahrer Erkenntnis der Gründe unserer Wirklichkeit und die daraus folgenden Auswirkungen auf die abendländische Theologie. Bildhaftes Erkennen und Sprechen wird auf diese Weise am Anfang der abendländischen Geistesgeschichte zu einem eher effizienten Mo­dus des Erkennens. Der für ihn dann wichtige deutsche Idealismus ist seiner Meinung nach eine der wesentlichen Aufbruchsbewegungen hin zu einer adäquateren Beurteilung bildhaften Erkennens. »The imagination is transcendental by being a creative incentive of the human intellect that produces objectivity and thereby represents all objects of possible experience.« (23) Gegen eine derartige wirklichkeitsgerechte Vorstellung von Vernunft und Imagination wehrt sich allerdings die Postmoderne und bringt die Krise der Vernunft so zu einer Art Höhepunkt (»at the heart of a full-blown crisis«, 24).
Der klassische pfingstlerische Standpunkt entsteht als Opposition zu einer derartigen Entkräftung des Bildhaften am Anfang des 20. Jh.s (26, 31). In der Folge werden im Neuen Testament verbindliche – eine Taufe im Geiste ermöglichende (32) – Bilder und nicht nur Lehren des Glaubens gesucht und gefunden. Im freien aber auch verbindlichen »Play of Imagination« (40) ereignet sich Überraschendes und Befreiendes. Dabei geht es dann um eine Übung in offenbarungstheologischer, biblischer und kirchlicher »Improvisation« (44).
Gegen eine Auflösung der biblischen Theologie in historisch-kritische Exegese (etwa 52), aber auch gegen eine gleichsam (wie ich sagen möchte) algorithmische Interpretation – wie bei einem einfachen Abzählverfahren von 1,2, 3 … – der aktuellen bzw. persönlichen Bedeutung der Bibel als bruchlose Erlebniskontinuität zur biblischen Welt (»this-is-that hermeneutic«, 59) in der älteren pfingstlerischen Bewegung stellt er die jeweils aktualisierende Wirkmächtigkeit des gesprochenen Wortes (70). Damit eröffnet sich neben der Theologie des Geistes auch der Bezug auf die spezifische Kirchlichkeit dieser Bewegung. Unter Bezug auf Rickie D. Moore führt der Autor den Terminus »revelatory synergism« (71) ein. Im Folgenden werden dann (etwa 81) ekklesiologische Dimensionen dieser performativen Wort-Gottes-Theologie expliziert. Liturgische Reflexionen werden im Kontext der Erinnerung an Ursprungssituationen pneumatischen Erlebens eingeleitet (etwa afrikanische Wurzeln, 120 f., oder »Camp Meeting Roots«, 122 f.) und auf dieser Basis eine Theologie liturgischen (nicht unverbindlichen) Spiels entworfen (132 ff.). Ein Kapitel über die Bedeutung einer pfingstlerischen Theologie im Zusammenhang der Kultur der Moderne beschließt das Buch.
Eine kritische Anmerkung: Erkenntnistheoretisch problematisch wird es, wenn im Grundlagenteil die (mit Kant gesprochen) »transzendentale Einbildungskraft« im (ebenfalls mit Kant gesprochen) »überfliegenden Ge­brauch« in den Zusammenhang einer Metaphysik des transzendenten Absoluten gestellt wird, ohne die – philosophisch notwendige – Voraussetzung zu thematisieren, dass diese Interpretation des spezifischen transzendenten Wirklichkeitsbezuges transzendentaler – innerweltliche (!) Objektivität schaffender – Subjektivität eben eine Interpretation derselben unter anderen genauso legitimen Interpretationen ist. Die christliche Theologie kann sich nicht außerhalb des anthropologisch grundgelegten erkenntniskritischen transzendental-anthropologischen Rahmens stellen. Die zentrale Passage V.s sei hier ausführlich zitiert:
»As an active link between the realms of human and divine existence, the pneumatological imagination overcomes its ›transcendental‹ prison in the inner self and becomes the playground for sanctification, contemplation, and praxis. Theology as play of the imagination escapes Feuerbach’s fundamental critique of religion by placing the imagination in a pneumato-lo-gical dimension of a historical, dialogical, and diasporic community. As a pneumatological act, the imagination can project itself beyond human exis­tence, doctrine, and praxis …« (45 f.).
Feuerbachs Projektions- und Idealisierungshypothese wird durch diese Argumentation nicht widerlegt. Nur dann, wenn man davon ausgeht, dass Theologie bewusst den Glaubensstandpunkt explizit als Interpretation anthropologischer Grundbestimmtheiten verwendet und in dieser fundamentalen Hinsicht keinen höheren Wissensgewinn hat als andere weltanschauliche Standpunkte (so­fern diese auf dem vergleichbaren philosophischen Level – etwa der Transzendentalphilosophie – ihre Basis haben), kann man dem feuerbachschen Problem entgehen. Dann kann man nämlich nachweisen, dass auch ein atheistischer Standpunkt in Bildern über die radikale Fraglichkeit unseres Lebens reden muss und sich dieser Bildhaftigkeit bewusst sein muss. Ein wenn auch biblisch orientierter und kollektiv fundierter pneumatologischer Akt setzt nicht übergreifende transzendente Objektivität.
Das Buch eignet sich gut dazu, aktuelle Stärken pfingstlerischen theologischen Denkens und zugleich dessen Grenzen auszuloten.