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Ausgabe:

Dezember/2017

Spalte:

1406–1408

Kategorie:

Ökumenik, Konfessionskunde

Autor/Hrsg.:

Bremer, Thomas, Kattan, Assaad Elias, u. Reinhard Thöle [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Orthodoxie in Deutschland.

Verlag:

Münster: Aschendorff Verlag 2016. X, 276 S. Geb. EUR 22,80. ISBN 978-3-402-13174-9.

Rezensent:

Michael Plathow

»In Deutschland gibt es seit Jahrzehnten orthodoxe Christinnen und Chris­ten – doch erst seit dem 20. Jh. gibt es Gemeinden in größerer Zahl sowie hier residierende Bischöfe; inzwischen hat sich auch eine Bischofskonferenz konstituiert. Auf mehr als 1,5 Millionen Menschen hat sich die Zahl der orthodoxen Gläubigen in den letzten Jahrzehnten vervielfacht. Deutschland ist damit zu einer dauerhaften Heimat der Kirchen der östlichen Glaubensüberlieferung geworden.« (Vorwort)
Zugleich deuten die Herausgeber eine hochinteressante Perspektive der »Orthodoxie in Deutschland« an: Die verschiedenen nationalkirchlichen Identitäten wandeln sich – im ökumenischen Kontext – zu einer orthodoxen Identität in Deutschland, »die zuweilen sogar die Frage nach einer deutschen Orthodoxie stellt« (IX) – eine spannende These ökumenischer Kommunikation, Kooperation und Konvivenz.
Der Sammelband authentischer Beiträge gibt in drei Teilen einen Über- und Einblick in Geschichte und Gegenwart orthodoxer Kirchen in Deutschland (I.), in aufgegebene Sachthemen für die orthodoxen Bistümer (II.) hier und in die Herausforderungen an verschiedene altorientalische Kirchen bei uns (III.).
Im ersten Themenkomplex schildern Beiträge mit historischen Aspekten die Verhältnisse der russisch-orthodoxen (vgl. hierzu auch: Hinhören und Hinsehen, hrsg. Kirchenamt der EKD und Kirchliches Außenamt des Moskauer Patriarchats, Leipzig 2003), der griechisch-orthodoxen, rumänisch-orthodoxen und serbisch-orthodoxen Kirche in Deutschland. Als Diplomaten, als politische Flüchtlinge, als Gastarbeiter kamen sie in verschiedenen historischen Bewegungen nach Deutschland. Gerd Stricker (3–20) stellt die heutigen orthodoxen Gottesdienststätten in den überkommenen Botschafts-, Gesandtschafts-, Konsulats- und Kurkapellen dar. Nikolai Artemoff schildert die Schritte der Russischen Orthodoxen Kirchen im Ausland (ROKA) und des Moskauer Patriarchats hin zum »Akt der kanonischen Gemeinschaft« am 17.5.2007 (21–44). Nikolaj Thon zeichnet den Prozess zur »Kommission der Orthodoxen Kirchen in Deutschland« (KOKID) am 1.5.1994 nach und die Gründung der »Orthodoxen Bischofskonferenz in Deutschland« unter Metropolit D. Augustinos Lambardakis (OBKD) am 27.2.2010 (51–70). Ein Aufsatz von Elias Esber widmet sich den »Syrischen Christen auf der Flucht« (71–74). Wilm Sanders erinnert an die »PHILOXENIA als Vorreiterin ökumenischer Begegnungen« und an ihre Gründung durch Ilse Friedeberg vor 50 Jahren (75–86). Der Beitrag von Peter Sonntag geht detailliert auf die notwendige Übersetzungsarbeit liturgischer Texte der orthodoxen Tradition in die deutsche Sprache ein für das gottesdienstliche Leben in Deutschland (87–99).
