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Ausgabe:

Dezember/2017

Spalte:

1410–1412

Kategorie:

Ökumenik, Konfessionskunde

Autor/Hrsg.:

Haustein, Jörg, u. Giovanni Maltese [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Handbuch pfingstliche und charismatische Theologie.

Verlag:

Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2014. 563 S. m. 1 Abb. u. 1 Tab. Geb. EUR 90,00. ISBN 978-3-525-52201-1.

Rezensent:

Dirk Puder

»Pfingstliche Theologie ist den Kinderschuhen entwachsen.« Mit diesem Bild lässt sich eine noch relativ kleine, aber wachsende Gruppe von pfingstlichen Theologen und Theologinnen bezeichnen, die in ihrer Agenda drei Schwerpunkte setzen: 1. die vielfältige und global aufgestellte pentekostale Religionsformation in sich theologisch sprachfähiger zu machen, 2. den Anschluss an die akademische Theologie der Mainstreamkirchen anzustreben und 3. den weltweiten theologischen Diskurs mit pentekostalen Impulsen voranzubringen. In der deutschsprachigen Theologie werden diese Entwürfe bisher nur am Rande wahrgenommen. Dabei gibt es mittlerweile einige Forschungsschwerpunkte und Vernetzungen, die dem erfolgreich entgegenwirken wollen, pars pro toto: das Forschungsnetz GloPent, dem sich auch die beiden Herausgeber des Handbuches verpflichtet wissen.
Mit diesem Handbuch leisten Jörg Haustein und Giovanni Maltese einen wichtigen Beitrag, diesem Wahrnehmungsmangel abzuhelfen. In den sieben Abschnitten »Exegese und Hermeneutik«, »Ge­schichte und Identität«, »Pneumatologie und Soteriologie«, »Geist­erfahrung und Glossolalie«, »Ethik und Gerechtigkeit«, »Ekklesio-logie und Ökumene«, »Mission, Eschatologie und interreligiöser Dialog« werden mit jeweils zwei bis drei Aufsätzen einerseits die klassischen theologischen Lehrfelder bedacht, andererseits heute theologisch drängende Themen angerissen: Hermeneutik, Identität, soziale Ge­rechtigkeit, interreligiöser Dialog. Die pfingstlich-pneumatologische Orientierung hierzu entfaltet sich dann in den Aufsätzen der namhaften Autoren. Hier seien ausschnittartig Allan H. Anderson, Amos Yong und Veli-Matti Kärkkäinen genannt.
Ein Handbuch ist in der Auswahl der Themen und Autoren beschränkt, der Rezensent vermisst jedoch, mit Bergunder in seinem Vorwort, theologische Stimmen aus dem afrikanischen, asiatischen, lateinamerikanischen Denkraum, obwohl viele Autoren in ihrer Person auch dortige Erfahrungen widerspiegeln und verarbeiten. Yong und Kärkkäinen können Asiatisches mitbedenken, Allan H. Anderson lebte lange Zeit in Südafrika. Die pentekostale Blickweise auf die Naturwissenschaften und ihre epistemischen und hermeneutischen Grundannahmen kommen ebenfalls nicht ausdrücklich zum Zuge, obwohl dies ein Hauptthema einiger beitragender Autoren ist (Kärkkäinnen, Yong). Die in der Vogelperspektive sich weit erstreckende Themenlandschaft wird dann deutlich dadurch vertieft, dass die Autorenbeiträge zwar deutsch übersetzt, aber mit ihren Anmerkungen und Fußnoten aus dem Originalzusammenhang wiedergegeben werden. Das ermöglicht den Lesenden, die einzelnen Gedankengänge ausführlicher zu verfolgen, einzuordnen und ihnen nachzugehen. Dadurch wird das Handbuch eine wertvolle Forschungs- und Lehrressource. Diese Intention wird noch durch weitere Zugaben verstärkt: Kurze biographische Autorenporträts und eine ausführliche zusätzliche Bibliographie zu den sieben thematischen Abschnitten ermöglichen Verortung und Recherche. Den größten Stellenwert hat aber, neben den Aufsätzen, das von den Herausgebern verfasste Vorwort, welches sich über fünfzig Seiten erstreckt und selbst ein kleines Lehrhandbuch sein könnte. Hier werden die großen Linien des theologisch-pentekostalen Diskurses aufgezeigt und die Auswahl der paradigmatischen Aufsätze begründet.
Beispiel: Für »Exegese und Hermeneutik« wird dargelegt, dass sich die pfingstliche Exegese mit wenigen Ausnahmen um das lukanische Doppelwerk im Neuen Testament dreht. Die exegetische Be­schäftigung damit begann durch kritische Anfragen an die pfingstliche Sichtweise auf die Texte und die dort verankerten An­nahmen zur Wirkung des Heiligen Geistes, namentlich durch Dale Bruner und James D. G. Dunn. Da aber die »Taufe mit dem Heiligen Geist« ein Kernstück pentekostaler Erfahrung ist, wurde hierdurch eine Welle apologetisch-sachlicher Studien zur neutestamentlichen Verankerung des pfingstlichen ordo salutis ausgelöst und eine rege De­batte geführt, die bis zum 40-jährigen Jubiläum von Dunns Buch 2010 dauerte und noch nicht abgeschlossen ist. Stellvertretend für den Diskurs wird im Buch der Aufsatz von Max Turner abgedruckt, der diese Diskussion illustriert und weiterführt. Natürlich sind mittlerweile neue Themenkreise hinzugekommen, aber die Herausgeber sehen diese Debatte als »beispielhaft für die Art und In-tensität […] mit der pfingstliche Theologen die in ihrer Tradition gewachsenen Positionen im Gespräch mit der historisch-kritischen Exegese begründet, verteidigt und präzisiert haben.« (21)
