Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

Dezember/2017

Spalte:

1412–1414

Kategorie:

Ökumenik, Konfessionskunde

Autor/Hrsg.:

Michal, Benedikt J.

Titel/Untertitel:

Die Kirche als »Mysterium«. Eine analytische und synthetische Lektüre des Zweiten Vatikanischen Konzils.

Verlag:

St. Ottilien: EOS Verlag 2016. 444 S. = Münchener Theologische Studien. Systematische Abteilung, 76. Geb. EUR 48,00. ISBN 978-3-8306-7799-4.

Rezensent:

Bruno Hünerfeld

Die hier zu besprechende Dissertation von Benedikt J. Michal wurde an der Katholisch-Theologischen Fakultät Wien vorgelegt, von Bertram Stubenrauch (seit 2006 von Wien nach München gewechselt) betreut und im Wintersemester 2012/2013 angenommen. Die Arbeit, die sich ganz im Rahmen katholischer Ekklesiologien be­wegt, möchte eine Lücke in der Rezeption der Kirchenkonstitution des 2. Vatikanischen Konzils Lumen gentium (LG) schließen und die in der Überschrift des ersten Kapitels von LG gewählte Formulierung »Myste-rium der Kirche« in ihrer Tiefe und Eigenständigkeit – gerade gegenüber dem Sakramentsbegriff – darstellen und als zukunftsweisend vorstellen. »Mysterium der Kirche« könne – so Anliegen der Arbeit – die teils widersprüchlichen Begriffe und Bilder katholischer Ekklesiologie in sich aufnehmen und über sich hinausweisen.
M. nennt seine Arbeit in der Unterschrift »Eine analytische und synthetische Lektüre des Zweiten Vatikanischen Konzils«. Tatsächlich sind die ersten beiden von vier Kapiteln »analytisch«. M. be­ginnt mit dem 1. Vatikanischen Konzil. Er stellt heraus, dass dort in Dei filius »Mysteria« in ihrer erkenntnistheoretischen (Geheimnisse sind, wenn auch nicht unvernünftig, gegen den Semirationalismus nicht aus der Vernunft ableitbar) und eschatologischen Dimension be­schrieben werden (30 ff.). Während die Schultheologie neuscholastischer Prägung keinen Fortschritt bringt (46), erkennt Rahner die personale Dimension der Nähe Gottes im »Mysterium«, ohne aber nach M. die ekklesiologische Dimension zu erfassen (52), weil er den Begriff »Sakrament« verwendet. Wirkliche Fundgrube für die Bedeutungs klärung von »Mysterium« ist für M. die Mysterientheologie Odo Casels und der liturgischen Bewegung. Hier wird das »Mysterium« Christi als umfassend erfahrbare und lebendige Wirklichkeit be­schrieben, die durch den Geist Gottes die Menschen zur Koinonia und zur Kirche formt. Das Paschamysterium ist offenbartes Glaubensmysterium und vollzogene Feier (70 ff.). Hier greift M. auch das Bild des hochzeitlichen Mysteriums für die Kirche auf, das für seine weitere Überlegungen zentral wird (80 ff.).
Das zweite Kapitel möchte das »Mysterium« in LG untersuchen. Trotzdem folgt im Unterkapitel – nicht ganz kohärent zur Überschrift – eine Untersuchung über den Wortgebrauch in allen Konzilstexten, woraufhin dann eine Untersuchung ausschließlich des ersten Kapitels und seiner acht Artikel von LG erfolgt. Die Wortanalyse begründet für M. eine im Weiteren entscheidende Denkform: »Das Mysterium der Kirche zeigt sich […] in einer Zwei-Einheit«, die unterschiedliche, ja auch widersprüchliche Realitäten miteinander vereint, es führt Geschöpfliches und Göttliches zu einer komplexen Einheit zusammen (181). Auch wenn das 2. Vatikanische Konzil auf keine systematische Lehre von den »Mysteria« zurückgreifen kann (322), so möchte M. zeigen, dass »Mysterium« umfassender als der Begriff »Sakrament« ist. Kirche ist mehr als Sakrament im Sinne des Heilsplanes. Er kann hierbei vor allem auf W. Kasper zurückgreifen, der den Begriff »Mysterium-Sacramentum« prägte, und auch auf L. Boff, der eschatologisch ( mysterium) und auf die Gegenwart bezogen (sacramentum) unterscheidet (342 f.). Im Rückgriff auf die Theologie Nouvelle ist das »Mysterium der Kirche« Brennpunkt aller Mysterien. Diese zusammenführende und synthetische Kraft des Mysteriums, welche wesentlich in seiner theandrischen (gott-menschlichen) Struktur begründet ist, stellt M. in einer eigenen Graphik dar (326), die das »Mysterium (der Kirche)« in seiner erkenntnistheoretischen, soteriologischen und liturgischen Einheit aufzeigt. Hundert Bausteine einer konziliaren Ekklesiologie aus LG, die M. aufführt, sollen die Komplexität des Mysteriumsbegriffs unterstreichen. Es soll deutlich werden, dass eine zu stärkende Pneumatologie auszuarbeiten ist wie auch die biblischen gebrauchten Bilder noch unvollständig sind. Beides möchte M. in den beiden Folgekapiteln leisten.