Der zweite Themenkomplex schildert die aufgegebenen »Sachthemen«. Kerstin Keller beschreibt die konkreten Schwierigkeiten und Herausforderungen bei der Ausbildung der Religionspädagogen, beim Erstellen von Lehrbüchern sowie bei der Organisation und Durchführung des orthodoxen Religionsunterrichts an Schulen (103–114). Zu »Orthodoxe Theologie an der Universität in Deutschland«, besonders in Münster und München, gibt Athanasios Vletsis vertiefende Einblicke (133–154). Nikolaj Thon verweist auf die »Orthodoxe Medienarbeit, Print und Internet« (155–166), Constantin Miron auf die Bedeutung der orthodoxen Kirchengemeinden als Orte der Begegnung (203–212). Die ökumenischen Beziehungen skizziert Marina Kiroudi (115–132) und das Thema »Integration« behandelt Georgios Basioudis (167–178). Auf die Nutzung evangelischer Gottesdiensträume durch orthodoxe Christen geht Martin Illert ein (179–184). Schließlich findet die wichtige Stipendienarbeit nun seit 63 Jahren durch das »Diakonische Werk« – jetzt bei »Brot für die Welt« institutionalisiert – von Dionisie Arion (185–194) und seit 50 Jahren durch die Deutsche Bischofskonferenz von Johannes Oeldemann (195–202) aufschlussreiche Darstellungen.
Der dritte Themenbereich geht ein auf die altorientalischen Kirchen. Die Phasen der Zuwanderung, die Fluchtbewegungen, das Ankommen und die Aufgaben der Integration in Deutschland werden geschildert für die Assyrische Kirche des Ostens von Patros Youkhana Patros (215–218), für die Kopten von Fouad und Barbara Ibrahim (219–234), für die syrisch-orthodoxen Christen von Simon Birol (235–250). Das aktuelle Leid und die Sorgen verfolgter Menschen und Mitchristen wird vor Augen geführt mit den hierin eingebundenen Herausforderungen an die hiesige Zivilgesellschaft, an Kirchen und Politik. Harutyun Harutyunyan konkretisiert dies für die Beziehung der »Armenischen Kulturvereine« mit den Kirchengemeinden in Deutschland (251–274). Am Ende gibt ein Verzeichnis der Autorinnen, Autoren und Herausgeber Informationen über die Schreiber der einzelnen Be­richte.
Die Beiträge in ihrer Verschiedenheit – wenn auch noch zu er­gänzen – machen deutlich, dass den vielfachen orthodoxen Chris­ten, Gemeinden und Kirchen Deutschland immer mehr zu einer »dauerhaften Heimat« wurde und wird. Orthodoxe Christen und Kirchen haben sich sprachlich, kulturell und ökumenisch immer mehr in die deutsche zivilgesellschaftliche und kirchliche Landschaft integriert und tun dies im Zusammenhang der aktuellen Fluchtbewegungen weiter. Die Frage nach einer »deutschen Orthodoxie« (IX) geht mit der Konstituierung der »Orthodoxen Bischofskonferenz in Deutschland (OBKD)« am 27.2.2010 und dem gemeinsamen Angehen der herausfordernden »Sachthemen« einer schrittweisen Beantwortung entgegen.
Selbstverständlich gibt es schon Untersuchungen zur Geschichte, Liturgie und Theologie der einzelnen orthodoxen und altorientalischen Kirchen von ostkirchlichen, konfessionskundlichen und ökumenischen Fachleuten; doch wird auf die gegenwärtige Situation in Deutschland direkt nur selten Bezug genommen. Der Sammelband »Orthodoxie in Deutschland« füllt somit zum guten Anteil eine Lücke aus. Authentisch werden aktuelle Situation, Sachprobleme und Aufgaben berichtet; auch weniger zugängliche In­formationen, Statistiken und Problemstellungen werden ge­nannt. Selbst für Fachleute vermittelt »Orthodoxie in Deutschland« Er­kenntnisgewinne, für Interessierte die Möglichkeit eigener Weiterarbeit, für ökumenisch Engagierte Informationen für den kompetenten Dialog mit den orthodoxen Mitchristen und Mitbürgern hier in Deutschland.