Ein zweiter neutestamentlicher Diskursschwerpunkt dreht sich um die aus der Geisttaufe herauswachsende »Zungenrede«, anhand derer die Herausgeber den pfingstlich-hermeneutischen Umgang mit der historisch-kritischen Methode darlegen. Hier wird dann auch deutlich, wo nach ihrer Meinung die Scheidelinie zwischen Pfingstlern und Evangelikalen liegt. Pfingstliche Hermeneutik geht von einer pneumatischen Präsenz des biblischen Zeugnisses in der Gegenwart aus. Diese »geistgewirkte Unmittelbarkeit« in der Gottesbegegnung durch den biblischen Text macht Raum für Neues. Daraus entwickelte sich eine Debatte um hermeneutische Grundlagen pfingstlicher Erfahrungen, die in den 1980er Jahren begann und auch Auseinandersetzungen mit postmodernen Denkfiguren enthält. Sie hat sich mittlerweile aus der Frage nach dem biblischen Verständnis gelöst und zielt auf einen viel grundsätzlicheren Zugang zur Wirklichkeit, die zum Beispiel »bei Amos Yong grundsätzlich als geistgewirkt verstanden wird, und damit auf die Bedingungen der Möglichkeit theologischer Erkenntnis überhaupt« (25).
Eine, nicht nur im pentekostal-reformatorischen Dialog, im­mer wieder auftauchende Kernfrage ist die nach der sich im ordo salutis darstellenden Rechtfertigungslehre. Dieser extrem verdichtete Begriff, der in der pentekostalen Religionsformation mit dem »fourfold Gospel« umschrieben wird (Jesus our Savior, Sanctifier, Healer, Coming King), fällt im Handbuch unter den dritten Ab­schnitt »Pneumatologie und Soteriologie«. Dies ist insofern kennzeichnend, als die meisten pfingstlichen Theologen das Wirken des Geistes robust trinitarisch verankern, also die Gleichberechtigung der dritten göttlichen Person gegenüber einer Unterordnung un­ter den Logos verteidigen und dann das göttliche Heilswerk pneumatologisch-christologisch darstellen. Sie widersprechen der rein forensischen Deutung der Rechtfertigungslehre und fordern einen transformativen Aspekt ein. Maltese und Haustein zeigen, dass eine direkte Theologie des Heiligen Geistes merkwürdigerweise erst spät in pentekostal-charismatisches Denken eingeflossen ist, vielleicht erst mit Clark Pinnock Mitte der 90er Jahre. Das Wirken des Heiligen Geistes in der pfingstlichen Erfahrung und darüber hinaus bis hin zur kosmologisch-eschatologischen Weitung wird dabei nach unterschiedlichen Modellen beschrieben: Terry Cross versteht im Dialog mit Calvin, Bonhoeffer und Barth den Geist als »Bedingung der Möglichkeit des Endlichen« (Mensch), »das Unendliche« (Gott) zu fassen, Amos Yong sieht hierin die Ermöglichung wahren Erkennens, wenn auch nur stückweise, Frank Macchia knüpft an die Geisttaufe an, als Metapher für die immanente Trinität, die sich ad extram eschatologisch verwirklicht und so den Menschen mit einbezieht (vgl. 33). Wie auch immer beschrieben, es entwickelt sich daraus eine pneumatologische Rechtfertigungslehre, die einen ganzheitlichen Heilsbegriff inklusive transformativer Effekte vertritt. In den zugehörigen Aufsätzen untersucht Studebaker in »Pfingstliche Soteriologie und Pneumatologie« (211 ff.) genau diese Überwindung des rein forensischen Ansatzes in einer Analyse des klassischen ordo salutis und fordert eine »Rechtfertigung als Erlösung«, und Lyle Dabney, der bei Jürgen Moltmann in Tübingen promoviert hat, analysiert »Die Natur des Geistes. Schöpfung als Vorahnung Gottes« (232 ff.), die Rolle des Geistes als Le­bensspender innerhalb eines umfassenden Heilsbegriffes.
Die in diesem Handbuch versammelten pentekostalen Autoren argumentieren auf zeitgenössisch-theologischer Augenhöhe. Sie sind den theologischen Diskursen der Mainstreamkirchen gegenüber nicht nur anschlussfähig, sondern machen Lust darauf, ge­meinsam weiterzudenken und eine Theologie des 21. Jh.s nicht mehr ohne pentekostale Impulse zu entwickeln. Im Blick auf die Rechtfertigungslehre wäre, beispielsweise, die Frage nach einer pneumatologischen Kreuzestheologie als Gegenstück zu einer triumphalistischen Sichtweise eine gemeinsame Vertiefung wert.
Das von Jörg Haustein und Giovanni Maltese herausgegebene Handbuch pfingstlicher und charismatischer Theologie kann nur empfohlen werden. Es gibt dem Anfänger einen guten Überblick über modernes theologisches Denken in der pentekostalen Religionsformation und eignet sich deshalb zur Ausbildung, es gibt mehr als ausreichend vertiefende Hinweise zur selbständiger Weiterarbeit und es regt an, seine eigenen theologischen Denkwege noch einmal zu überprüfen und aus neuem Blickwinkel zu sehen.