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Ausgabe:

Dezember/2017

Spalte:

1386–1387

Kategorie:

Systematische Theologie: Ethik

Autor/Hrsg.:

Krämer, Klaus, u. Klaus Vellguth [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Menschenwürde. Diskurse zur Universalität und Unveräußerlichkeit.

Verlag:

Freiburg i. Br. u. a.: Verlag Herder 2016. 344 S. = Theologie der Einen Welt, 8. Geb. EUR 25,00. ISBN 978-3-451-33615-7.

Rezensent:

Arnulf von Scheliha

Der in Kooperation mit missio Aachen vorgelegte Band enthält zwanzig Beiträge zum Titelthema, die in vertiefter Berücksichtigung der unterschiedlichen kulturellen Kontexte und Denkstrukturen die Universalität des Menschenwürde-Denkens plausibilisieren und sozialethisch fruchtbar machen wollen. Die beiden Herausgeber sind habilitierte römisch-katholische Theologen und versehen führende Positionen im katholischen Hilfswerk missio. Unter den Autorinnen und Autoren des Bandes finden sich Dozenten in akademischen Ämtern in den Fächern Philosophie und Theologie, Menschenrechtsaktivisten und Mitarbeitende in kirchlichen Einrichtungen und Werken.
Voran steht ein ausführliches Vorwort. Der Band will »ein weltkirchliches Austauschforum sein« (9) und bietet den Autorinnen und Autoren die Möglichkeit, »sich aus der spezifischen Perspektive ihres eigenen, regional geprägten Kontextes heraus mit dem Begriff der Menschenwürde auseinanderzusetzen« (ebd.). Auf diese Weise würden die kontextuellen Bezüge des Menschenwürdedenkens deutlich. Zugleich würden diejenigen Beiträge, die auf an­thropologischen Grundlagen und auf die evidenten Verletzungen der Menschenwürde eingehen, den Weg zu einem universalen, d. h. kultur- und kontextübergreifenden Anspruch der Menschenwürde bahnen.
Das Buch ist in fünf Teile gegliedert. Der erste Teil enthält vier »Anthropologische Anmerkungen zur Menschenwürde«, in dem sich Josef Schuster zunächst mit ideengeschichtlichen Aspekten der alteuropäischen Tradition befasst, während die anderen Autoren ihre anthropologischen Erwägungen exemplarisch auf Tansania, Indonesien und Guatemala beziehen. Mit »Wurzeln der Menschenwürde im eigenen Kontext« ist der zweite Teil überschrieben. Hier gehen die drei Autoren und die Autorin der Frage nach, ob und inwieweit der Begriff der Menschenwürde in der europäischen Freiheitsgeschichte, in der afrikanischen Tradition des Ubuntu, im südostasiatischen Raum und in Lateinamerika zu identifizieren ist. Das dritte Kapitel ist der »Geschichte der Menschenwürde im eigenen Kontext« gewidmet. Hier, wie im vierten Kapitel, das sich ausdrücklich der »Verletzung der Menschenwürde als Begründungsfundament einer postulierten Menschenwürde« zuwendet, zeigen die Autoren auf, dass es vor allem die Erfahrungen massiver Menschenrechtsverletzungen sind, die zum Begründungsfundament der Menschenwürde gehören. Weitere Beiträge zur Geschichte des Menschenwürdebegriffs in der Demokratischen Republik Kongo, in den Religionsdiskursen Asiens und im säkular geprägten Mexiko ergänzen das dritte Kapitel. Dem Thema »Universalität der Menschenwürde« ist das letzte Kapitel gewidmet. Hier sticht be­sonders der Beitrag zur »Menschenwürde aus der Perspektive des Islam« [sic!] von Muhammad Sammak hervor.
Die meisten der kundigen Beiträge liest man mit Gewinn. Der Gesamteindruck des Buches leidet indes unter der methodischen und perspektivischen Heterogenität. So finden sich neben ideen-geschichtlichen Studien instruktive Fallanalysen (z. B. von William Chang über »Der Umgang mit Vielfalt« in Indonesien oder von Rigobert Minani Bihuzo über »Menschenwürde und Lehre der Kirche in der Demokratischen Republik Kongo«), sehr differenzierte Darlegungen (z. B. von Sharon A. Bong »Zum Pluralismus der Menschenwürden im südostasiatischen Kontext«), aber auch lexikalisch verknappte Überblicke (z. B. Ali Al-Nasani über »Menschenwürde in historischen Religionsdiskursen Asiens«) oder ein rein hagiographischer Beitrag (von Martha Zechmeister über »Oscar Romero – Märtyrer der Menschenwürde«). Die Auswahl der Autorinnen und Autoren und der Beiträge wirkt daher etwas zufällig. Verwunderlich ist, dass ausgerechnet in einem von renommierten Missionstheologen herausgegebenen Buch, in dem das Thema kontext-sensibel bearbeitet werden soll, immer wieder pauschal von »Über-legungen aus afrikanischer Sicht« (Josef Komakoma), von »Men­schenwürde aus afrikanischer Sicht« (Richard N. Rwiza) oder von den »Grundlagen der Menschenrechte im Kontext Lateinamerikas« (Victor Codina) die Rede ist. Gegenüber den erreichten kulturwissenschaftlichen Standards wirken diese Etiketten rückschrittlich, weil man auf diese Weise der durch den Kolonialismus lange Zeit unterdrückten kulturellen und sprachlichen Vielfalt auf den Kontinenten nicht gerecht wird. Vielleicht hat man bei der Leserschaft nicht zuerst an die scientific community gedacht: Aber auch den weltkirchlichen Austausch sollte man nicht mit einer Semantik belasten, die so offenkundig dem kolonialen Blick Alteuropas verhaftet ist.