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Ausgabe:

Dezember/1999

Spalte:

1278–1279

Kategorie:

Systematische Theologie: Ethik

Autor/Hrsg.:

Brandes, Holger, u. Regine Roemheld [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Männernormen und Frauenrollen. Geschlechterverhältnisse in der sozialen Arbeit.

Verlag:

Leipzig: Evang. Verlagsanstalt 1998. 183 S. 8 = Akzente der Entwicklung sozialer Arbeit in Gesellschaft und Kirche, 3. ISBN 3-374-01693-6.

Rezensent:

Michael Domsgen

Der dritte Band der Reihe "Akzente der Entwicklung sozialer Arbeit in Gesellschaft und Kirche" ist eine Aufsatzsammlung mit zehn Beiträgen, die dem Mißstand entgegentreten wollen, daß "im Bereich Sozialer Arbeit ... die Diskussion der ,Geschlechterfrage’ bis heute wenig entwickelt" (6) ist. Die Autorinnen und Autoren - bis auf eine Ausnahme alle an der Evangelischen Hochschule für Soziale Arbeit in Dresden tätig - wollen deshalb "Soziale Arbeit stärker unter dem bislang vernachlässigten Gesichtspunkt des Verhältnisses der Geschlechter zueinander" (7) betrachten.

Der Theorieteil, der drei Aufsätze umfaßt, wird von Regine Roemheld eröffnet. Sie wendet sich gegen ein "dichotomisches Weltbild: Männer gegen Frauen" (10), wie es die feministische Forschung pflegt, und gegen die Polarisierung der Geschlechter (typisch Mann, typisch Frau). Im "Geschlechtervertrag", der "gegen patriarchale Abhängigkeit" steht und "ernsthaft nur zwischen gesellschaftlich unabhängigen, autonomen Individuen geschlossen werden" kann, sieht sie eine "Chance eines neuen Miteinanders von Männern und Frauen" (26). Grenzen sind zu wahren, was auch heißt, einander keine festen Rollen in der Gesellschaft zuzuweisen.

Daran anschließend reflektiert Holger Brandes aus sozialpsychologischer Sicht das Konzept des sozialen Habitus und weist darauf hin, daß der "Zusammenhang von unmittelbarer Körperlichkeit und sozialer Bedeutung" (42) vorsprachlich konstituiert ist. Auf diese Weise wird "eine bestimmte soziale Interpretation von Weiblichkeit bzw. Männlichkeit so fundamental mit dem Selbstempfinden als Frau oder Mann verknüpft ..., daß jede Infragestellung dieser Interpretation leicht als Angriff gegen die eigene Person empfunden wird" (ebd.). Diese "habituellen Muster" (50) müssen erkannt und aufgedeckt werden.

Welche Auswirkungen die Geschlechterzuordnung auf dem Arbeitsmarkt hat, stellen Regine Gildemeister und Günther Robert unter soziologischer Sichtweise dar. Sie beobachten, daß die "geschlechterdifferenzierte Arbeitsteilung zwar in einigen Aspekten verschoben, nicht aber im Kern berührt" (66) wird. Frauen dringen in Männerberufe ein. Zugleich aber läßt sich eine "Tendenz zur Entberuflichung vieler von Frauen dominierten Tätigkeitsfelder und zur Rückverweisung vieler Frauen auf den nicht erwerbsförmig organisierten, postindustriellen Haushaltssektor" (ebd.) beobachten.

Im zweiten Teil des Buches stehen Einzelthemen und praxisorientierte Berichte im Mittelpunkt. So beschreiben Lilo Dorschky und Günther Robert die Ambivalenz frauenspezifischer Projekte zur Beschäftigungsförderung in Ostdeutschland (72 ff.); Holger Brandes versucht Grundzüge für einen männerorientierten Ansatz in der Sozialarbeit zu formulieren (99ff.); Angelika Engelmann, Gero Hoffmann und Harald Wagner berichten über ihre Erfahrungen mit einem Studienschwerpunkt zur geschlechtsspezifischen Sozialarbeit in Ostdeutschland (114 ff.) und Ursula Pfäfflin (122 ff.) und Maria Zschocke (134 ff.) bieten anhand der Gewaltproblematik ein Beispiel für die Analyse und Diskussion neuerer theologisch-feministischer Ansätze. Schließlich berichten Liane Freudenberg (140 ff.) und Andrea Franke (163 ff.) von konkreten Projekten der Arbeit mit Mädchen und Frauen in Sachsen.

Insgesamt bietet dieser Band interessante Anregungen zur Reflexion und Praxis sozialer Arbeit, indem er die Problemstellungen deutlich hervortreten läßt.