Das dritte Kapitel ist wie ein Einschub, in dem M. hermeneutisch, ontologisch und anthropologisch sein Vorgehen untermauert. Im Blick auf die Hermeneutik wird der von M. favorisierte synthetische Grundansatz deutlich, den gerade das Mysterium leistet. Die Synthese widersprüchlicher Aussagen führt gerade zum Er­kenntnisgewinn (347). Die ontologische wie auch die anthropolo-gische Klärung führt für M. zu einer existenziellen Weitung des Mysteriumsbegriffs, deren biblischen Ausdruck er in der Frage Jesu an Petrus: »Liebst du mich?« (Joh 21,16) findet.
Im letzten, vierten Kapitel möchte M. das »Mysterium der Kirche« als ekklesiologischen »Überbegriff« (384) bzw. als Wesensstruktur der Kirche vorstellen, durch die der Einzelne in die gött-liche Wahrheit hineingenommen werde (386 f.) und die verschie-denen ekklesiologischen Bilder in einer Struktur der Einheit verbunden seien. Die Stärkung der Pneumatologie ist für M. nur akzeptabel, wenn sich die Pneumatologie der Christologie unterordnet. Der Heilige Geist übernimmt hier für das Gottesvolk die Funktion des »Brautführers« (400). Das Bild des Volkes Gottes er­gänzt M. hier mit dem des Tempels und das Bild vom Leib Christi mit dem der Kirche als Ehemysterium (405 ff.). Als Summe wird das Bild der Jakobsleiter vorgestellt, weil sie alle Dimensionen des Mys­teriums aufnimmt und somit als biblisches Bild für die Kirche als Mysterium stehen kann (421 ff.).
M. hat zweifelsohne in einer großen Fleißarbeit das vom Konzil wieder aufgegriffene Verständnis von der »Kirche als Mysterium« als eine zentrale Verständniskategorie herausgearbeitet. Hier liegt womöglich ein wegweisender Charakter, der die Versuche – seit der berühmten Bischofssynode 1985 –, die Kirche wesentlich aus dem Communio-Begriff zu verstehen, aus einer gewissen Starre befreien kann. Dabei ist M. vollkommen der zur Communio-Ekklesiologie gehörigen eucharistischen Ekklesiologie Ratzingers verpflichtet: Die Kirche nehme im Abendmahlssaal ihren Anfang (102), das Volk-Gottes-Verständnis sei dem Bild vom Leib Christi untergeordnet (391), ein gewisser Christomonismus, den er gegenüber H. Pottmeyer verteidigt (393).
Dies lässt aber fragen, inwieweit M.s Arbeit auch für einen wissenschaftlichen Diskus gut gewappnet ist. Eine diesbezügliche Gefährdung mag in der Sache selbst begründet sein: Das »Mysterium« ist nur im Glauben zugänglich (105). Hinzu kommt, dass M. auch »meditierend und intuitiv« (400) versucht, einzelne Themata – wie hier die ekklesiologische Bilderwelt – dem Leser zu erschließen. Dabei ist sein Schriftzugang offenkundig von der kanonischen Exegese bestimmt (vgl. z. B. 409). In diesen Stil M.s passt auch sein Ansatz, das »Mysterium« dialektisch zu fassen. Da dies für M.s Ar­beit zentral ist, wäre hier wissenschaftstheoretische Klärung hilfreich gewesen. Doch eine Nennung von Cusanus oder Hegel findet nicht statt, nicht einmal dort, wo M. auf die dreifache Wortbedeutung von »auf-heben« – einem klassischen Diktum Hegels – eingeht (386 f.). Dies wäre tatsächlich zu bedenken gewesen, da ja nicht zuletzt im wissenschaftstheoretischen Diskurs die Frage bleibt, inwieweit die dialektische Methode einen legitimen Wirklichkeitszugang ermöglicht.
So bleiben diese wissenschaftstheoretischen Fragen bei M.s Dissertation. Und doch kann diese Arbeit einen Anreiz bieten, Engführungen römisch-katholischer Ekklesiologien wieder zu weiten und widerstreitende ekklesiologische Bilder in ihrer gegenseitigen Er­gänzungsbedürftigkeit anzuerkennen.